«Ich bin nicht die erste Frau und Köchin, die Kinder bekommt»

Isabelle Buesser-Waser – 23. Februar 2023
Marie Robert, die Chefin des Café Suisse in Bex VD, hat soeben ihre neue Speisekarte präsentiert. Im Interview spricht die Sterneköchin über ihre Erfahrungen als Frau in der Spitzengastronomie und darüber, wie sie ihre Parallelwelten zwischen Muttersein und der Betriebsleitung organisiert.

Übersetzung: Corinne Nusskern

Mitten im Dorf Bex im Kanton Waadt befindet sich das Café Suisse. Das mit einem Michelin-Stern ausgezeichnete Gourmetrestaurant ist das erste «Baby» der Küchenchefin Marie Robert. Doch seit sechs Monaten hat sich das Leben der 34-jährigen Waadtländerin radikal verändert: Im August 2022 hat sie ein kleines Mädchen zur Welt gebracht. Obwohl die Auf­gabe immens erscheint, wirkt die Sterneköchin angesichts dieser doppelten Herausforderung gelassen. «Ich bin nicht die erste Frau, die Kinder bekommt, und auch nicht die erste Köchin! So viele andere Mütter haben das auch schon durchgemacht. Die Dreisterneköchin Anne-Sophie Pic hat ein Kind, wenn ich mich nicht irre, und das hat sie nicht daran gehindert, all die Auszeichnungen zu bekommen», sagt sie souverän.

Marie Robert leitet das Café Suisse zusammen mit ihrem Geschäftspartner Arnaud Gorse. Die Speisekarte ändert sie fünfmal im Jahr, ebenso die Dekoration des Restaurants. Das Konzept für 2023 lautet: Jeweils ein Kanton steht im Zentrum der Speisekarte. Den Auftakt macht aktuell der Kanton Waadt. Zwei Tage vor Wiederaufnahme des Betriebs nach der Winterpause ist das Restaurant noch eine Baustelle. Alle arbeiten in einem besonders hohen Tempo, um die neue Speisekarte und das dazu passende Interieur zum Leben zu erwecken. «Ich möchte meinen Gästen mehr als nur Gerichte anbieten. Das Ziel ist, dass ihr Essen ein komplettes Erlebnis ist, das zu mir passt», sagt die Chefin, während ihre Brigade aufmarschiert, um die letzten Kreationen der neuen Speisekarte zu testen.

«Als Frau Chefköchin zu sein, ist auch ein Vorteil»

Marie Robert lässt niemanden gleichgültig. Das hat ihr auch einige Kritik eingebracht: «Einige Leute haben behauptet, ich hätte meinen Erfolg meinen langen roten Haaren zu verdanken, aber das ist zum Glück eine Minderheit», sagt sie. «Wir haben das Café Suisse vor 13 Jahren eröffnet. Vielleicht hat meine Haarfarbe ein Jahr lang ein paar Neugierige angelockt, aber ich glaube nicht, dass man nur dadurch so lange erfolgreich sein kann.»

Noch immer werden Frauen wegen ihres Aussehens kritisiert, und oft müssen sie mehr arbeiten, um ihren Platz zu fin­den. Die Wirtin des Café Suisse meint jedoch: «Es stimmt, dass man früher sagte, Frauen hätten keinen Platz in der Spitzengastronomie, aber heute hat sich das wirklich geändert», führt sie aus. Natürlich treffe man manchmal auf Männer, die sich über­legen fühlten und unpassende Bemerkungen machten, aber dies täten nur noch wenige. «Ich finde, dass Sexismus in Profiküchen nicht mehr zeitgemäss ist und dass wir dieses möglicherweise noch vorkommende Bild, das der Vergangenheitangehören sollte, ändern müssen.» Es könne in dieser Bran­­che sogar ein Vorteil sein, eine Frau zu sein. «Da wir nicht sehr zahlreich sind, werden wir schnell ins Rampenlicht gerückt.»

Marie Robert wurde in Châtel-Saint-Denis FR geboren und begeisterte sich schon früh für das Kochen. Die Schule war nicht ihre Stärke, aber die Gastronomie wurde ihr zur Selbstverständlichkeit, obwohl niemand in ihrem Umfeld in der Gas­trobranche arbeitete. Sie absolvierte ihre Kochlehre im Bleu Lézard in Lausanne VD und bildete sich bei Spitzenkoch Thierry Marx in Paris weiter, bevor sie ihr Lokal in Bex eröffnete. «Ich wollte schon immer ein eigenes Restaurant haben. Ich habe mich für Bex entschieden, weil ich anfangs wenig Geld hatte und die Mieten hier billiger sind. 13 Jahre später bin ich immer noch hier.» Das Café Suisse war ihr erstes «Baby», das sich seit der Eröffnung ziemlich weiterentwickelt hat. Schaue sie sich heute ihre ersten Menüs an, schäme sie sich fast ein bisschen. «Ich lerne ständig dazu, versuche, mich zu verbessern und stelle mich selbst immer wieder infrage», erklärt sie. «Und es ist noch nicht vorbei!»

