«Corona hat den ­Tourismus nicht fundamental verändert»

Oliver Borner – 14. September 2022
Der Schweizer Tourismus befindet sich in diesem Sommer nach zwei Jahren Coronapandemie wieder im Hoch. Michael Maeder, CEO des Switzerland Travel Centre (STC), sagt im Interview, wie sich dies auf das Geschäft auswirkt und welche Touristen besonders gerne durch die Schweiz reisen.

Michael Maeder, die Sommersaison geht langsam zu Ende. Welche Bilanz ziehen Sie aus der Sicht des STC?
Michael Maeder: Ich ziehe eine erstaunlich gute Bilanz zum Sommer 2022. Seit April befinden wir uns in einem Modus, in dem wir letztmals vor der Coronapandemie 2019 waren.

Die Normalität ist also zurück?
Eindeutig, ja. Wir können mittlerweile wieder sehr gut abschätzen, welche Touristen in welchem Zeitraum welches Angebot bei uns buchen. Das erleichtert die Arbeit und die Planung im STC um ein Vielfaches.

Laut Schweiz Tourismus kehren die ausländischen Gäste langsam zurück. Teilen Sie diese Einschätzung?
Absolut. Vor allem bei Touristen aus Deutschland hat die Nachfrage nach Angeboten in der Schweiz zugenommen. Wir hatten in diesem Sommer 25 Prozent mehr deutsche Kunden als noch 2019 –so viele wie noch niemals zuvor. Gleichzeitig haben wir sehr viele Buchungen aus Belgien, Holland und skandinavischen Ländern. Und auch das Geschäft aus England läuft gut, obwohl wir da erst bei 60 bis 70 Prozent gegenüber 2019 stehen.

Kein Brexit-Koller bei den Briten?
Doch, ich denke schon. Nur: Wir sind in der glücklichen Lage, dass unsere Kunden aus England schon immer eher aus dem wohlhabenderen Segment kamen. Diese Kunden leisten sich eine Woche in einem guten Hotel und buchen auch mal eine Rundreise durch die Schweiz.

Die Brexit-Probleme bleiben also aus?
Mitnichten. Sie werden momentan nur durch die Überbleibsel der Pandemie und den Krieg in der Ukraine überdeckt. Wie gross diese Probleme sind, ist für uns allerdings schwer einzuschätzen. Das Schwierigste ist, Angestellte für unsere Büros in London zu finden. Grund dafür: Diese Mitarbeitenden stammen oftmals aus ganz Europa und die Einreisebedingungen nach England, sind durch den Brexit sehr umständlich geworden. Hinzu kommt die Wahl der neuen Premierministerin Liz Truss, bei der noch unklar ist, welchen Einfluss sie auf die Brexit-Situation in England haben wird.

Welche Angebote des STC wurden am meisten gebucht?
Die Reisen mit den Panoramazügen Glacier, Bernina und Goldenpass laufen weiterhin sehr gut. Weiter sehr gut verkaufen sich auch Kurzferien, bei denen ein gutes Hotel und nicht ein Ort im Mittelpunkt steht. Das kann beispielsweise ein Hotel sein, das ein gutes Wellness- oder Kulinarikangebot hat.

Welche Regionen sind besonders beliebt?
Da hat sich in den letzten Jahren nichts verändert. Die Schweizer Gäste reisen sehr gerne ins Tessin, die ausländischen Gäste vor allem in die Gebiete rund um die Schweizer Alpen. Für Gäste aus dem Ausland haben die Berge die grösste Anziehungskraft.

Der europäische Markt läuft gut bis sehr gut. Wie sieht es mit den Fernmärkten aus?
Das Geschäft in den USA läuft sehr gut. Anders sieht es im asiatischen Raum aus. Da China noch immer eine restriktive Coronapolitik fährt, können Touristen gar nicht nach Europa reisen. Auf der anderen Seite schrecken die aktuell hohen Flugpreise viele Touristen aus Thailand, Malaysia oder Südkorea davon ab, nach Europa zu fliegen.

