Hotellerie

Tourismus in der Stadt – wie weiter?

– 25. März 2021
Zehn Hotelschliessungen in Zürich, ein täuschendes Bild in Basel, Unruhe in Luzern: Die Krise in den Städten ist enorm. Keine Geschäftsreisende, keine Gruppen aus Nordamerika und Asien und äussert zurückhaltende Prognosen bei den Entscheidungs­trägern.

Atlantis by Giardino, Ascot, Glärnischhof, Coronado, Fly Away, Sunnehus, Swissôtel Oerlikon, X-tra, Jakob Rapperswil, The Guest’s House Zürich: Alleine rund um Zürich sind es mindestens diese zehn Hotels, die bereits aufgegeben haben. Sie haben die Coronakrise nicht überlebt. Zahlreiche weitere sind nach wie vor vorübergehend geschlossen. Zumindest vorübergehend. Gehen sie alle wieder auf? Wahrscheinlicher ist, dass noch mehr Betriebe obige Liste verlängern werden. «Wir müssen leider davon ausgehen, dass zu den bereits insolventen Betrieben weitere dazu kommen werden», konstatiert Andreas Züllig, Präsident von HotellerieSuisse. Stadthotellerie, quo vadis? Prognosen und Massnahmen, Ängste und positive Überraschungen – GastroJournal hat sich in mehreren Deutschschweizer Städten umgehört.

Die Bilanz der Schweizer Hotellerie für das Jahr 2020 ist ernüchternd. Im ersten Pandemiejahr verzeichneten die Hotels mit 23,7 Millionen Logiernächten knapp 16 Millionen weniger als noch im Vorjahr. Das entspricht einem Rückgang von 40 Prozent und ist der tiefste Wert in der Schweiz seit 1950. Besonders betroffen ist die Stadthotellerie, hier sind die Umsätze um bis zu 70 Prozent eingebrochen. Züllig: «Die Städte leben überproportional von internationalem Reiseverkehr, Geschäftstourismus, von Events, Kongressen, Messen und bis vor der Krise immer mehr vom internationalen Freizeittourismus. All dies fällt momentan augrund der Pandemie weg.»

Umfragen zeigen: Trotz Härtefallhilfen und Entschädigungen hat die Konkurswahrscheinlichkeit im ersten Quartal 2021 weiter zugenommen. Die jüngsten Daten der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich (KOF) ergeben, dass sich 47 Prozent der Schweizer Hotels als stark oder sehr stark gefährdet betrachten.

Die Schliessungen und die bedrohliche Lage für so viele Betriebe haben Auswirkungen auf den Immobilienmarkt: In der gesamten Schweiz stehen über 500 Hotels zum Verkauf! Dies könnte die Preise in die Tiefe treiben. Kommt es demnächst zur Schnäppchenjagd durch internationale Hotelketten? Eine steigende Übernahmetätigkeit durch solche Marken sei in diesem Zusammenhang laut Züllig noch nicht festzustellen. «In den letzten Jahren haben in den Städten zwar vor allem die internationalen Hotelketten in neuen Angebote investiert. Diese expansive Zeit ist meiner Meinung nach aber mehrheitlich abgeschlossen.» Das schliesse aber nicht aus, dass die eine oder andere Hotelgruppe künftig in den grossen Schweizer Städten investieren wird. Als Beispiel nennt Züllig das geplante Mandarin Oriental im Hotel Savoy Baur en Ville in Zürich, welches 2024 unter dem neuem Auftritt öffnen soll.

Trotz Corona: Hotel-Boom in Basel

Ein überraschendes Bild zeigt sich in Basel. Zwar meldete in der Messestadt bereits im vergangenen November das Swiss­ôtel Le Plaza Insolvenz an, zu weiteren Schliessungen kam es bislang nicht, obschon die dortige Hotellerie stark auf Businesstouristen angewiesen ist. Schliessungen? Im Gegenteil! Vor Corona profitierte Basel von einem Boom mit Hotelneubauten, die nun nicht mehr gestoppt wurden. Deshalb erlebt Basel mitten in der Krise Hotelneueröffnungen: Im Zentrum von Basel, am Marktplatz, baut Coop ein Warenhaus zum Viersternehotel um, das wohl im Sommer als Märthof eröffnen wird. Nach einen Soft-Opening wird bereits in diesen Tagen das Boutiquehotel Volkshaus definitiv in den Markt eintreten. Und aus dem ehemaligen Hilton soll mit dem Mövenpick Basels grösstes Hotel (260 Zimmer) eröffnen.

