Gastronomie

Der Fischsommelier

Corinne Nusskern – 04. Februar 2021
Er war der erste in der Schweiz: Hanspeter Schläppi ist seit 2017 diplomierter Fischsommelier. Für ihn noch lange nicht das Ende der Angelrute. Er versteht sich auch als Botschafter und will sich stets weiterentwickeln.

Der erste Fischsommelier der Schweiz stammt aus dem Berner Oberland, aus Lenk. Der nächste grössere See, der Thunersee, ist etwa 50 Kilometer entfernt. Nichtsdestotrotz ist Hanspeter Schläppi (51) der erste Schweizer, der 2017 den neuen Lehrgang zum Fischsommelier IHK der Transgourmet Seafood in Bre­mer­haven (D) besucht. Es ist der einzige Ort in Europa, wo der Weiterbildungskurs angeboten wird. Voraussetzung sind gute Vorkenntnisse. Die elf Module umfassen von der Geschichte über Warenkunde und Qualitätssicherung bis zur Sensorik ein intensives Spektrum. Wie ist Schläppi (51) zum Fisch gekommen? Ganz früher fischte er noch selber. Doch seine Faszination kommt woanders her. «Ich habe Koch gelernt. Nach neun Jahren in der Küche wechselte ich zu Gertsch Comestibles in Thun», erzählt er. «Das breite Fischangebot hat mich auf diese Bahn gelenkt.» Inzwischen arbeitet er seit 17 Jahren bei der Transgourmet Schweiz AG.

Nachhaltigkeit fördern

Wenn Schläppi etwas anpackt, interessiert es ihn auch, er hinterfragt und wird wissbegierig. Der Fisch­sommelier war die logische Konsequenz. Es gibt in der Schweiz nur wenige Fachleute mit seinem Wissen. Schläppi zeichnet für das gesamte nationale Fisch- und Seafood-Sor­timent der Transgourmet, der 31 Prodega-Märkte und des Frischparadies Zürich verantwortlich sowie für die Beratung und Schulung. Meist sitzt er im Büro. «Etwa 95 Prozent der Fische werden importiert, nur rund 5 Prozent stammen aus der Schweiz.» Er kennt und besucht seine Produzenten, vor allem in der Schweiz. Aber auch jene im Norden Europas, ihrem Hauptfanggebiet in Norwegen, Irland oder Deutschland. In der Fischabteilung steht er nur noch selten. «Manchmal vermisse ich das, da ich sehr frontorientiert bin», sagt er. Frontkontakt geniesst er telefonisch mit Kunden sowie Lieferanten aus aller Welt.

Das Sortiment ist enorm: 150 Seafood-Produkte, 40 Räucherfisch- und über 60 Lachsartikel. Nachhaltigkeit steht für Schläppi an erster Stelle. Hat er beim persönlichen Genuss zwischen Süss- und Salzwasserfisch die Wahl, entscheidet er sich immer öfter für ein einheimisches Tier wie Saibling oder Zander. «Corona hat dem Regionalität- und Nachhaltigkeitstrend noch mal einen Schub gegeben», führt der Fischsommelier aus. «Das spüren wir im Verkauf.» Aber nicht jeder Kunde zeige Verständnis, wenn der Markt aufgrund von Stürmen, Fangquoten oder Schonzeiten etwas nicht hergibt. «Viele glauben, wir haben alles ständig verfügbar. Dem ist nicht so!», erklärt Schläppi. Bereits der logistische Weg von einer Angel in Island bis in den Schweizer Laden dauert zwei bis drei Tage.

Die Zukunft? Aquakultur!

Ein kontroverses Thema ist die Frage nach Wildfang oder Zucht. Schläppi kämpft etwas mit den negativen Reaktionen, sobald das Wort Aquakultur fällt. «Ein Rind oder ein Poulet ist auch Zucht! Nur wird dies kaum hinterfragt.» Für ihn liegt die Zukunft in der Aquakultur. Dafür sprechen einerseits die überfischten Meere andererseits die Ressourcen. «Bis 2030 braucht die Weltbevölkerung etwa 20 Prozent mehr tierisches Protein», erklärt er. «An Land geht es nicht, da werden bereits 38 Prozent der Weltoberfläche für die Nahrungsmittelproduktion genutzt.» Dass es so nicht weitergehen kann, ist klar. Wichtig sei, stets zu hinterfragen, woher der Fisch kommt, aus welcher Art von Aquakultur. «In der Schweiz, in Europa und den USA herrschen gute Kontrollen, damit weder Fisch noch Gewässer Schaden nehmen», erläutert er.