Eine starke und gut vorbereitete Brigade

Die Küchenchefin konnte sich nie wirklich vorstellen, ein Familienleben zu führen, obwohl sie gerne Mutter sein wollte. Im August 2022 brachte sie schliesslich ihr zweites «Baby» zur Welt, Camille. Ein wunderbarer Moment, der ihr aber viel Organisation und Loslassen abverlangte. «Ich habe bis zwei Wochen vor der Entbindung gearbeitet. Aber irgendwann muss man akzeptieren, dass es besser ist, anderen die Leitung zu überlassen», erzählt Robert. Sie plante die Zeit ihrer Abwesenheit mit dem Team bis ins Detail durch und übergab die Zügel an Anna Beta, ihre Souschefin. «Anna arbeitet seit elf Jahren bei uns, sie ist sehr präsent und in einigen Punkten besser als ich.»

Während ihres Mutterschaftsurlaubs erlebte sie viel Unterstützung und Toleranz, auch von Kundenseite. «Es lief sehr gut. Doch, wäre das Restaurant wegen meiner Mutterschaft untergegangen, wäre ich sofort wieder aufgesprungen», sinniert sie. «Aber es wäre eine sehr enttäuschende Welt, wenn Kunden und Kritiker ein Lokal niedermachen würden, weil die Chefin sich um ihr Neugeborenes kümmert.»

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Eines der Desserts auf der Kanton-Waadt-Karte ist eine Hommage an Charlie Chaplin, der 25 Jahre in Corsier-sur-Vevey lebte. (Foto: Mélody Sauvain)

Eine tolle Nanny

Nach dem Mutterschaftsurlaub wartete eine weitere Herausforderung auf Marie Robert und ihren Lebenspartner Bekim, der in Bex sein eigenes Lokal, das Grotto 04, leitet. Von nun an musste das Paar sein Leben als Unternehmer und Eltern bewältigen und das richtige Gleichgewicht zwischen Familien- und Berufsleben finden. «Am Anfang war es nicht leicht, meine Tochter zurückzulassen, um wieder zur Arbeit zu gehen, aber ich habe das Glück, eine wirklich tolle Nanny zu haben», erzählt Robert. «Im Café Suisse habe ich relativ schnell wieder meinen Platz gefunden, es läuft gut.»

Um auf allen Ebenen effizient sein zu können, hat die Sterneköchin nur einen Rat: Organisation. Die kleine Camille verbringt den Sonntag, Montag und Dienstag mit ihrer Mutter, den Dienstagabend mit der Familie und den Mittwoch mit ih­rem Vater. Das Café Suisse ist an drei Tagen in der Woche ge­schlossen, zudem jonglieren die Eltern mit gekürzten Öffnungszeiten. «Dank diesen Anpassungen kann ich jeden Nachmittag Zeit mit meiner Tochter verbringen. In keinem anderen Beruf kann man so viel Zeit mit seinem Baby verbringen», sagt sie.

«Wir arbeiten viel, und wir haben es unserer Tochter direkt gesagt: ‹Du bist in eine Familie von Restaurantbesitzern hineingeboren, du musst dich anpassen!›», sagt sie schmunzelnd. Aber sie fühlt sich privilegiert – im Vergleich zu anderen Müttern, die zu 100 Prozent in einem Büro arbeiten. «Wenn diese von der Arbeit nach Hause kommen, müssen sie sich um das Abendessen kümmern und verbringen nur wenig Zeit mit ihren Kindern, bevor sie ins Bett gehen, während ich meine Tochter jeden Tag zwischen 14 und 17 Uhr geniessen kann.»

 

Das Café Suisse

• Eröffnung 2009
• Chefköchin: Marie Robert
• 2011: Aufnahme in den GaultMillau mit 13 von 20 Punkten
• 2019: Marie Robert wird zur Köchin des Jahres gekürt und erhält 16/20 Punkte im GaultMillau
• 2020: ein Stern im Guide Michelin
• Konzept: ein Gourmetmenü, das fünfmal im Jahr wechselt, zusammen mit der gesamten Dekoration des Restaurants, um ein vollständiges Erlebnis zu bieten. 
• Küche: kreative, spielerische und ästhetische Küche mit frischen, saisonalen Produkten