Yves Schneuwly, wie beurteilen Sie den Fachkräftemangel in der Gastronomie?
Yves Schneuwly: Wir beobachten auf unserer Plattform momentan mehrere Entwicklungen. Wir haben unter anderem den grössten je verzeichneten Zuwachs an offenen Gastro-Stellen und eine aktuell sehr hohe Zahl angebotener Stellen in der Gastronomie festgestellt. Stand heute ist rund die Hälfte aller Einsätze, die bei Coople ausgeschrieben sind, in der Hospitality- und Gastronomie-Branche. Das zeigt deutlich, wie gross der Bedarf dieser Branche kurz vor der Wintersaison und den Feiertagen ist. Am grössten ist der Mangel bei gelerntem Servicepersonal und Köchen – dazu gehören auch die Metzger, die besonders Ende des Jahres gesucht sind.
Woran liegt das?
Als Folge der Pandemie und der dadurch erzwungenen Krise in der Gastro-Branche haben 2020/2021 viele Arbeitnehmende in andere Bereiche/Branchen gewechselt. Und es hat sich gezeigt, dass sich Mitarbeitende des Gastgewerbes extrem gut in anderen Branchen zurechtfinden, besonders diejenigen mit Erfahrung in der Kundenbetreuung. Viele waren überrascht, wie übertragbar ihre Fähigkeiten sind.
Viele Angestellte wechseln also die Branche. Was treibt die Arbeitnehmenden dazu?
Ein beträchtlicher Anteilhat sich beruflich neu orientiert und zeigt wenig Bereitschaft, in die Gastronomie zurückzukehren. In einer grossen Umfrage Ende Mai 2021 (bei 1300 flexiblen Arbeitnehmenden, die vor der Coronakrise ganz oder teilweise im Gastrobereich gearbeitet haben) sagte jede und jeder Achte, eine Rückkehr in die Gastronomie sei «unsicher bis ausgeschlossen». Auf die Frage nach den Gründen waren die vier häufigsten Antworten: Wunsch nach - besserer Bezahlung (20.8 Prozent), - krisensicherem Arbeitsplatz (20.2 Prozent), - mehr Flexibilität (16 Prozent), - bessere Arbeitszeiten (12.8 Prozent).
Coople-Geschäftsführer Yves Schneuwly. (Bild: zVg)
Als Ursache für den Mangel werden oftmals die Unattraktivität der Arbeitszeiten und die damit verbundene Abneigung für Gastroberufe aufgeführt. Inwiefern ist das Problem von der Branche hausgemacht und inwiefern sind die Ansprüche der Stellensuchenden das Problem?
Lohn, Flexibilität, Krisensicherheit und Arbeitszeiten sind für Arbeitnehmende wichtige Themen – das ist auch völlig legitim, schliesslich müssen sie ihr Leben bestreiten oder Zeit mit ihren Familien verbringen können. In einer neuen, noch unveröffentlichten Umfrage vom September 2021 sagten zwei Drittel der Arbeitnehmenden, sie erwarten einen Stundenlohn von 25 Franken oder mehr. Und höchstens ein Drittel der Leute ist bereit, in der Nacht oder am Wochenende zu arbeiten. Der Fachkräftemangel ist aber sicher nicht auf die Formel «Veraltete Strukturen vs. Wählerische Arbeitnehmende» zu reduzieren. Er war schon vor der Pandemie ein Thema - in den unterschiedlichsten Berufen, auch ausserhalb der Gastro- und Hospitality-Branche. Dabei spielen zahlreiche Entwicklungen in der Gesellschaft und Wirtschaft eine Rolle. Ausserdem lassen sich gewisse Rahmenbedingungen der Gastronomie nicht einfach ändern, ohne gleich die ganze Branche auszumustern. Solange Sie und ich abends gerne auswärts essen, am späten Abend ein Bier oder frühmorgens einen Kaffee trinken wollen, braucht es Menschen, die bereit sind, zu diesen Zeiten zu arbeiten.
Solche Arbeitskräfte zu finden, bleibt aber offenbar schwierig. Inwiefern kann das Modell der flexiblen Arbeitszeiten die Lösung des Problems oder zumindest ein Teil der Lösung sein?
Eine Flexibilisierung auf beiden Seiten ist in unseren Augen Teil der Lösung. Für die Betriebe bedeutet das zum Beispiel, dass sie ihre Teams für die Zukunft generell flexibler aufzubauen. Das heisst, dass ein grösserer Anteil des Personals aus sogenannten Flexworkern besteht - die ja nicht einfach ungelernt sind, sondern Fachkompetenz aus ihrer Ausbildung oder aus ihrem bisherigen Berufsleben mitbringen. Denn die Krise hat gezeigt, wie wichtig es ist, dass der Personalbestand atmen kann: Betriebe mit einer flexiblen Personalstruktur haben ihr Unternehmen quasi in den Winterschlaf versetzt. Andere, mit einem hohen Anteil an Festangestellten, hatten deutlich grössere Schwierigkeiten. Vielerorts waren Entlassungen trotz Kurzarbeit nicht zu vermeiden. Die Betriebe sollten, wenn möglich, auch gute Trainings- und Entwicklungspläne anbieten, da die Arbeitnehmenden weiterhin ihre Risiken in einer Post-COVID-19-Landschaft begrenzen wollen.
Flexible Arbeitszeiten scheinen schön und gut, doch inwiefern eignet sich das Modell mit flexiblen Arbeitszeiten für alle Betriebe?
Nach unserer Erfahrung eignet sich die Rekrutierung von flexiblem Personal über Plattform für fast jeden Betrieb. In einer Branche, die quasi von Natur aus Schwankungen ausgesetzt ist und mit Rahmenbedingungen arbeiten muss, die sich nicht einfach ändern lassen, haben wohl die meisten Unternehmen früher oder später Bedarf an qualifiziertem Personal für eine begrenzte Zeit.
Wo sehen Sie auch Probleme bei diesem Modell?
Probleme ergeben sich in meinen Augen vor allem dort, wo flexibel mit günstig gleichgesetzt wird. Oder wenn das Interesse fehlt, in die Qualität, Training/Weiterbildung und Vertrauen des Personals zu investieren.
Dennoch dürfte flexibles Arbeiten in Zukunft immer wichtiger werden. Welche Auswirkungen wird dies auf die Gastronomie haben? Muss sie sich neu erfinden?
Neu erfinden: nein. Lehren ziehen: ja. Es ist schwieriger geworden, Fachkräfte zu rekrutieren. Entweder, weil sich die persönlichen Ziele oder Prioritäten der Arbeitnehmenden verschieben oder, weil die Gastro-Mitarbeitenden in der Krise gemerkt haben, dass sich in anderen Branchen auch gefragt sind. Betriebe, die fest mit einem Anteil an flexiblem und qualifiziertem Personal arbeiten, sind nach unseren Erfahrungen aber gut gerüstet.
Über Coople: Coople hat sich seit der Gründung in Zürich im Jahr 2009 zu Europas grösster digitaler Plattform für den Personalverleih entwickelt, mit über 500’000 registrierten Arbeitnehmern und 20’000 Einsatzbetrieben. Das Unternehmen vermittelt flexible Arbeitskräfte für kurz- und langfristige Einsätze in den Bereichen Gesundheit, Gastronomie, Hotellerie, Detailhandel, Aviatik, Logistik, Events und Promotion sowie im Kaufmännischen Sektor.