Franz W. Faeh, die Bilanz hat Sie letztes Jahr zum «Hotelkoch des Jahres» gekürt. Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung?
Franz W. Faeh: Gemerkt habe ich nicht viel davon. Aber es ist eine schöne Bestätigung, wenn die Leute realisieren, dass wir jahrelang auf etwas hingearbeitet haben und wir etwas können. Gleichzeitig bin ich gottenfroh, dass Andrea Scherz, dem Mehrheitsbesitzer des Hotels, das ganze Punkte-und Sternedenken am A. vorbei geht. Ich brauche Gäste, die die Rechnung bezahlen und zufrieden sind.
In der Branche wird oft über die gleichen Köche geschrieben und kaum über Sie, obwohl Sie eine Brigade von bis zu 58 Mitarbeitenden leiten. Sind Sie froh, im Hintergrund agieren zu können?
Ja, ich arbeite gerne im Hintergrund. Wir kompensieren unsere Leistungen anders. Ich weiss beispielsweise nicht, wie viele Berufskollegen mit ihren Sous-Chefs für zwei Tage nach Parma eingeladen wurden, um den neuesten Ferrari zu testen. Je weniger ich mit den Medien zu tun habe, desto mehr kann ich mich auf meine Arbeit und unser Hotel konzentrieren. Ich muss nicht mehr auf jeder Hochzeit tanzen. Ich bin bezahlt, um einen guten Job zu machen. Auch die oft zitierten grossen Köche kochen nur mit Wasser. Die Produkte, die ich einkaufe, sind ähnlich.
Wo kaufen Sie ein?
Meine Lieferanten sind meine Freunde. Mir ist ein direkter, ehrlicher und offener Dialog wichtig. Als ich 2016 «Culinary Director» im Gstaad Palace wurde, musste ich einigen mitteilen, dass ich mit ihnen nicht mehr zusammenarbeiten möchte. Seither importieren wir beispielsweise den Kaviar aus Paris und nicht über einen Händler in der Schweiz. Dadurch ist der Preis halb so teuer. Seit es schwierig ist, wilden Kaviar zu kaufen, setze ich auf solchen aus China. Dieser Zuchtkaviar ist geschmacklich und farblich dem Wilden am nächsten. Und die Eier sind grösser. Klar, das Produkt stammt aus China. Aber ohne China könnten wir heute nicht existieren. Fische kaufen wir immer ganz und nicht nur Stücke: Wolfsbarsch, Thunfisch, Seezunge, Kabeljau, manchmal Dorade aus der Zucht in Griechenland oder Lachs. Die Forelle ist lokal und kommt aus Grund bei Saanen.
Mit Ausnahme des Kobe- und Wagyu-Beef setzen Sie beim Fleisch auf Simmentaler Rind aus dem Saanenland. Wie stark leiden Sie unter steigenden Preisen? Was verrechnen Sie an die Kunden weiter?
Das Kilo Simmentaler Rind kostete vor zwei Jahren 48.25 Franken, jetzt gegen 73 Franken. Der Preis für das Kilo Blauer Hummer hat sich verdoppelt. Kürzlich hatte ich eine Sitzung mit meinem Gemüselieferanten aus dem Bieler Seeland: Im Winter erhöhte er die Preise um 18 bis 30 Prozent, diesen Sommer müsse er die Preise nochmals anpassen. Wie ich damit umgehe? Wir müssen eine gute Mischrechnung anstreben. Gewisse Produkte kosten fast nichts, und diese müssen wir so teuer wie möglich verkaufen, um damit Geld zu verdienen und andere Bereiche so zu subventionieren.
Welche Rolle spielt dabei die Saisonalität?
Sie ist in unserem Haus nicht gefragt. Wenn ein Gast im Januar Erdbeeren möchte, dann ist das so. Der Gast ist bei uns König. Am meisten Betrieb haben wir von 14 bis 15 Uhr, weil man um diese Zeit praktisch in ganz Gstaad nichts zu essen bekommt. Deshalb kommen die Kunden ins Palace, weil sie wissen, dass es bei uns immer etwas gibt.
Weshalb entgegen Sie dem Kunden nicht, dass Erdbeeren im Januar verwerflich sind?
Die Palace-Kundschaft ist sehr treu und kommt bereits seit Jahrzehnten zu uns. Sie wissen, dass wir machen, was sie möchten. Stelle ich mich dem entgegen, handle ich mir Probleme ein.
Wer fragt nach Erdbeeren im Januar, um beim Beispiel zu bleiben?
Nun, das sind eher gesetztere Kunden, 60-Jährige und älter.
Sie sind kulinarischer Direktor und damit für ein halbes Dutzend Hotelrestaurants verantwortlich. Ist das kein Stress?
Nein, daran gewöhnt man sich. Klar, das Einzige, was ich während der Saison mache, ist arbeiten und schlafen. Ich starte um 7.30 Uhr und gehe meist gegen Mitternacht ins Bett. Deshalb habe ich mein Zimmer im Hotel. Das grösste Problem ist aber viel mehr, Mitarbeitende zu finden, die gleich denken wie wir. Die gibt es fast nicht mehr.
