Amit Shama: Erfolg dank Sushi und Menschenliebe

– 28. April 2021
Vom Security-Mann zum Gastro-Unternehmer: Ein gebürtiger Israeli führt in Zürich drei Sushi-Betriebe mit besonders menschlichen Werten. Weshalb er keine Mitarbeiter kündigt, wie Kai Sushi die Gäste begeistert und warum er sogar bei Diebstahl ruhig bleibt.

Als Amit Shama 1998 aus der nordisraelischen Hafenstadt Haifa nach Zürich zieht, heuert er für zwei Jahre als Wachmann bei der jüdischen Gemeinde an. Dann zieht es den heute 44-Jährigen in die Welt der Gastronomie. «Das mochte ich schon immer. Schon als Teenager arbeitete ich in Restaurants, assistierte beim Kochen, half beim Abwaschen. Ich koch gerne, bin gerne Gastgeber, tue gerne Gutes.» Gemeinsam mit seiner Schweizer Frau entscheidet er sich, in der Schweiz zu bleiben. Zweimal tritt Shama zur Aufnahmeprüfung bei der Hotelfachschule Belvoirpark Zürich an – zweimal scheitert er. «Man sagte mir, ich sei nicht gut genug. Mein Deutsch reiche nicht aus.» Also absolviert er die Ausbildung am International Hotel Management Institute in Luzern auf Englisch. Zwischen den Semestern arbeitet er in Restaurants und Hotels, um sich die Studiengelder zu finanzieren, zuletzt als Nachtportier. Als Shama die Ausbildung 2005 abschliesst, will er sich selbständig machen. «In den Praktika sagte man mir stets, ich sei langsam und unstrukturiert, ich verbringe zu viel Zeit beim Gast. Aber das entspricht nun mal meiner Gastgeberphilosophie. Ich musste mein eigenes Ding durchziehen.»

Zwar unterstützt ihn seine Frau bei seinen Plänen, doch Geld hat Shama keines. Ein israelisches oder japanisches Restaurant soll es werden. «Ich liebe beide Küchen.» Shama liest in einer Studie der Universität St. Gallen, dass Schweizer es mögen, wenn das Essen ästhetisch, klein und fein daherkomme. Und wenn es gesund, frisch sei und schnell genossen werden kann. «Das entspricht genau der japanischen Küche.» Nach Japan reist Shama aber erst zwölf Jahre später als erfolgreicher Unternehmer.

Ein alter Opel als Eigenkapital

In Neu-Oerlikon, ausserhalb des Stadtzentrums von Zürich, findet Shama die passende Lokalität für sein Kai Sushi. «Kai» stammt aus dem Japanischen: zusammen kommen, miteinander teilen. Den Bankkredit erhält er – nach zwei anderen Absagen – von der UBS. Die Grossbank findet Gefallen am Konzept, bei dem der Besitzer selbst mitarbeiten und erst mal kleine Schritte mit minimaler Belegschaft machen möchte. «Die UBS gab mir das gesamte Fremdkapital. Auf die Frage, wie hoch denn mein Eigenkapital sei, antwortete ich lachend: ‹Ich habe einen alten Opel Astra.›»

Der Anfang gestaltet sich schwierig. Die Preise sind den Gästen zu hoch, das Personal arbeitet nicht so, wie Shama sich das wünscht. «Ich musste lernen, dass meine Mitarbeiter nicht aus der gleichen Motivation heraus wie ich arbeiten.» Shama ist Unternehmer und Visionär. «Mir gibt die Vision Sicherheit, der Mitarbeiter braucht hingegen von Beginn weg einen anständigen Lohn.» Der Israeli begreift: Erst mit zufriedenen Mitarbeitern können Gäste begeistert werden. «Und Gäste müssen begeistert werden, damit sie wieder kommen. Wir müssen ihre Erwartungen übertreffen.»

Allmählich entsteht Shamas Philosophie: «Liebe deine Leute – deine Mitarbeiter und deine Gäste.» Für alle möchte er die Extrameile gehen. Bereits vor 15 Jahren liefert Shama Essen nach Hause. Er tut dies aus Kostengründen höchstpersönlich. Hochzeitswünsche, besondere Verpackungen, gratis Kühltaschen, Anfragen von weit her, spezielle Wünsche von Mitarbeitern – Kai Sushi erfüllt sie nach Möglichkeit alle. «Manche ergeben kalkulatorisch auf den ersten Blick keinen Sinn», erklärt Shama. Das Interieur ist stilvoller als jenes der allermeisten Asia-Restaurants, die Produkte sind von höchster Qualität. «Als Foie gras zu umstritten wurde, ersetzten wir es durch Noix gras, die vegetarische, nachhaltige Alternative von Tobias Buholzer. Das Produkt kostet mich fünfmal mehr. Die Preise liess ich aber gleich.» Auch im Verhältnis zwischen Fisch und Reis spielt der Fisch bei Kai Sushi die grössere Rolle als in den meisten anderen Zürcher Sushi-Lokalen.

