Ein Alb(a)traum in Weiss

– 09. Dezember 2021
Sein Preis ist verdammt hoch, sein Duft betörend. Kein anderes Produkt in der Küche ist so magisch wie der weisse Trüffel. Marco Böhler, Küchenchef im Zweisternerestaurant Stucki in Basel, kennt die Knolle wie kein anderer. Und bewahrt sie deshalb im Sand auf und nicht im Reis.

Marco Böhler streift sich den schwarzen Stoffhandschuh über, so fasst er den Trüffel an, in der anderen Hand der Hobel. Zart streicht er die Knolle ein paar Mal über die scharfe Klinge. Die dünnen Scheibchen fallen auf den Teller, sie bedecken das Gericht: Urdinkelrisotto, Sellerie, Miso-Hollandaise. Und weisser Trüffel. Ein vegetarischer Herbsttraum. Bodenständige Produkte, toll gekocht, getoppt vom edlen Trüffel. Vegetabile Noten, dazu das Umami der Miso in einer Hollandaise – die perfekte Basis, damit das vor dem Gast gehobelte Luxusprodukt gekonnt zur Geltung kommt.

Es ist Trüffelsaison, immer wenn im Basler Zweisternerestaurant Stucki von Tanja Grandits die Glasglocke angehoben wird, weht der Duft des weissen Trüffels durch den Gastraum. Auch zehn Tische weiter drehen sich die Köpfe hin zum gelben Wagen, auf dem der Trüffel an den Tisch gerollt wird. Das Hobeln ist Chefsache: 2,8 Gramm gibt es von Küchenchef Marco Böhler, weniger wäre zu wenig, nach oben sind gegen einen Aufpreis keine Grenzen gesetzt. Der weisse Trüffel ist eine Angelegenheit für die Nase und unterstützt das Gericht ebenso im Gaumen. «Wer Trüffelgerichte auf dem Menü hat, muss Trüffel grosszügig einsetzen. Ich bezahle als Gast lieber zehn Franken mehr und habe dafür eine schöne Menge Trüffel auf dem Teller. Man kann ja auf der Speisekarte klar deklarieren, wie viel Gramm zu welchem Preis gehobelt werden.»

Dass der Trüffel erst vor dem Gast auf den Teller kommt, ist nicht nur Show. «Klar, dieses edle Saisonprodukt zelebrieren wir gerne», gibt Böhler zu. 560 Gramm wog der schwerste Trüffel, der in diesem Herbst ins Stucki geliefert wurde. Wie dieser den Weg ausgerechnet nach Basel fand? Dazu später. Solche Grössen sind eine absolute Rarität. «Es ist der grösste Trüffel, der dieses Jahr in Alba gefunden wurde.» Auch wenn der 36-Jährige stets ruhig und bescheiden wirkt: Ein wenig Stolz schwingt für einmal mit. Eine Knolle dieser Grösse ist eine Sensation, sie wird in den Lokalmedien der Trüffel-Metropole abgebildet. Dass der Trüffel im Stucki vor dem Gast gehobelt wird, ist für Böhler aber vor allem eine Frage der Ehrlichkeit und der Frische. «Ich hoble ihn so kurz wie möglich vor dem Genuss. Der Duft verfliegt schnell.» Grösse und Aussehen für die Qualität sind nicht massgebend, jedoch geht es hier um die Aufrichtigkeit. Bei keinem anderen Produkt wird so viel getrickst wie beim weissen Trüffel.

Nur noch zwei Prozent stammt aus Alba

Tuber magnatum pico – so der wissenschaftliche Name des weissen Albatrüffels. Aber gibt es diesen überhaupt noch? Alfred von Escher winkt ab. Der Feinkosthändler mit Sitz in Zürich Wollishofen kennt das Business seit Jahrzehnten. «Auch wenn viele Restaurants auf der Menükarte ‹Albatrüffel› schreiben: Nur noch rund zwei Prozent des weissen Trüffels auf dem Markt stammt aus Alba.» Wer im Piemont eine geführte Trüffelsuche buche, werde hinters Licht geführt. Die Trüffel, die der Hund da findet, seien zuvor bewusst vergraben worden. Sie stammen laut von Escher kaum von da. Der weisse Trüffel stammt teils noch aus Italien: aus den Marken, der Emilia-Romagna, Molise und den Abruzzen – hier findet man ihn noch. Ein grosser Teil kommt aber von der kroatischen Halbinsel Istrien, von Slowenien oder Rumänien in die Schweiz. Teils mit Zwischenhalt in Alba, um Händler, Gastronomen und Endkunden zu täuschen. «Die Qualität kann hervorragend sein», so von Escher. «Doch der Name Albatrüffel hat sich als Marke derart etabliert, sodass Laien glauben, jener aus Alba sei besser als andere.»