Das Angebot an Hotelzimmern wird also bei sinkender Nachfrage nochmals erhöht. Deshalb sagt Christoph Bosshardt, Marketingleiter Basel Tourismus: «Im Moment geht es für die Hotels darum, mit Kurzarbeit und Härtefallgeldern zu überleben und nicht darum, originelle Geschäftsmodelle auszuprobieren.» So sind in Basel derzeit zahlreiche Hotels vorübergehend geschlossen, damit die Kosten möglichst tief gehalten werden, denn die Gäste bleiben aus. Die Zahlen in der Basler Hotellerie sprechen eine klare Sprache: Der Januar 2021 schlägt mit einem Rückgang von 80 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat zu Buche. Dazu ein Beispiel: Im Januar 2021 registrierten die Hotels in Basel gerade mal 65 Reisende aus den USA trotz des Standorts der Pharmariesen Roche und Novartis. Im Januar 2020 waren es noch 2358 amerikanische Besucher. «Wir rechnen für 2021 mit einem Einbruch von 50 Prozent gegenüber 2019», sagt Bosshardt. 2020 musste Basel bei den Übernachtungen sogar ein Minus von 61 Prozent hinnehmen. Die verhaltene Zuversicht fusst auf den Impfdosen.

A propos Impfdosen: Impfen und Testen sind auch für Andreas Stöckli, Direktor des Hotels Schweizerhof in Zürich, entscheidende Massnahmen, die für eine Erholung in der Branche sorgen dürften. Als erstes Hotel der Schweiz können sich Kunden im Viersterne-Superior-Haus testen lassen. Stöckli erklärt: «Wenn Gäste in ein anderes Land reisen müssen, braucht es oft einen gültigen PCR-Test. Wir haben einen Laborzugang und können innerhalb von acht Stunden das Testergebnis anbieten.» Seit dem 1. März habe das Hotel beim Zürcher Bahnhofplatz rund ein Dutzend solcher Tests verkauft, was zeigt, wie wenig internationale Kunden nach Zürich reisen. Es werde geschätzt, diesen Test in der geschützten Umgebung des eigenen Zimmers abwickeln zu können. Der Schweizerhof bietet diesen Service ausschliesslich für registrierte Hotelgäste an. «Wir sind keine Verkäufer von Tests, wir wollen Hotelübernachtungen generieren», betont Stöckli. Sein Arrangement: 399 Franken für eine Übernachtung inklusive Test und Frühstück.

Lustige Idee – mehr nicht

Die Zürcher Stadthotellerie leidet ähnlich wie Basel, weil die internationalen Märkte in der Limmatstadt eine grosse Rolle spielen. Derzeit stammen die meisten Kunden aus einen Umkreis von 50 Kilometern, denn für 339 Franken können beispielsweise Paare übernachten und zu zweit einen Dreigänger im Hotelrestaurant geniessen. Das werde von Kunden aus der Region genutzt, die endlich mal wieder in einem Restaurant essen gehen wollen. Internationale Gäste, egal ob aus Dubai oder Deutschland, könne man an einer Hand abzählen. Auch weitere Hotels in Zürich, insbesondere solche mit Gourmetlokalen wie etwa das Hotel Marktgasse mit dem Restaurant Igniv oder das Hotel Widder mit dem gleichnamigen Restaurant unter der Leitung des Kochs des Jahres Stefan Heilemann, offerieren derzeit Spezialpreise für die Übernachtung. Andere Hotels bieten ihre Zimmer vergünstigt als Homeoffice an. Stöckli bezeichnet dies zwar als «lustige Idee, die kurzfristig geringfügige Vorteile bringen mag». Aber wenn genügend Büroflächen frei sind, wird der Preisdruck so gross sein, dass diese Nische für Hotels nicht wirklich interessant sein könne.
Doch kann ein Hotel dank Sonderangeboten und Aktionen eher überleben oder sind solche Einfälle letztlich nur ein Tropfen auf den heissen Stein? «Es gibt nicht viel mehr als Reorganisation, Kurzarbeit oder Härtefallentschädigung», antwortet Stöckli. Mit Reorganisation meint er, die Strukturen anzupassen, sprich Mitarbeiter abzubauen. «In den nächsten zwei Jahren werden wir kleinere Brötchen backen müssen, denn der internationale Markt wird sich bis dann nicht erholen», prophezeit der Hotelier. Er widerspricht Andreas Zülligs Aussage und glaubt, «dass die grösseren Hotelketten bei möglichen Übernahmen zugreifen werden.» Es stimme ihn zuversichtlich, dass gerade internationale Hotelketten noch immer eine Wachstumsstrategie fahren. Der Vorteil des Schweizerhofs: Er befindet sich samt Immobilie in Privatbesitz.

