«Ein 0815-Kaffee reicht heute nicht mehr»

Oliver Borner – 06. Oktober 2022
Am vergangenen Samstag wurde am Tag des Kaffees das beliebte Heissgetränk gefeiert. Anlässlich dieses Tages sprach das GastroJournal mit Kaffeesommelier Willy Zemp über die Bedeutung des Kaffees in der Schweiz, Kaffeetrends und deren Auswirkungen auf die Gastronomie.

Willy Zemp, jede Schweizerin und jeder Schweizer trinkt im Schnitt drei Tassen Kaffee pro Tag. Verkommt das eigentliche Genussmittel zum Massenprodukt respektive zum Grundnahrungsmittel? 
Willy Zemp: Wir trinken in der Tat viel Kaffee. Doch die Zeiten haben sich geändert. Immer mehr Konsumierende wollen Kaffee bewusst geniessen und den Kaffee zubereiten und zelebrieren können. Daher bin ich zuversichtlich, dass die Entwicklung im Kaffeekonsum wieder mehr Richtung Genuss gehen wird. Wir brauchen also nicht mehr neue Kaffee-to-go-Konzepte, sondern wir sollen uns wieder mehr Zeit nehmen, mit Freunden zusammen eine leckere Tasse Kaffee zu geniessen. 

Welche Ansprüche stellen Schweizerinnen und Schweizer?
Kaffee muss harmonisch sein und den Konsumenten in eine andere Welt entführen. Dieser kurze Moment, wo wir Kaffee geniessen, soll alles um uns herum zum Stehenbleiben bringen und der Moment sein, wo wir unsere Seele kurz baumeln lassen können.

Wie haben sich die Ansprüche der Konsumierenden in den letzten Jahren verändert?
Kaffee darf heute etwas kosten. Man will eine Geschichte dahinter. Man will die Exotik vom Ursprung des Kaffees in jeder Tasse miterleben können.

Inwiefern hat sich die Art des Kaffeetrinkens in den letzten Jahren verändert?
Seit einigen Jahren erkenne ich, dass die Konsumierenden viel mehr über Kaffee erfahren möchten. Sie sind fasziniert vom Kaffee und wollen damit ein Stück Lifestyle erleben.

Was bedeutet diese Entwicklung für die Gastronomie, für die Kaffee einen grosse Bedeutung hat?
Es reicht heute nicht mehr, in der Gastronomie einen «0815» Kaffee auszuschenken. Seit Jahren sehe ich die Konsumverweigerung.

Inwiefern?
Es wird in der Gastronomie seit Jahren weniger Kaffee getrunken. Das hängt insbesondere mit dem Preis-Leistungs-Verhältnis zusammen. Der Gast ist nicht mehr bereit, die Preise für Kaffee in der Gastronomie zu bezahlen.

Wieso nicht?
Viele Konsumierende haben mittlerweile hochwertige Maschinen zu Hause und leisten sich hochwertigen Kaffee. Deshalb trinken sie ihren Kaffee bevorzugt in den eigenen vier Wänden.

Was kann die Gastronomie gegen diese Entwicklung tun?
Sie tut teilweise bereits etwas dagegen. Ich kenne viele Gastronomen, welche auf hochwertige Maschinen, wie zum Beispiel Siebträgermaschinen setzen, um den Ansprüchen der Gäste nachzukommen. Zudem sind viele Gastgeber mittlerweile bereit, höhere Preise für guten Kaffee zu bezahlen.

Massgebend für die höheren Ansprüche sind auch Trends. Wie spüren Sie solche in der Kaffeebranche auf?
Am besten durch direkte Gespräche mit einer Vielzahl an Kunden. Ich bin oft an Messen, Märkte, Kongresse oder gebe Kaffee Caterings und dort erfahre ich am besten von den Konsumenten anhand der Fragen, wohin sich der Trend wendet.

Welche Trends laufen aktuell und welche erwarten Sie für das kommende Jahr?
Ein Trend der schon länger stark spürbar ist, ist der Wechsel von einem System Kaffee zu einer traditionellen Siebträgermaschine. Die Kunden wollen Kaffee wieder erleben, riechen und schmecken können. So kommen immer mehr stylische Siebträgermaschinen auf den Markt von sehr Preis bewusst bis High Class Maschinen. 

Als Kaffeesommelier ist Kaffee Ihr Werkzeug. Was fasziniert Sie persönlich am Kaffee?
Als ehemaliger Winzer hat mich die Vielfalt von Kaffee schon immer total fasziniert. Kaffee ist für mich wie Wein. Daher liebe ich einzelne Varietäten aus einzelnen Parzellen und vereine solche Kaffees gerne zu ganz besonderen Cuvées.

Welche Rolle spielt Kaffee in Ihrem Alltag?
Bei mir dreht sich alles um Kaffee und dies täglich. Kaffee ist pure Leidenschaft für mich.

Eine Leidenschaft, die in der Schweiz durchaus auch vorhanden ist. Welche Bedeutung messen Sie dem Kaffee in der Schweiz zu?
Kaffee ist für die Schweizer Bevölkerung sehr wichtig. Doch weiss man oft noch gar nicht so viel über Kaffee. Dazu ein Beispiel: Würden Sie einen Rotwein trinken wo "Rotwein aus Europa" draufsteht? Nein?  - Aber Arabica aus Brasilien ist völlig ok? Alleine beim Arabica kennen wir über 6000 verschiedenen kultivierte Varietäten. Da möchte ich doch, wie beim Wein, wissen, was genau ich nun in der Tasse probieren darf. 

Und wie muss Kaffee nach der Meinung des Profis schmecken?
Ich persönlich mag es, wenn ich aus einer Tasse Kaffee den Jahrgang, die einzelne Varietät, die Region, das Mikroklima schmecken kann. Wenn mir der Kaffee eine Geschichte zu erzählen vermag, wie dies ein gutes Glas Wein vermag, bin ich zufrieden.

Sie bieten auch Seminare und Kurse rund um Kaffee an. Was wollen Sie den Menschen damit weitergeben?
Die Teilnehmenden sollen Kaffee wieder als Genussmittel verstehen und erkennen, dass Kaffee und Wein viel mehr gemeinsam haben als man zunächst erahnen könnte. Ich möchte das Image vom Wachmacher aus der Welt schaffen. Kaffee soll unter Freunden genossen werden und zum philosophieren anregen.

Wie blicken Sie in die Zukunft des Kaffee (-konsums) in der Schweiz?
Durch die stark steigenden Preisen an der Kaffeebörse wird sich der Konsum verändern. Man wird weniger Kaffee, aber dafür viel bewusster und vor allem qualitätsbewusster Kaffee geniessen, wie dies zu Beginn des Kaffeebooms in der Schweiz der Fall war.