Es grunzt und schmatzt und mittendrin steht Bernadette Lisibach. Fünf Gehminuten von ihrer Neuen Blumenau im thurgauischen Lömmenschwil füttert die Spitzenköchin Schwarze Alpenschweine. Zwei von ihnen – sie heissen Jackie und Obelix – bereitet sie demnächst in ihrer Restaurantküche zu: Vom 26. bis 29. Oktober ist im Gourmetlokal Metzgete angesagt. Schwänzli, Öhrli, Blutwurst, Leberwurst, Haxen und Co. – für einmal geht es bei «Lisi» rustikaler zu.
Die Beizenmetzgete ist eine Tradition, die in den Vierzigerjahren des 20. Jahrhunderts im Zuge der Professionalisierung und Industrialisierung der Fleischproduktion entstand. Davor kannte man die Metzgete von zu Hause, wo sich hierzulande viele Familien Schweine auf dem eigenen Hof hielten. Ein Schwein durch den Winter zu füttern, das konnte sich kaum einer leisten. Deshalb findet die Metzgete bis heute im Herbst statt. Meist in der einfachen Beiz, selten im Sternerestaurant.
«Ja, es ist ein kleiner Spagat», sagt Lisibach, obwohl bei ihr Metzgete nicht bedeutet, dass Schlachtplatten durch den Gastraum getragen werden. Kleine Portionen, spannende Probierhappen, ein bodenständiges Feinschmeckererlebnis. Ein Gericht wird nach dem anderen serviert. 40 Gäste erwartet sie, vielleicht ein paar mehr. Stammgäste und Metzgete-Fans. Es soll für jeden alles haben. Edelstücke, Wurst, aber auch Hackfleischvarianten. «Ehrliche Küche», beschreibt sie. «Ein gutes Hackfleisch ist toll und kriegt man nicht oft. Vielfach sieht man da Fleisch, das in der Pfanne komplett eingeht, weil es wässrig ist.»
Sommelier und Gipser züchten Lisibachs Schweine
Selbstverständlich sind ihre Schweine keine Durchschnittstiere. Dieses Jahr setzt sie erstmals auf die Schwarzen Alpenschweine von nebenan – ein Glücksfall für die GaultMillau-Köchin des Jahres 2015. Eine Schnapsidee zweier Jugendfreunde aus der Umgebung war es: Der eine fand, in der Region sehe man beim Spaziergang alles Mögliche, aber keine Schweine. Der andere lachte und machte mit. Und so züchten Luis Gubelmann und Michael Huber – hauptberuflich Sommelier und Gipser – seit einem Jahr Schweine.
Die beiden setzen dabei auf eine alpine Urrasse, deren Bestand in den letzten 100 Jahren arg geschrumpft ist und erst seit knapp zehn Jahren wieder angekurbelt wird: das Schwarze Alpenschwein. Leicht und kräftig gebaut, ist es dank der dunklen Färbung nicht sonnenbrandgefährdet. Es gilt als anspruchslos und robust und lässt die ganzjährige Freilandhaltung zu. Bei der Fütterung überlassen Gubelmann und Huber nichts dem Zufall: Für zwei Franken holen sie bei der lokalen Migros täglich eine grosse Kiste Ausschussware ab. «Vieles davon könnte ich locker noch selbst essen», erzählt Huber. Zusätzliches Futter lässt das Duo für ihre mittlerweile rund 60 Schweine eigens zubereiten. Dies garantiert ein gesundes Wachstum. Der grosszügige Auslauf führt schliesslich zu einem ausgezeichneten Fett-Fleisch-Verhältnis und überdurchschnittlichen Omega-n3-Werten.
