Offene Lehrstellen: «Die Situation ist angespannt, aber noch nicht prekär»

Oliver Borner – 14. Juli 2021
In den nächsten Wochen starten in der gesamten Schweiz hunderte Jugendliche in eine Lehre in der Gastronomiebranche. Dennoch sind längst noch nicht alle Lehrstellen besetzt.

In den kommenden Wochen beginnt für rund 200'000 Jugendliche ein neuer Lebensabschnitt. Mit dem Start der Berufslehre treten sie erstmals in die Arbeitswelt ein und legen den Grundstein für ihre berufliche Zukunft. Auch im Gastgewerbe starten bis Anfang August Lernende in die Ausbildung zur Köchin/zum Koch oder zur Restaurationsfachfrau/zum Restaurationsfachmann.

Doch wie im vergangenen Jahr ist auch 2021 in der Branche vieles anders. Neben dem anhaltenden Fachkräftemangel zeigen sich vermehrt auch Probleme beim Nachwuchs. Ein Blick zurück zeigt, dass dieser Trend seit mehr als zehn Jahren anhält. Entschieden sich im Jahr 2009 noch fast 10'000 Lerndende für einen Beruf im Gastgewerbe, sind es heute noch knapp 7'500. In allen Kantonen gibt es kurz vor dem Startschuss der Lehrgänge nach wie vor unbesetzte Lehrstellen, wie Bruno Lustenberger, Präsident der Berufsbildungskommission bei GastroSuisse, sagt. Die kantonalen Unterschiede seien dabei gross. «In einigen Kantonen liegen wir mit der Auslastung der Lehrstellen erst bei 50 bis 75 Prozent», sagt er auf Anfrage.

Diese Zahlen bestätigt auch Urs Masshardt, Geschäftsleiter der Hotel & Gastro Union: «Wir gehen davon aus, dass 2021 gesamtschweizerisch 1500 bis 1700 Lehrstellen in unserer Branche nicht besetzt werden können», sagt er.  Schweizweit wird eine Belegung von 70 bis 80 Prozent der Lehrstellen angepeilt. Ob diese erreicht wird, sei momentan noch ungewiss.

Fehlende Anerkennung und Vorurteile

Dieser Umstand hängt nicht nur mit der Coronapandemie zusammen. «Corona hat das Problem verstärkt, nicht ausgelöst», so Lustenberger. Die Betriebe hätten durch das Wegfallen der Schnupperlehren im zweiten Lockdown zwar sicherlich potentielle Lernende verloren, allerdings lasse sich dadurch nicht das generelle Nachwuchsproblem der Branche erklären.

Dieses führt Lustenberger vielmehr auf den Ruf der Gastronomieberufe zurück, der in den vergangenen Jahren immer wieder in Verruf geraten sei. «Viele Eltern, Lehrerinnen und Lehrer raten den Jugendlichen bereits in der Schule davon ab, eine Lehre im Gastrobereich zu machen», sagt er. Das vermittle den Jugendlichen oft einen falschen Eindruck gegenüber der Branche und liesse sie am Schluss gegen eine Lehre im Gastgewerbe entscheiden.

Hinzu kommt laut Lustenberger, dass die Annerkennung eines Berufs in der Gastgewerbebranche gelitten hat. Insbesondere beim Servicepersonal sei dies immer wieder zu beobachten. «Es herrscht oftmals das Vorurteil, dass der Beruf als Restaurationsfachfrau oder -fachmann keine Kunst sei. Viele sind der Ansicht, dass jeder im Service arbeiten und Gästen Essen servieren könne», so Lustenberger. Gleichzeitig schreckten das tiefe Lohnniveau, die unkonventionellen Arbeitszeiten und eine Sistierung des L-GAV und eine Kündigung aller L-GAV Reglemente viele von der Wahl dieses Berufes ab.

Abwanderung verhindern

Unter diesen Voraussetzungen leidet nicht nur der Nachwuchs der Branche. «Die Abwanderung des Fachpersonals macht mir persönlich noch viel mehr Angst als das Nachwuchsproblem», sagt Lustenberger. In den letzten Jahren habe diese Abwanderung kontinuierlich zugenommen und gipfelte mit Corona in einem neuen Höhepunkt. Vor allem junge Fachkräfte seien wegen der unsicheren Lage aus der Branche ausgestiegen. «Für die Betriebe ist das natürlich ein harter Schlag, schliesslich hatten sie viel Zeit und schlussendlich auch Geld in die Ausbildung dieser Fachkräfte investiert. Aus der Sicht der Betriebe ist dies verlorener Aufwand», so der Präsident von GastroAargau.

Mehr Mut

Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, sieht Lustenberger in erster Linie die Branche selbst in der Pflicht. «Wir sollten alle die Berufe künftig nach aussen wieder mehr zeigen und zugänglicher machen», sagt er. Zudem würde er sich von der gesamten Branche ein selbstbewussteres Auftreten wünschen. «Die Schweizer Ausbildungen im Gastronomiebereich sind weltweit bekannt und werden geschätzt. Die Branche sollte daher mutiger auftreten und die Vorteile und die Qualität der verschiedenen Berufe aufzeigen», so Lustenberger. Daneben muss es in Zukunft vor allem für das bereits ausgebildete Fachpersonal mehr Möglichkeiten für Weiterbildungen - beispielsweise an einer Hotelfachschule - geben.

Gleichzeitig müssten im Bereich der Löhne und Kosten künftig Veränderungen angestossen werden. «Die Branche muss bei der Lohnentwicklung dringend über die Bücher und Kostensparübungen, wie wir sie in den letzten Jahren gesehen haben, dürfen nicht auf dem Buckel der Angestellten erfolgen», sagt Urs Masshardt von der Hotel & Gastro Union. Die Branche müsse für junge Menschen generell wieder attraktiver werden. Nur so könne verhindert werden, dass das Nachwuchs- und Fachpersonalproblem langfristig prekär wird.