Weshalb der Trüffel in Alba derart rar wurde, ist nicht ganz klar. Im Gegensatz zum schwarzen Trüffel kann er nicht gezüchtet werden. Weisse Trüffel bedienen sich gerne der Tiere zur Verbreitung. Der intensive Geruch der unterirdisch wachsenden Trüffel wird von Wildschweinen selbst durch den Waldboden hindurch aufgenommen. Nach dem Verzehr werden die unverdaulichen Sporen wieder ausgeschieden. Somit trägt das Wildschwein wesentlich zur Verbreitung der Trüffel bei. Auch Insekten, etwa die Trüffelfliege oder bestimmte ­Käferarten, werden vom Trüffel angelockt und tragen zur Verbreitung bei. Gewiss hat die gierige Jagd der Trüffelsucher in den letzten Jahren den Bestand arg ausgedünnt. Möglich, dass auch der Klimawandel dem weissen Trüffel zusetzt. Der Kilopreis für das weisse Gold kratzt bisweilen an Tagen eines krassen Missverhältnisses zwischen Angebot und Nachfrage an der 9000-Franken-Grenze. Viel Geld für Knollen, bei deren Handel geschummelt und getrickst wird.

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Urdinkelrisotto, Sellerie und eine Miso-Hollandaise: Marco Böhler setzt dem Gericht mit weissem Trüffel die Krone auf.

 

Stucki-Küchenchef Böhler bezieht Trüffel deshalb nur bei langjährigen Partnern. «Das ist absolute Vertrauenssache.» Vor zwei Wochen habe er ein Handyfoto von einem Trüffel aus Italien erhalten. «Möchtest du ihn haben?», stand darunter. Er schien Böhler im Vergleich zur Hand auf dem Bild sehr gross. Der Spitzenkoch erwiderte: «Wie schwer ist er?» Die Antwort: «Ich weiss es nicht, ich bin noch mitten im Wald. Aber er dürfte mehr als 500 Gramm wiegen. Ich melde mich in einer halben Stunde von zu Hause aus.» Bald folgte die Bestätigung: 560 Gramm. Ein kurzes Telefongespräch, dann ein weiteres Foto mit leicht angeritzter Oberfläche zur Überprüfung der Farbe, die bezüglich des Reifegrads Aufschluss gibt. Böhler fand ihn etwas zu hell. Der Trüffelsammler meinte aber, aromatisch sei die Knolle perfekt. Böhler wusste anhand der Anzahl Reservationen im Restaurant, dass er diesen Trüffel zeitnah komplett verwenden könnte. «Ich rief also nochmals an und handelte als langjähriger Kunde einen fairen Preis aus.»

Einem Restaurant ohne diese langjährigen Beziehungen empfiehlt er Händler wie Alfred von Escher oder Hugo Dubno. Wer günstiger bei privaten Anbietern einkauft, die ihre Ware in die Schweiz schmuggeln, um den Zoll zu umgehen, macht sich strafbar. Zudem erhöht sich so das Risiko, minderwertige Ware zu einem dafür überrissenen Preis zu erhalten. Letztlich würde damit auch der Gast getäuscht und enttäuscht. Abgesehen von den besonders grossen Trüffeln mag Böhler Knollen zwischen 120 und 160 Gramm, schön rund und mit möglichst glatter Oberfläche versehen. Die lassen sich gut hobeln und sind garantiert verbraucht, ehe sie an Qualität verlieren.

Im Sand gelagert, nicht im Reis

Weil es sich beim Trüffel um ein Frischeprodukt handelt, gilt es, dieses optimal aufzubewahren und innert weniger Tage unter die Gäste zu bringen. «Wird er falsch behandelt, verliert er an Gewicht und wird spröde.» Anders als vielerorts gesehen, konserviert Böhler seine Trüffel nicht im Reis, sondern im Lösssand. «Die optimale Atmosphäre für den Trüffel.» Den Sand findet er in süddeutschen Rebbergen, siebt ihn in der Küche, vakuumiert ihn und sterilisiert ihn im Dampf. Einen Sack voll Sand schickt er dann jeweils ins Grand Resort Bad Ragaz: Igniv-Küchenchef Silvio Germann schützt seine Trüffel mit derselben Variante – er liess sich von Böhler inspirieren. «Wer Trüffel im Reis aufbewahrt, hat später sicher ein tolles Risotto, aber der Reis entzieht der Knolle zu viel Feuchtigkeit.» Böhler nimmt die Trüffellieferung stets höchstpersönlich entgegen, kontrolliert, putzt ihn mit einer feinen Bürste, versorgt ihn, lagert ihn im Kühlschrank.