Mogelpackung Crevetten

Mit der Sortimentsauswahl versucht der Fischchef Kunden auch ein bisschen zu lenken, stets mit dem Blick auf Nachhaltigkeit. «Wir waren die ersten im Schweizer Grosshandel, die aufhörten, lebende Hummer und Langusten zu verkaufen. Da mangelt es am Tierwohl, vor allem beim Transport.» Auch bei Crevetten schlägt Schläppi einen anderen Weg ein. Vielfach seien Crevetten mit Salz und Phospat behandelt. Das generiert bis zu 20 Prozent Wasser ins Crevettenfleisch. Und um den Geschmack der oft moosigen Tümpel zu kaschieren, werde Ascorbinsäure eingesetzt. «Das is alles legal, sofern es deklariert wird», sagt er. Seit bald zehn Jahren bietet Transgourmet eine Eigenmarke nach Knospe-Richtlinien an: Bio Black Tiger Crevetten, die wild in natürlich überfluteten Mangroven-Teichen des Mekongdeltas in Vietnam aufwachsen. Ein Bauernprogramm, wo von 1200 Bauern jeder sein abgegrenztes Mangroventerroir hat. «Das schmeckt man, es ist eine ganz andere Crevette, knackig wie ein Wienerli!», schwärmt Schläppi. Er war sich sicher, diese Crevette gut zu verkaufen, trotz 20 Prozent Preisdifferenz. «Leider ist es extrem schwierig, die Kunden von diesem Mehrwert zu überzeugen. Meist wird nur über den Preis eingekauft.» Die Crevetten liegen bezüglich Beliebtheit in der Kategorie Krustentiere vorn. Der mit Abstand bestverkaufte Fisch ist der Lachs. Bei den Schalentieren sind es die Miesmuscheln. Und: «Niemand auf der Welt isst pro Kopf so viel Egli wie die Schweizer», fügt Schläppi an. «Eine wachsende Nachfrage besteht bei Fischfilets ohne Gräten, vor allem im Spital- und Heimbereich.»

Fisch, ein schnelllebiges Thema

Gern erinnert sich Schläppi an eine Weiterbildungsreise mit den Metzgereiabtei­lungsleitern der Prodega-Märkte in Norwegen. «Wir waren etwa 25 Personen und fuhren mit einem Schiff aufs Meer hinaus, um zu fischen. Das Wetter war schön, aber so beissen die Fische schlecht an», erzählt er. «Welch Genugtuung, dass ich als Einkäufer den grössten Fisch herausziehen konnte!» Sie legten bei einer Insel an und grillierten die topfrischen Fische. «Ein bleibendes Erlebnis!» Als Fischsommelier versteht sich Schläppi auch als Botschafter. Man müs­se sich immer weiterentwickeln, über Trends und Entwicklungen informiert sein. Vor allem in seinem Alltag ist Fisch ein schnelllebiges Thema. «Bei Problemen muss ich jeweils kurzfristig eine Alternative finden», betont Schläppi.

Da hilft ihm oft die Whatsapp-Grup­pe der Sommelier-Ausbildung. Bei Fragen erhält er von den Sinnesgenossen innert kürzester Zeit eine kompetente Antwort aus irgendeiner Ecke Europas. Schläppi gesteht, dass er selbst zu wenig Fisch isst. «Empfohlen sind ein- bis zweimal pro Woche, ich schaffe es einmal pro Woche.» Aber auch der Fischsommelier mag nicht alles aus dem Meer. «Ich hüpfe nicht sehr weit für Austern, auch Seeigel und Quallen muss ich nicht haben.» Im Lehrgang war am Rand auch Wein ein Thema. Weiss oder rot zu Fisch? «Beides! Nur Weisswein zu Fisch ist ein alter Zopf», sagt Schläppi. «Ist ein Fisch­ge­richt kräftig gewürzt, verträgt es durchaus einen Roten.»

Hanspeter Schläppi (51)
Der Berner Oberländer ist gelernter Koch und Gesamtverantwortlicher für Fisch und Seafood bei Transgourmet Schweiz AG. Als erster Schweizer hat Schläppi 2017 den Lehrgang zum dip­lomierten Fischsommelier IHK in Bremerhaven (D) absolviert. Er lebt in Scheunenberg BE und ist Vater einer erwachsenen Toch­ter. Im Winter fährt er gern Ski, im Som­mer ist er leidenschaftlicher Segler. Er hat ein steinaltes Boot auf dem Bielersee. Vor vier Jahren machte er das Hochseebrevet und chartert einmal jährlich ein Segelboot im Mittelmeer. Lieblingsziele: Die Buchten von Sardinien und Korsika.

Tipps vom Profi

  • Beim Kauf stets auf Nachhaltigkeit achten. Trotz Label-Wirrwarr ist ein Label besser als keines. Etabliert sind nebst Bio, ASC und MSC.
  • Lagerung bei 0° bis 3° Celsius im unteren Bereich (in Bodennähe) des Kühlers: Fisch in einen GN-Behälter plus gelochter Tropfschale legen, eine Folie darüber und erst dann das Eis auf den Fisch drapieren.
  • Frisch versus gefroren: Geschmacklich ist frisch immer besser. Wünscht der Gastronom eine fixe Kalkulation oder für grosse Mengen eine fixe Fischfiletgrösse, ist TK einfacher zu bewirtschaften.
  • Häufige Fehler im Umgang mit Fisch: Der Fisch wird zu lang gekocht, er sollte immer glasig sein.
  • Schläppis Tipp für Zurückhaltende: «Viele haben Angst vor der ­Zu­bereitung von Fisch, aber da soll man sich einfach trauen.»