Bernadette Lisibach schaut regelmässig bei ihren Schweinen und deren Züchtern vorbei. Bis kurz vor der Metzgete lebten die raren Schwarzen Alpenschweine nur fünf Gehminuten von der Neuen Blumenau entfernt und genossen viel Auslauf und gute Ernährung (Foto: Daniel Winkler)
Die Fahrt zum Schlachthof macht der Züchter nicht mit
Heute ist Lisibach selbst dabei bei der Fütterung, verwöhnt die Schweine mit Trauben, Tomaten und anderem Gemüse, das in der Migros keinen Abnehmer fand. «Ich bin mit Schweinen aufgewachsen, meine Eltern hatten einen Hof», verrät die 48-Jährige. Die Begegnung mit den Tieren bereitet ihr Freude, die Arbeit in der Küche mit Produkten aus der nahen Umgebung ist für sie so selbstverständlich, dass sie damit nie plakativ werben würde. Für Michael Huber ist aus der schrägen Idee im Nu ein zeitintensives Hobby geworden. Fast täglich holt er selbst das Futter ab und besucht seine Alpenschweine. «So läppern sich die Kosten», gesteht er. «Der Aufwand ist nicht zu unterschätzen.» Der Aufwand, aber auch die Fleischqualität liessen nur einen Schluss zu: Dieses Fleisch muss in die Spitzengastronomie und an Liebhaber. «Die Qualität ist unglaublich», schwärmt der Gipser. «Ich kaufe zwar schon von jeher kaum je Billigfleisch, aber dieses hier übertrifft alles.» Die Fahrt zum Schlachthof macht Huber nicht mit. «Ich gebe es zu: In dem Moment kann ich den Tieren nicht in die Augen schauen.»
Als die beiden Hobby-Züchter bei Lisibach vorstellig werden, zögert diese keine Minute. Klar, das Fleisch will sie zuerst selbst probieren, doch dann ist für die Frau mit dem Michelin-Stern und den 17 GaultMillau-Punkten klar: «So ein Projekt muss ich unterstützen. An dieser Freude der beiden wollte ich teilhaben.» Die Metzgete veranstaltet sie schliesslich schon seit elf Jahren, seit ihrem Start in der Neuen Blumenau. «Viele sagten mir zu Beginn, ich könne doch nicht Schwein servieren. Ich antwortete stets, dass ein Säuli genau so viel Platz in unserer Küche verdient wie andere Tiere. Viele verbinden das Schwein mit Cholesterin und Fett. Aber wenn man ein Schwein gut züchtet, hat es nicht mehr Fett als andere Tiere.» Zur hohen Fleischqualität gehört natürlich das präzise Handwerk in der Küche. «Das Einhalten der korrekten Temperaturen beim Anbraten, damit das Fleisch saftig bleibt. Dann darf man das Fleisch nicht überlagern, sonst verändert sich der Geschmack. Und: Schmorgerichte brauchen wirklich viel Zeit.»
Geschmack und Klassiker statt Schnickschnack
Bei den Beilagen verzichtet Lisibach auf Experimente und Kunststücke. «Ribelmais, Apfelmus, Apfelschnitze, Randensalat mit etwas Kümmel, brauner Weisskohl und Kartoffeln gehören zur Metzgete, Sauerkraut natürlich auch. Alles selbstverständlich aus der Region.» Die herausragende Qualität soll der Gast nicht durch Schnickschnack erkennen, sondern am Geschmack. «Ich werde die Randen auf Salz garen, damit sie keinen Geschmack verlieren.» Und zum Dessert? Auch da bleibt Lisibach klassisch: Apfelkuchen, Schoggicrème, Caramelköpfli. «Unsere Gäste schätzen die Ehrlichkeit sehr: Das Produkt ist auf dem Teller immer erkennbar.»
★ Die grössten Metzgete-Liebhaber
1968 wurde der Verein zur Förderung des Ansehens der Blut- und Leberwürste (VBL) im Restaurant Löwen Unteralbis in Langnau ZH gegründet. Die über 100 Mitglieder treffen sich regelmässig zu Metzgeten und bewerten im Anschluss die verspiesenen Schweinereien nach diversen Kriterien. Zum Ende des Vereinsjahrs verleihen sie den Beizen mit den am besten bewerteten Metzgeten Urkunden und Preise. 2021 siegte der Brauereigasthof Adler in Schwanden GL, 2020 die Besenbeiz vom Schnasbergerhof in Elsau ZH.