«Die Hemmungen gegenüber Insekten sind nach wie vor da»

Oliver Borner – 16. Februar 2023
Insekten-Food ist in der Schweizer Gastronomie noch immer mit Ekel und Unappetitlichkeit verbunden. Zu Unrecht, sagen Produzenten. Neue Produkte und Aufklärung sollen das Image in Zukunft ändern.

Mehlwürmer, Heuschrecken und Grillen. Seit 2017 dürfen diese Insekten in der Schweiz legal als Nahrungsmittel verkauft werden. Der Hype um die neuen Lebensmittel war gross, man rechnete mit einem ähnlichen Siegeszug wie bei vegetarischen oder veganen Fleischersatzprodukten. Sechs Jahre später jedoch ist das Thema fast ganz aus der Öffentlichkeit verschwunden. Detailhändler wie die Migros haben nach anfänglicher Goldgräberstimmung die Insekten-Food-Produkte wie Burger oder kleine Snacks wieder aus dem Sortiment genommen. Das Interesse der Kundinnen und Kunden war schlicht zu klein.

Ein anders Bild präsentiert sich in der hiesigen Gastronomie. «Wir verzeichneten in den letzten fünf Jahren einen konstanten Anstieg des Interesses an unseren Insektenprodukten», sagt Noelle Gmür von essento, einer der ersten Hersteller von Insekten-Food in Europa. Die Firma mit Sitz in Zürich stellt seit 2017 Insektenprodukte für den Detailhandel und die Gastronomie her. Darunter Snacks, Burger und getrocknete Insekten. Besonders beliebt seien dabei die Burger, oder die getrockneten Insekten, welche sich als Snacks oder Topping eigneten. Insbesondere mexikanische und asiatische Restaurants, wie zum Beispiel die Wiesner-Kette Nooch, Kantinen an Unis und Fachhochschulen, oder die Zürcher Restaurants The Butcher und Louisiana bieten die Produkte an. Auch die Spitzengastronomie zeige Interesse.

Hemmschwelle ist hoch

Dennoch will Gmür nicht von einem grossen Trend in der Schweizer Gastronomie sprechen. «Es ist und bleibt weiterhin ein Nischenprodukt, welches sich seinen Platz in der Gastronomie erkämpfen muss», sagt sie. Grund dafür seien weniger die Preise, sondern vielmehr die generellen Hemmungen der Gäste sowie der Gastronominnen und Gastronomen gegenüber Insekten. «Obwohl die Gäste eigentlich offener und toleranter gegenüber alternativer Ernährung geworden sind, gelten Insekten in unserer Kultur noch immer als eklig und unappetitlich».

Dabei liege gerade im Neuen eine grosse Chance für die Gastronomie. «Jeder Betrieb, der jetzt auf den Zug aufspringt, kann sich als innovativ und offen präsentieren und sich so von anderen Betrieben abheben», sagt Gmür. Es ginge dabei nicht darum, den Gästen etwas aufzuzwingen, sondern ihnen Alternativen zu Fleisch und vegetarisch oder vegan zu bieten. Mit Blick auf die Nährwerte haben die Produkte durchaus ihre Berechtigung. Sie enthalten mehr Protein als Fleisch und sind insbesondere in der Herstellung günstiger und ökologischer. So verbrauchen die Insekten bei der Aufzucht bis zu zehnmal weniger Futter und bis zu hundert mal weniger Wasser. Zudem benötigt die Insektenzucht viel weniger Platz als die Aufzucht von Rind, Schwein oder Poulet. Das lohnt sich nicht nur finanziell, sondern auch ökologisch.

 

2207 EssentoProdukt 32

Das momentan beliebteste Produkt auf dem Markt der Marke essento: der Insekten-Burger. (Bild: zVg)

Gastronomie als Trendsetter

Eine Konkurrenz zu Fleisch sollen die Produkte aber nicht sein. «Es ist eine Utopie, dass die Insekten-Food-Produkte das Fleisch ganz aus unserer Essenskultur verdrängen werden», sagt Gmür. Sie sollen vielmehr ein Teil einer nachhaltigen und vielseitigen Ernährung sein. Dabei kann die Gastronomie eine entscheidende Rolle spielen. «Es ist oftmals so, dass die Gastronomie, insbesondere die Spitzengastronomie, Trends setzt, welche dann nach und nach übernommen werden. Das war bei vegetarisch und vegan so, also kann dies auch bei den Insekten funktionieren», so Gmür. Die Gastronomie brauche einfach Mut, etwas Neues auszuprobieren.

Zur Unterstützung ist Gmür mit ihrem Team regelmässig an Messen und Schulen unterwegs und hält Vorträge zum Thema Insekten-Food. Darüber hinaus bietet essento Kochkurse und Führungen durch die Insektenzucht in Endingen AG für Köchinnen und Köche und für Privatpersonen an. «Es geht darum, dass wir Aufklärungsarbeit betreiben, um sowohl den Gastronomen als auch den Gästen die Hemmung oder Angst vor den Produkten zu nehmen.» Die Erfahrung zeigt, dass ein kurzes Gespräch meist reicht, um das Interesse der Gastronominnen und Gastronomen zu wecken.

«Die Zeit wird kommen»

Auch wenn die Insekten-Food-Bewegung in der Schweiz noch in den Kinderschuhen steckt, glaubt Gmür an die Zukunft der alternativen Ernährungsform. «Ich bin davon überzeugt, dass das Interesse an den Produkten auch in Zukunft steigen wird.» Gerade weil die Produkte relativ günstig herstellbar sind und eine nachhaltigere Produktion versprechen, sind sie für die Industrie interessant. Die Herausforderung liegt in der Produkteentwicklung. «Die Hersteller müssen den richtigen Weg finden. Das heisst: Sie müssen sich die Frage stellen, was der Gast oder die Gastronomie will», so Gmür. Dafür brauche es vorerst viel Zeit. «Die Ernährungsgewohnheiten der Menschen ändern sich von Natur aus nur sehr langsam. Die Branche muss sich daher in Geduld üben.»