Susanne Welle, Sie sind seit Oktober 2020 Direktorin der zu GastroSuisse gehörenden Ecole Hôtelière de Genève (EHG) und arbeiteten zuvor in ähnlichen Positionen in Martigny VS, Glion VD oder Crans-Montana VS. Was sind die wesentlichen Unterschiede zur EHG?
Susanne Welle: Die Grösse. Wir sind eine kleine Schule mit ein paar 100 Studierenden. Das macht es für uns möglich, die Studierenden besser abzuholen. Und wir haben einen rein französischen Unterricht. Wir sind auf die Schweiz fokussiert. Unsere Studierenden kommen zur grossen Mehrheit aus der Schweiz und Frankreich und nur selten etwa aus Asien.
Ist das eine bewusste Strategie?
Wir haben unsere Nische gefunden und wollen in diesem Bereich stärker werden. Es ist schön, für die Schweizer Studierenden ein Bildungsangebot zu schaffen. Im Unterschied zu anderen Schulen kann man bei uns auch nach einer Berufslehre starten und benötigt keine Maturität. Das öffnet Türen für junge Menschen, die etwa eine Lehre im Gastgewerbe absolviert haben und mit unserer Ausbildung einen weiteren Schritt gehen möchten. Nach dem Abschluss erhalten die Absolventen ein Patent, mit dem sie ein Restaurant oder ein Hotel in Genf eröffnen können.
Sie arbeiten seit vielen Jahren in der Berufsbildung. Wie hat sich diese verändert?
Wir benützen heute viel mehr Technologien. Aktuell analysieren wir, wie wir KI einbinden können. Ein anderer Aspekt ist, dass die Studierenden viel kritischer geworden sind. Wir müssen die Studierenden ins Zentrum stellen und mit ihnen auf Augenhöhe reden. Ein ständiger Dialog ist gefragt. Aber das macht auch Spass, weil die Studierenden ihre Ideen auf den Tisch bringen. Früher haben die Lehrer oft von oben nach unten unterrichtet.
Was sind Ihre aktuellen Herausforderungen?
Wir lancieren ab Oktober 2024 sechs neue Nachdiplomstudiengänge (Diplômes Postgrades), beispielsweise zum Thema Hotelmanagement oder innovative Restaurantunternehmer. Diese sind hybrid und können berufsbegleitend belegt werden. Im Sommer bieten wir ein Sommercamp für Jugendliche an. Es ist als Inspiration gedacht für solche, die einst unsere Schule besuchen möchten.
Das sind bestimmt nicht die einzigen Herausforderungen.
Ja, wie für andere Schulen bleibt es auch für uns eine Herausforderung, alle Studienplätze zu besetzen. Während der Pandemie haben sich viel weniger Jugendliche für eine Lehre im Gastgewerbe entschieden. Die Auswirkungen spüren wir noch heute. Die Entwicklung an unserer Schule ist aber gut. Für den Semesterstart in diesen Tagen rechne ich mit mehr Studierenden als üblich. Eine weitere Herausforderung ist, dass unsere Ausbildung Diplom und nicht Bachelor heisst. Wahrscheinlich wird das Schweizer Parlament nächstes Jahr darüber debattieren. Eine Gesetzesänderung wäre ein grosser Vorteil, denn Deutschland, Frankreich und Österreich dürfen ihre Ausbildungen Bachelor nennen, obwohl unsere Ausbildung mindestens gleich gut oder sogar besser ist.
Wie haben Sie die Wende bei der Zahl der Studierenden geschafft?
Wir haben mit Duncan Robertson einen neuen Verkaufs- und Marketingdirektor, der viel Know-how mitgebracht hat. Wir sind in den sozialen Medien sehr aktiv und haben dazu einen Praktikanten engagiert, der nach seinem Praktikum uns unterstützen wird. Wir messen uns permanent mit der Konkurrenz und sind nun bei LinkedIn, Instagram und Facebook in der Rangliste ganz oben angekommen. Sicher hilft uns auch der Fünfpunkteplan von GastroSuisse mit den vielen positiven Geschichten - und dass der Schweizer Tourismus floriert. Das bringt uns möglicherweise zusätzliche Studierende, die in dieser faszinierenden Branche arbeiten möchten.
Wie erfolgt die Abstimmung mit der Hotelfachschule Zürich, die Sie von März 2021 bis Februar 2023 zusätzlich als Direktorin leiteten?
Mein Ziel war, Synergien zwischen den Schulen in Zürich und Genf zu finden. Wir haben diese mit der Namensänderung und dem gleichen Branding realisiert. Zusätzlich haben wir den Schulkalender angeglichen. Das erste Semester startet nun in Zürich und in Genf fast zur gleichen Zeit, jeweils im Februar/März und im August/September. Das hat den Vorteil, dass sich die Schulklassen der jeweiligen Schulen im ersten Semester eine Woche in Zürich und eine Woche in Genf weiterbilden. Und wenn zusätzlich ein Semester in der Schwesterschule absolviert werden könnte, wäre das für mich ein Traum - aber ein Realisierbarer. Neu können unsere Studierenden ein Praktikum im Ausland machen, wobei es nach wie vor so ist, dass erste Priorität die Erfahrung in der Schweiz hat. Aber wer bereits ein Schweizer Praktikum während der Berufslehre absolvierte, kann neu während sechs Monaten beispielsweise nach Barcelona, Teneriffa, Dubai oder Thailand. Mit Marriott haben wir einen starken Partner, der uns bei den Praktikumsstellen hilft.
Ihnen geht die Arbeit nicht aus...
Tatsächlich nicht. Ein anderes Thema für 2024: Wir haben verschiedene B2B-Kurse aufgebaut. Und wir bieten professionelle Beratungen für die Branche an, bei der wir die Studierenden mit Diplomarbeiten involvieren[WS2] . Das ist ein wichtiger Weg, unser Know-how zu teilen. So haben wir ein grösseres Projekt mit den Transports publics genevois (TPG), bei dem es um das Personalrestaurant ging. Die TPG [WS3] wollte das Café umbauen und hat dies als Projekt an unsere Schule delegiert. Die Organisation war von unserer Arbeit und der Präsentation sehr angetan. Unsere Beratertätigkeiten können aber auch eine Wein- oder Speisekarte umfassen, Hygienestandards in Restaurants oder finanzielle Fragen im Gastgewerbe.
Einen grossen Teil Ihrer Karriere haben Sie in der Berufsbildung absolviert. Was fasziniert Sie?
Ich liebe es, das Gelernte weiterzugeben und Wissen zu vermitteln. Das ist mehr, als nur etwas zu verkaufen. Und ich arbeite gerne mit jungen Menschen zusammen. So bleibe ich mental jung. Wir versuchen konstant, neue Ideen in unsere Kurse zu bringen. Manchmal kommen diese Ideen von den Studierenden. Das sorgt dafür, ständig in Bewegung zu sein.