Gastronomie

Gegen den Strom – der Zukunft entgegen

Corinne Nusskern – 11. Februar 2023
Sechs Freunde denken die Indoor-Aquakultur neu und gründen das Start-up LocalFish AG. Sie machen alles selbst: vom Bau der Anlagen, der Aufzucht der Jungtiere bis zu den Chnusperli. Und sie haben den Wels! Eine Delikatesse mit einem enormen Potenzial – vor allem für die Gastronomie. Zudem sind die Gäste bereit, für lokalen Fisch mehr zu bezahlen. Dies bestätigt ein Test.

Die Zahl stimmt nachdenklich: 97 Prozent aller in der Schweiz verzehrten Fische sind importiert. Die überfischten Meere und die langen Transportwege machen es nicht besser. Die meisten Menschen nehmen die Fakten zur Kenntnis, andere suchen nach Lösungen, wie etwa das Start-up LocalFish AG, gegründet Ende 2020 von sechs Freunden. Sie betreiben Indoor-Aquakulturen, um den regionalen Markt mit nachhaltig produzierten Fischen ohne Schwermetalle oder Mikroplastik zu bedienen. Damit sind sie nicht die Einzigen – aber anders.

Sie kaufen keine Jungfische ein, sondern ziehen sie von den Muttertieren bis zum ausgewachsenen Fisch selbst. Und sie sind die Einzigen, die verschiedene Fischsorten an mehreren Standorten anbieten: in Lyss BE, Rafz ZH und Bischofszell TG, und decken damit die gesamte Deutschschweiz mit regionalem Fisch ab.

 

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Der Wels: nicht der Schönste im Teich, aber ein kulinarisches Vergnügen auf dem Teller. (Foto: ZVG)

«Aus Bischofszell, nicht aus Estland»

Jeder der sechs Mitgründer hat einen anderen beruflichen Hintergrund. Lukas Schneeberger war Primarlehrer, heute ist er der Fischflüsterer im Betrieb und unterrichtet an der HAFL Fischwirtschaft. Mit seinem Jugendfreund Pascal Stucki, Inhaber einer Gebäudetechnikfirma, tüftelte er die letzten zehn Jahre am perfekt rezirkulierenden Aquakultursystem. Sie kümmerten sich um Patente, entwickelten die Biofiltrationen, forschten und sammelten Erfahrungen – heute bauen sie sämtliche LocalFish-Anlagen selbst. Mit der Zeit kamen der Zahlenfuchs Daniel Fuhrer, Thomas Adler als CEO sowie Tobias Markstaller und Thomas Bangerter dazu. «Alles gestandene Leute zwischen 35 und 45, wir ergänzen uns perfekt», sagt Adler.

Im Juli 2021 waren die ersten Fische schlachtreif. Die Bestseller sind Egli und Zander. Was es bis anhin aus Schweizer Zucht so nicht gab, sind Kretzer, kleine, 90 Gramm leichte Egli. «Unsere Kretzer kommen aus Bischofszell und nicht aus Estland!», sagt der 44-jährige Vater von zwei Kindern.

Und sie haben den europäischen Wels, den hat sonst niemand. «Eine Delikatesse!», schwärmt Adler. In den Balkanländern und in Österreich ist er längst als solche etabliert. Der Wels mit seinem festen Fleisch und der Absenz von Gräten eignet sich nicht nur für die Gourmetküche, sondern auch für Altersheime und Kinderkrippen. Er könnte mittelfristig den Pangasius ablösen, einen der meistimportierten Fische in der Schweiz. «Das funktioniert erst ab Hunderten von Tonnen», relativiert Adler. «Den Pangasius gibt es so gar nicht», fügt er an. «Es ist ein reiner Marketingname, es handelt sich dabei um einen asiatischen Haiwels.»

 

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Welsfilet: Von Spitzenkoch Gabriel Heintjes in Szene gesetzt.. (Foto: ZVG)

Spitzenkoch Heintjes und der Wels

Und wie ist der Wels geschmacklich? Gabriel Heintjes (30), selbstständiger Catering- und Event-Spitzenkoch im Fine- Dining-Bereich, hat ihn an diversen Anlässen eingesetzt, und die Gäste waren begeistert. «Der Wels hat nichts ‹Gründeliges›, sondern einen zarten, erdig-süsslichen Geschmack.» Und er ist ein Allrounder: Heintjes hat ihn pochiert, confiert, grilliert, geräuchert und Fischballs aus ihm gemacht. «Aber am tollsten finde ich ihn klassisch angebraten, dann bekommt er eine caramelig-malzige Note.» Auch die Farbe inspiriert ihn: «Dieses leichte Blassrosa ist spannend.»