Wie problematisch ist das Ausbleiben der Gäste aus Asien?
Kurzfristig ist das nicht allzu schlimm, da viele Schweizerinnen und Schweizer ihre Ferien in der Schweiz verbracht haben. Diese konnten den Wegfall der Touristen aus Asien mehr oder weniger kompensieren. Wir sind uns aber bewusst, dass dies nur ein vorübergehendes Phänomen ist, weil in Zukunft wieder mehr Schweizerinnen und Schweizer ins Ausland reisen werden. Mittelfristig müssen die Gäste aus Asien wieder zurückkommen, um das Ausbleiben der einheimischen Touristen auszugleichen. Zudem haben Destinationen wie Luzern oder Interlaken gezielt auf Touristen aus Asien gesetzt. Für diese Hotspots wäre eine Rückkehr ihrer Zielgruppe immens wichtig.

Da könnte die Erschliessung neuer Märkte, beispielsweise der Touristen aus den Staaten am Golf, sicher interessant sein.
Das ist richtig. Der Markt ist sehr spannend. Die Touristen aus diesen Ländern haben ein grosses Reisebedürfnis, sie bleiben gerne länger an einem Ort und sind bereit, viel Geld auszugeben für ein Erlebnis in der Schweiz. Wir befinden uns aber momentan im Finetuning unserer Strategie für den Golfmarkt und halten uns mit der Bespielung daher noch zurück.

Wie blicken Sie auf die Zukunft der Tourismusbranche?
Im Moment sind wir alle bei STC sehr guter Dinge, weil das Geschäft wieder läuft und das erste Mal seit zwei Jahren wieder Normalbetrieb herrscht. Wir sind uns aber durchaus bewusst, dass die aktuellen Krisen mit Energie und Krieg in der Ukraine problematisch sind. Die hohe Inflation, gepaart mit den steigenden Energiekosten, lässt die Kunden tendenziell weniger reisen, was unser Geschäft direkt beeinflusst. Ich rechne zudem damit, dass Corona uns in irgendeiner Art wieder einschränken wird. Dennoch bin ich mit Blick auf das Tourismusgeschäft optimistisch für die Zukunft.

Inwiefern wird sich die Art des Reisens nach der Pandemie verändern?
Aus unserer bisherigen Erfahrung hat sich an der Art und Weise des Tourismus nicht viel verändert. Ich denke, es wird in der Schweiz wieder einen Mix aus Gruppen-, Einzel- und Geschäftsreisen aus aller Welt geben. Die wirklich grosse Veränderung gegenüber 2019 vor der Pandemie ist meiner Ansicht nach der Trend zur Kurzfristigkeit. Die Reisenden haben sich in den letzten zwei Jahren daran gewöhnt, dass sie kurzfristiger planen müssen, weil es nun mal nicht anders ging. Diese neue Spontanität wird sich in den kommenden Jahren fortsetzen.

Vor der Pandemie 2019 war Overtourism ein grosses Thema. Kommt das zurück?
Ich gehe davon aus, dass wir in einem oder zwei Jahren dieses Phänomen wieder erleben werden– insbesondere, wenn die Gruppenreisen aus Asien zurückkehren werden. Denn in diesen Reisen sind Orte wie Luzern oder Interlaken immer eingeplant. Für uns als Anbieter ist das natürlich weniger attraktiv, denn wir wollen möglichst viele Reisen über die Schweiz verteilt verkaufen. Wenn alle Kunden den gleichen Ort besuchen wollen, geht das nicht mehr, weil die Kapazitäten der Infrastruktur wie Hotels an diesem Ort nicht mehr verfügbar sind. Zudem sind diese Nadelöhre in der Planung sehr aufwendig. Wir versuchten deshalb, unser Angebot so gut wie möglich zu verteilen.