Ein Stück Butter, separat verpackt, sowie ein Dutzend Eier finden in der Plastikbox Platz neben dem Trüffel. Böhler: «Die Butter und die Eier nehmen das Aroma des Trüffels an. Aus der Butter macht unser Pâtissier Julien Duvernay ein fantastisches Trüffelglace, die Eier sind Tanjas Frühstückseier.»

 

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Marco Böhler lagert den weissen Trüffel im Lösssand. Die Butter und die Eier nehmen das Aroma auf. So kommt Tanja Grandits zu ihren Frühstückseiern und Pâtissier Julien Duvernay zur Grundlage für sein Trüffelglace.

Die Show gehört dem Trüffel

Ein weiterer Fehler, der oft begangen wird, ist der falsche Einsatz des weissen Trüffels. «Zu viel Säure im Gericht, zu viel Würze oder zu starke Röstaromen stehlen ihm die Show. Ein guter Partner des weissen Trüffels ist Butter. Am besten macht er sich auf simplen Gerichten: Spiegelei, Risotto, Pasta. Ich hoble ihn sehr, sehr dünn, aber doch nicht zu dünn. Dicke Scheiben ergeben für mich keinen Sinn.» Selbstverständlich verwendet er niemals Trüffelöl. Dessen Aroma – Trüffelöl wird von der Parfümindustrie hergestellt – ist viel zu penetrant und künstlich. «Ein absolutes No-Go.» Die kleinen Abschnitte, die sich nicht mehr hobeln lassen, verarbeitet er zu Trüffelbutter. «Setze ich ein Trüffelrisotto an, gebe ich einen Löffel dieser Butter hinzu.»

Wie beim Wein und anderen Produkten, die der Natur entspringen, spricht man auch beim Trüffel von besseren und schwierigeren Jahren. Doch während Böhler von einem besonders tollen Jahr spricht («vielleicht liegt das an meinem gut ausgebauten, breit abgestützten Netzwerk»), spricht mancher Händler von einem äusserst schwierigen Trüffeljahr. Wenig Ware, erst recht nicht aus Alba, hohe Preise und entsprechend viele Diskussionen mit Gastronomen, die glauben, abgezockt zu werden. Dabei verdient der Gastronom gewiss mehr am Trüffel als der Händler. Ersterer kann den Preis guten Gewissens auf den Gast abwälzen. Falls er dies nicht kann, sollte er es sich gut überlegen, ob er weisse Trüffel anbieten kann oder nicht die richtige Klientel dafür hat.

Das falsche Jahr für weisse Trüffel

Die renommierte Trattoria Amerigo 1934 nahe der norditalienischen Stadt Bologna warnt auf ihrer aktuellen Speisekarte die Gäste: «Das Jahr 2021 wird uns in Erinnerung bleiben als das falsche Jahr für weisse Trüffel. Die fehlenden Sommerregen schränken uns ein. Das Angebot ist klein, der Preis hoch. Unter diesen Umständen haben wir keine Lust, Trüffel anzubieten. Die Preise sind ethisch und moralisch sinnlos. Ein wenig Trüffel haben wir trotzdem.» Wer dennoch wegen der Trüffel in die Trattoria komme, solle sich den teuren Spass dennoch gönnen. Andernfalls böte die Speisekarte andere schmackhafte Gerichte. «Verschieben Sie den Trüffelgenuss auf bessere Zeiten.»

Was sich auf jeden Fall lohnt, ist der Besuch der Messe des Weissen Albatrüffels. Diese findet bekanntlich jeweils von Oktober bis November jeden Samstag und Sonntag im Zentrum von Alba statt. Zum Programm des Events zählen Ausstellungen, Vorführungen und Show Cooking mit grossen Küchenchefs aus der Region. Zwar werden an der Messe auch die Trüffelöle und -pasten verkauft. Doch sie läutet die magische Zeit rund um den Tuber magnatum pico feierlich ein. Für die einen ist sie ein Traum, für andere ein Alb(a)traum.