In zehnminütiger Gehdistanz vom Schweizerhof entfernt steht am Zürcher Paradeplatz das altehrwürdige Hotel Savoy. Direktor Rolf Brönnimann gilt als einer der erfolgreichsten und erfahrensten Schweizer Hoteliers. Doch auch er zieht nach «einem Jahr im Elend» eine ernüchternde Bilanz: «Wir haben unsere Kostenstruktur so angepasst, dass wir nicht mehr auf Herr Berset warten müssen.» Sein Betrieb ist seit dem 22. Dezember geschlossen, weil er «das Taktieren der Regierung nicht mehr länger erleiden konnte. Hätte ich gewusst, dass die Restaurants nun drei Monate geschlossen bleiben, hätte ich den Betrieb nicht so lange geschlossen gehalten.»

Brönnimann will nun das Luxushotel am 26. März wieder eröffnen und hofft auf Ostern. «Nicht, dass ich damit das grosse Geschäft erwarte. Aber ein paar Buchungen werden wir erhalten und können so wenigstens Mitarbeiter aus der Lethargie holen.» Er ist überzeugt, dass die Leute in die Restaurants strömen, sobald der Bundesrat dies erlaube. Die jetzige Phase bezeichnet er als «try and error», als ein permanentes Ausprobieren, um mit möglichst wenig Schaden durch die Krise zu kommen. So bietet das Savoy allen Gästen über 65 Jahre einen Rabatt an, der ihrem Alter entspricht. Ein 90-Jähriger kommt folgerichtig in den Genuss einer Preisreduktion von 90 Prozent. «Das lief nicht besonders gut», räumt der Zürcher Oberländer ein. Er stellt fest, dass die Kunden tendenziell einfachere Zimmer buchen und danach auf ein Upgrade spekulieren. «Das haben wir auch gemacht. Aber davon sehe ich jetzt ab, denn wir müssen unsere Kosten einspielen.»

Vor zwei Jahren debattierte Luzern über Overtourism

Anders als in Zürich und Basel sind es in Luzern nicht die Businessreisenden, die derzeit fehlen, sondern Gruppen und Familien, die sich Berge und andere Sehenswürdigkeiten ansehen möchten. Mehrheitlich stammen sie aus den USA, aus China, Deutschland, Indien und Grossbritannien. Seit 150 Jahren formt und prägt der Tourismus die Stadt. Nach Zürich und Genf ist Luzern gemessen an der Zahl der Übernachtungen die dritterfolgreichste Stadt der Schweiz. Rund 200 000 Personen im Kanton Luzern arbeiten in der Tourismusbranche und circa 5 Prozent der kantonalen Bruttowertschöpfung entfallen auf den Tourismus. In den vergangenen Jahren erlebte Luzern einen neuerlichen Aufschwung, der sogar zu politischen Debatten führte, ob der sogenannte Overtourism das Leben in der Stadt allmählich beeinträchtige. Zu viele Touristen: Die Diskussion ist keine zwei Jahre her. Und heute?

Die Zahl schockiert: Im Januar 2021 verzeichnet die Stadt Luzern 82 Prozent weniger Logiernächte als im selben Monat des Vorjahres. «Im Januar 2020, kurz vor der Pandemie, konnten das Lilu Lichtfestival Luzern sowie einige andere Anlässe noch stattfinden, und es gab erst wenige Reiseeinschränkungen. Deswegen ist der Vergleich so massiv», sagt Marcel Perren, der seit 2007 Direktor von Luzern Tourismus ist. Über das gan­­ze Jahr 2020 gesehen beträgt der Rückgang der Logiernächte 64,9 Prozent gegenüber 2019 – trotz vieler neuer Schweizer Gäs­te. Doch diese konnten die Verluste aus den internationalen Märkten nicht auffangen. Von endgültigen Hotelschliessun­gen als Folge der Pandemie blieb Luzern bis anhin verschont. Perren ist keines der 65 Stadthotels bekannt, welches überhaupt nicht mehr öffnen würde. «Die zurzeit geschlossenen Betriebe öffnen aufgrund der ausbleibenden Gäste etwas später als in normalen Jahren, respektiv haben sich entschlossen, vorübergebend zu schliessen», führt Perren aus. «Das Hotel Astoria schloss sehr früh und plant im April wieder zu öffnen. Auch das Hotel Schweizerhof empfängt seit dem 22. März wieder Gäste.» Alle anderen Hotelbetriebe seien bereit und dürften öffnen, sobald das Geschäft wieder zurückkehre.

In Luzern steigt die Unruhe

Die Vielfalt an verschiedensten Hotels, die für jeden Standort so wichtig ist, bleibt der Stadt vorerst erhalten. Grosse Hotelketten, die sich Sahnestückchen greifen könnten, sind in Luzern aktuell kein Thema. «Aber dies kann sich natürlich schnell ändern», bemerkt der Tourismusdirektor. «Ein erneuter schlechter Sommer könnte auf den Hotelmix einen Einfluss haben. Es müsse einfach bald wieder losgehen, die Reserven seien aufgebraucht. «Man spürt, wie die Unruhe steigt. Verständlich, denn die Situation zehrt an der Substanz.» Ihn bekümmern all die Hotelbetriebe, die zwar Unterstützung beantragten, aber noch kein Geld erhalten haben. Diese Ungewissheit, wann und ob das Geld überhaupt komme, sei sehr belastend. Das sieht in der Gastronomie ähnlich aus.

