Tourismusstrategie von Bern Welcome: «Die Kritik der Berner Hotels ist nur teilweise berechtigt»

Oliver Borner – 28. Juli 2022
Die Vereinigung Hotels Bern übt Kritik an Bern Welcome, welche in ihrer Tourismusstrategie aus ökologischen Gründen auf die Bespielung der Fernmärkte verzichtet. Der Tourismus-Experte Marcus Roller von der Universität Bern ordnet die Strategie ein und sagt, warum die Kritik nur bedingt angebracht ist.

Marcus Roller, wie beurteilen Sie die Entscheidung von Bern Welcome, auf eine Bespielung der Fernmärkte in ihrer Tourismusstrategie zu verzichten?
Marcus Roller
: Mit der Diskussion über die Bespielung der Fernmärkte wird ein uralter Konflikt im Tourismus aufgegriffen. Es geht um den Zielkonflikt zwischen ökologischer Nachhaltigkeit und wirtschaftlichen Einnahmen. Das birgt immer wieder Konfliktpotential.

Wie einzigartig ist die Strategie der Stadt Bern in schweizweiten Vergleich?
Die Idee des Verzichts auf die Bespielung der Fernmärke ist nicht neu. Die Stadt Bern schrieb sich dieses Ziel bereits 2018 in die Strategie. Andere Destinationen wie die Stadt Luzern haben diese Klausel ebenfalls in ihre Tourismusstrategie aufgenommen und versuchen damit, den Tourismus in ökologischer Hinsicht nachhaltiger zu machen.

Inwiefern kann der Verzicht auf die Bespielung von Fernmärkten diesem Ziel dienen?
Der Gedanke, dass diese Massnahme hilft, Emissionen zu vermindern, ist durchaus plausibel. Schliesslich legen Touristinnen und Touristen aus der Schweiz und aus dem nahen Ausland kürzere Strecken zurück. Wie viele CO2-Emissionen jedoch durch den Marketingverzicht auf den Fernmärkten eingespart werden können, lässt sich nur schwer sagen, da die Freizeitgäste aus Übersee meist auch noch andere Orte in Europa bereisen.

Welche Konsequenzen bringt dieser Fokus auf die Nahmärkte mit sich?
In erster Linie kann es leichte wirtschaftliche Konsequenzen haben. Die Gruppen von Gästen aus Übersee werden Bern eventuell weniger besuchen. Obwohl Touristen aus Übersee erwiesenermassen eine relativ hohe Wertschöpfung pro Tag generieren, wird der wirtschaftliche Verlust überschaubar sein. Das hängt damit zusammen, dass die Gäste aus Übersee vorwiegend in Gruppen, wo die Wertschöpfung klein ausfällt, unterwegs sind Auf Individualtouristen hat der Verzicht meiner Ansicht nach kaum Einfluss, weil sie in der Regel aus der Schweiz oder dem nahen Ausland stammen.

Portrait MR gross

Marcus Roller ist Co-Leiter der Forschungsstelle für Tourismus an der Universität Bern. (Bild: zVg)

Die Vereinigung Bern Hotels übte bereits mehrmals Kritik an der Strategie von Bern Welcome. Inwiefern ist diese Kritik gerechtfertigt?
Nur teilweise. Aus ökonomischer Sicht fällt gewisse Werbung und so potenzielle Nachfrage weg, dies ist insofern relevant, da Touristen aus Übersee die höheren Tagesausgaben im Vergleich zu europäischen als auch Schweizer Gästen haben.  Allerdings argumentierten sie im Beitrag mit längeren Aufenthaltszahlen und Individualgästen aus Übersee. Diese sind viel schwieriger über Marketingmassnahmen nach Bern zu locken. Hier ist ein gutes Produkt, das Mund-zu-Mund-Propaganda generiert, viel entscheidender. Zudem sind viele dieser Gäste auf Rundreisen durch Europa unterwegs. Vom Marketing her hat daher eher Schweiz Tourismus (ST) einen wichtigen Hebel in der Hand.

Wie können Hotels trotz der fehlenden Bespielung der Fernmärkte dennoch ausländische Gäste an sich binden?
Binden kaum, da es sich bei den Freizeitgästen aus Übersee nur selten um wiederkehrende Reisende handelt. Es geht fast ausschliesslich um die Gewinnung von neuen Gästen. Einzelne Hotels haben hier kaum eine Chance selbst mit Marketing Individualgäste nach Bern zu locken. Viel entscheidender ist, dass sie die Buchbarkeit (in allen Sprachen) ankurbeln.

Die Vereinigung Bern Hotels befürchtet als Folge der fehlenden Bespielung der Fernmärkte einen Overtourism in der Stadt Bern, da die Hotels als Reaktion darauf das Marketing an Touranbieter auslagern könnten. Wie realistisch ist diese Darstellung?
In Bern haben auch vor der Krise Überseemärkte nur 25 Prozent der Übernachtungen ausgemacht. Die Ausrichtung auf die Märkte wird im wesentlichen durch das Gesamtangebot an touristischen Attraktionen und Dienstleistungen vor Ort bestimmt. Einzelne Hotels haben hier nur sehr marginalen Einfluss.