Eine weitere Herausforderung: 75 Prozent der Stammgäste bestellt nicht von der Karte, sondern das, worauf sie gerade Lust haben. Wie gehen Sie damit um?
Wahrscheinlich sind es noch mehr als 75 Prozent. Das ist eben das Palace. Deshalb beschäftigen wir mehr Personal als andere Betriebe, weil unser Patron möchte, dass wir diesen Service bieten. In der Küche steht ein Ordner. Das ist unsere Bibel. Darin sind alle wichtigen Namen aufgeführt und ihre Vorlieben beim Essen. Ich erfahre, wer wann ankommt und kaufe dann entsprechend bereits im Vorfeld die Produkte ein.
Trotzdem: Wie schaffen Sie es, so schnell komplett neue Menükreationen auf den Tisch zu zaubern?
Meine Sous-Chefs kenne ich sehr gut. Ich arbeite schon lange mit ihnen zusammen, mit Luca etwa seit 15 Jahren, mit Fabian, einem Jungkoch aus Basel, seit 2 Jahren. Olivia ist mit 19 Jahren vor drei Jahren zu uns gestossen und nun unsere Junior-Sous-Chefin.
Wie führen Sie Ihr Team?
Meinen Führungsstil habe ich mir in Thailand, Hongkong, Jakarta und Singapur angeeignet. Jede Kultur hat einen anderen Weg. Das hat mich sehr geprägt. Auf lange Sicht komme ich damit viel weiter, als wenn ich eine militärische Hierarchie habe. Wenn die Mitarbeitenden eine Idee für ein Mittagsmenü haben und diese umsetzen dürfen, sind sie viel motivierter und interessierter.
Was haben Sie aus Asien in die Schweiz mitgenommen?
Das Führen und das Menschliche, dass ich nicht auf die Mitarbeitenden herunterschaue, sondern ihnen auf Augenhöhe begegne. Das Menü in unserer Lobby-Bar besteht seit meinem Stellenantritt aus vielen asiatischen Gerichte. Ich spiele gerne mit deren Leichtigkeit und hole alles aus dem Produkt raus. Als Team sind wir eine Familie. Wer nicht reinpasst, merkt das schnell und geht wieder.
Von 1978 bis 1981 haben Sie die Lehre im Gstaad Palace absolviert. Dann gingen Sie Ende der 1980er Jahre unter anderem zur Regent-Gruppe und haben für die thailändische Königsfamilie gekocht. Was war da die Herausforderung?
Zuerst hatte ich als junger Koch Ehrfurcht, für einen derart beliebten König zu arbeiten. Doch mit der Zeit legte sich das. Ich kochte, was er wollte: das war mal thailändisch, mal europäisch. Bhumibol kannte die europäische Küche gut, weil er in der Schweiz zur Schule ging.
Ihr Motto ist «Evolution nicht Revolution» und Sie lieben die Einfachheit der Produkte, setzen aber auch gerne dank ihren Wanderjahren in Asien überraschende Akzente. Was ist das beispielsweise?
Ich bin beim Abschmecken etwas frecher und benütze gerne verschiedene Säuren wie Zitrone, Limetten, Zitronengras oder auch Koriander und Sesamöl, aber nur geröstetes.
2016 haben Sie sich mit der Chefposition im Gstaad Palace Ihren Bubentraum erfüllt, sagten Sie in einem Interview. Wieso war das Ihr Traum?
Ich bin in Gstaad aufgewachsen. Mein Grossvater war Hoffotograf im Hotel. Mein Vater ging mit der Schwester von Ernst Andrea Scherz zur Schule. Seine und unsere Eltern sind gemeinsam gross geworden. Das war wie eine Familie. Wo heute das Restaurant Fromagerie ist, gab es früher eine Kegelbahn. Wir feierten dort Weihnachten und Kinderpartys. Später absolvierte ich meine Lehre in diesem Haus. Ich sagte mir immer: Eines Tages komme ich als Chef zurück. Das ergab sich dann 2016. Der Anfang war sehr schwierig, denn der Chefkoch war seit 46 Jahren in dieser Position und behandelte mich so, wie es heute eben nicht mehr passieren sollte.
Sie sprechen sieben Sprachen. Wie kommt das?
Meine Mutter war Norwegerin. Deshalb spreche ich neben Deutsch, Französisch, Englisch und Italienisch auch Schwedisch, Norwegisch und Dänisch. Ja, ich bin eine Wundertüte.
Was sind Ihre nächsten Ziele?
Was schön ist: Ich habe keinen Druck. Ich kann so lange bleiben, wie es mir gut geht. Und so lange bleibe ich auch. Klar, es gehört zu meinen Aufträgen, für eine Übergabe zu sorgen und somit einen Koch zu finden, der Herr Scherz und mir passt. Aber da habe ich noch etwas Zeit.