Der gebürtige Walliser ist sich sicher, dass auch das gesam­te Jahr 2021 noch sehr anspruchsvoll sein wird. Ab wann dürfen Grossanlässe und andere Veranstaltungen, die viele Hotelgäste anziehen, wieder stattfinden? Es ist diese Planungsunsicherheit, die Marcel Perren am meisten Sorgen bereitet. «Wir alle wünschten uns mehr Pla­nungssicherheit», sagt Perren. «Diese Pandemie dauert länger, als wir erwartet haben, was extrem anspruchsvoll ist.»
Es kann nur besser werden. Die Gedanken an das grosse Geschäft mit den Touristen aus Übersee und Asien sind weit, weit weg.

Wie der Krise begegnen?

  • Vergünstigte Übernachtungen: Zahlreiche Hotels bieten attraktive Preise fürs Zimmer an – sofern die Gäste im Hotelrestaurant dinieren.
    Home Office: Manche Hotels bieten tagsüber Zimmer vergünstigt als Home Office an. Mittagessen, Kaffee & Co. können für Mehreinnahmen sorgen.
  • Take-away: Wer nicht übernachtet, darf nicht essen. Deshalb bieten viele Betriebe Essen zum Mitnehmen an. • Kosten herunterfahren: Geht die Rechnung mit solchen Spezialangeboten nicht auf? Dann gilt es, die Kosten so tief wie möglich zu halten.
  • Wer auf besondere Aktionen setzt, hat den Vorteil, dass das Team oder zumindest ein Teil davon nicht einrostet und wohl schneller wieder auf Touren kommt, wenn das Hotel dereinst wieder wie gewohnt zahlreiche Gäste empfangen darf. Wer die Möglichkeit hat, kann diese Zeit also als Investition in die Zukunft betrachten.
Michael Vogt Okt19 0 Titelgeschichte

Michael Vogt ist seit sechs Jahren Direktor des St. Galler Hotels Einstein. Seit zwei Jahren präsidiert der Absolvent der Schweizerischen Hotelfachschule Luzern zudem den Hotelierverein St. Gallen-Bodensee. (Foto: Thomas Hary)

3 Fragen an: Michael Vogt (45) ist seit sechs Jahren Direktor des St. Galler Hotels Einstein. Seit zwei Jahren präsidiert der Absolvent der Schweizerischen Hotelfachschule Luzern zudem den Hotelierverein St. Gallen-Bodensee.

Michael Vogt, wie geht es den 16 Hotels in der Stadt St. Gallen?
Die Logiernächte sind 2020 um 40 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gesunken. Vorwiegend sind die Europäer, Amerikaner und Asiaten ausgeblieben, die Businessgäste ebenso. Dafür haben wir letzten Sommer mehr Freizeitgäste aus der Schweiz gewonnen, hauptsächlich aus der Romandie. Trotz der Krise sind derzeit sämtliche Hotels geöffnet. Mit Konkursen rechne ich nicht.

Wie nehmen Sie vor Ort die Stimmung innerhalb der Branche wahr?
Seit die Massnahmen verlängert wurden, ist die Stimmung sehr angespannt. Wir rechnen frühes­tens nach den Sommerferien mit der Rückkehr einer gewissen Normalität.

Wie steht es um Ihr Hotel Einstein?
Mussten Sie Kündigungen aussprechen? Verzeichnen Sie Buchungen dank Ihrem Gourmetrestaurant? Auch wir verzeichnen im Vergleich zum Vorjahr 40 Prozent weniger Logiernächte. Unter der Woche fehlen die Geschäftsreisenden. An den Wochenenden können wir den Gästen, die im Gourmet bei unserem Spitzenkoch Sebastian Zier essen möchten, ein Zimmer verkaufen. Es ist zurzeit ausschliesslich freitags und samstags geöffnet. Das Package inklusive Zimmer, Essen im Gourmet und Frühstück im Bistro verkaufen wir zu normalen Preisen: 360 Franken fürs Einzelzimmer, 600 fürs Doppelzimmer. Zusätzlich gibt es auch ein Package mit Essen im Bistro. Bezüglich der Kündigungen: Wir begannen bereits im April 2020, den Mitarbeiterbestand um 10 Prozent zu reduzieren. Mit den Geldern aus dem Härtefall und der Kurzarbeit können wir noch ein paar Monate auskommen.

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