Wie geht diese Rechnung auf? Shama lächelt: «Unter dem Strich, das kann ich verraten, verdient Kai Sushi jedes Jahr mehr – auch im Coronajahr. Das lässt sich bei uns halt nicht einfach anhand schulisch logischer Vorgänge erklären. Klar habe ich Restaurantleiter und eine Buchhalterin, die auf die Zahlen schauen. Aber es geht bei uns um Werte: Der Mitarbeiter ist zufrieden, der Gast begeistert, mit Lieferanten und Partnern führen wir faire Beziehungen. Deshalb sind wir profitabel.»

Welches Restaurant wählt der Gast?

Noch vor fünf Jahren besprach er mit dem Restaurantleiter Woche für Woche die Zahlen, setzte ihn damit unter Druck. Heute tut er dies nicht mehr, schenkt ihm Vertrauen. Und er vertraut dem Gast. «Der Gast geht nicht in ein Restaurant, weil er weiss, dass dort der Personal- oder der Warenaufwand am tiefsten gehalten wird. Oder weil er weiss, dass dieses Lokal den grössten Umsatz generiert. Der Gast geht wiederholt ins gleiche Restaurant, weil er spürt, dass er dort gut umsorgt ist. Ich kümmere mich also gut um meine Mitarbeiter und sie kümmern sich ebenso gut um die Gäste.» Für viele Gastronomen, weiss Shama, mag diese Philosophie zu wenig greifbar und zu spirituell klingen. «Doch wir sind halt spirituelle Wesen und die Liebe gegenüber Menschen ist zentral.»

Da gehört es dazu, einen Mitarbeiter während dessen Ehekrise verstärkt Aufmerksamkeit zu schenken, mal einen Lohnvorschuss zu gewähren oder psychologische Probleme zu bemerken und professionelle Hilfe zu holen. Doch wird diese Gutmütigkeit nie ausgenutzt? Doch. Shama erzählt von einem Problemfall. Es geht um einen ehemaligen Mitarbeiter, den er sogar durch eine persönliche Krise begleitete. Nach dessen Abgang aus dem Unternehmen fiel der Buchhalterin auf, dass dieser gestohlen hatte. «Meine Mitarbeiter staunten, weil ich nicht wütend wurde. Nein, ich war nicht wütend, der ehemalige Mitarbeiter tat mir leid.» Shama lud ihn zum Gespräch ein, an dem der Verdächtige erst alles abstritt. Erst als der Unternehmer mit dem Gang zur Polizei drohte, brach er ein. Man einigte sich auf eine Teilrückzahlung. «Ich würde ihn auch heute noch auf der Strasse grüssen. Ich habe ihn ja nicht bestohlen, sondern er mich. Bei ihm ist offenbar einiges schiefgelaufen, sodass er Geld brauchte. Ich bin froh, nicht in seiner Haut stecken zu müssen. Mir und meiner Familie geht es auch ohne diesem Geld gut.»

Selbstverständlich habe Kai Sushi aus dem Vorfall aber auch gelernt. Ein ähnlicher Vorfall könne kaum mehr vorkommen. «Das heisst aber nicht, dass ich meinen 62 Mitarbeitern nun weniger traue», hält Shama fest, der nie eine Kündigung ausspricht, wenn ein Mitarbeiter die Probezeit überstanden hat. «Während der Probezeit beobachten wir genau: Passt die Person zu uns? Setzen wir sie richtig ein? Entscheiden wir uns für sie, gehört sie zur Familie.» Da könne es zu Problemen und Verschiebungen kommen, nie aber zu Kündigungen. Shama glaubt an seine Philosophie der Menschenliebe.

Und die Gäste? Es schmecke irgendwie besser, finden sie bei Kai Sushi oft. Genau definieren können sie die Aussage nicht. Mögen sie das Lokal, weil sie mehr Fisch kriegen als bei anderen? Spüren sie die gute Atmosphäre innerhalb des Unternehmens? Mögen sie das aufwendige, stilvolle Interieur? Amit Shama lächelt: «Erfolgreiche Gastronomie ist mehr als nur kalkulatorisches Können.» Mittlerweile sind es 15 Jahre, eine ausgereifte unternehmerische Philosophie und drei Filialen. Eine vierte ist in Planung.