Rund 50 Prozent der gesamten Local­fish-Produktion geht in die Gastronomie. Die Bestseller sind Zander und Egli. «Wir machen Fisch nach Mass», erklärt Adler. Geliefert wird nach Wunsch: ganzer Fisch, Filets, mit oder ohne Haut oder selbst hergestellte Chnusperli im Bierteig. Ab einer Bestellmenge von fünf Kilogramm gibt es diese in diversen Geschmacksrichtungen, etwa mit Safran, Orangen-Chili oder Kokos-Curry. «In Rafz realisieren wir dieses Jahr eine eigene Chnusperli-Strasse», sagt der CEO.

 

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Wels-Filet: Zartrosa Farbe, festes Fleisch, gross im Geschmack. (Foto: ZVG)

«Wir sind eigentlich ein Ecosystem»

60 Prozent eines Fisches wird nicht verwertet. LocalFish verfolgt eine Zero-
Waste-Strategie und stellt aus Kopf und Abschnitten Fischfonds her, weitere Nebenprodukte werden folgen. Das Start- up hat kürzlich das Label «Suisse Garantie» erhalten. «Wir haben die höchste Güteklasse», sagt Adler. Auch Heintjes lobt die Qualität: «Die Masse beim Trockenanteil ist gigantisch.» Adler spricht von einem signifikanten Prozentanteil mehr Fischfleisch an der Gräte.

Bei LocalFish wird ressourcenschonend gearbeitet, man setzt auf Kreislaufwirtschaft ohne Co₂, und ohne Antibiotika. 99,5 Prozent des Wassers wird aufbereitet und bleibt im Kreislauf. Der Fischkot wird gefiltert und landet als Dünger auf den Feldern von Landwirtschaftsbetrieben. Bis zu 90 Prozent der Energie wollen die Verantwortlichen mit Solarstrom selbst erzeugen. «Eigentlich sind wir keine Fischzucht, sondern ein Ökosystem», sagt Adler.

 

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«Ein Fisch ist keine Gans!»

Elementar ist das Tierwohl. Der Fisch ist zwar ein Schwarmtier, doch er braucht Platz. Bei LocalFish befinden sich lediglich 4 bis 8 Prozent Fisch im Verhältnis zum Wasser in einem 30 000-Liter-Becken. 32 Stück davon stehen allein in Rafz.

«Auch beim Futter entwickeln wir eigene Formeln, damit wir ohne durch Beifang belastetes Fischmehl auskommen und so die Ozeane schützen», sagt Adler. Der Futterroboter ist so installiert, dass der Fisch schwimmen muss, um an Futter zu gelangen. Er muss sich wohl fühlen, ist er gestresst, wächst er nicht. «Man kann ihn nicht stopfen, ein Fisch ist keine Gans!» Die Aufzucht eines Eglis dauert 7 bis 8 Monate, beim Zander sind es 12 bis 14 Monate und beim Wels 1,5 bis 2 Jahre. 2023 möchte LocalFish die magische Produktionsgrenze von 100 Tonnen Fisch überschreiten. Rund 15 Mitarbeitende helfen dabei, ihre Zahl ist stark wachsend.

Nachhaltigkeit ist immer stärker gefragt. Fisch aus Indoor-Aquakulturen gilt in der Herstellung als das nachhaltigste Protein. Ein Vergleich: 1 Kilogramm Fisch verbraucht 1 Liter Wasser, 1 Kilogramm Soja 2500 Liter und 1 Kilogramm Rindfleisch sogar 15 000 Liter.

 

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Fisch-Chnusperli: Kommen sie aus der Region, stimmt es auch mit der Nachhaltigkeit. (Foto: ZVG)

Fünf Franken mehr? Gerne!

Ein Diskussionspunkt ist oft der Preis: Der Fisch von LocalFish kostet einiges mehr als jener aus Estland, dafür ist Raubbau an der Natur ausgeschlossen. Da sagt mancher Wirt: «Das zahlt der Gast nicht.»

LocalFish führte während zweier Mo­nate einen Test in einem Restaurant mit grossem Fisch-Chnusperli-Umsatz im Zürcher Unterland durch. Der Betrieb bot wie immer seine Egli-Chnusperli aus Kasachstan an. Ein der Karte beigelegter Flyer informierte, dass für fünf Franken mehr Egli-Chnusperli aus regionaler Produktion bestellt werden können. Der Gast hatte die Wahl, und das Unglaubliche geschah. «Über 95 Prozent haben die Chnusperli für fünf Franken mehr bestellt», sagt Adler. Das schafft Vertrauen und sorgt für zurückkehrende Gäste.

Für die sechs von LocalFish ist dies ein weiterer Ansporn, sich weiterzuentwickeln, auch gegen den Strom. Sie haben noch manch Pfeil im Köcher – oder Köder an der Angel. Adler nickt. «Oh ja, die Reise geht weiter.»

localfish.ch