«Max war ein Gast, jetzt muss er die Tische abräumen»

Reto E. Wild – 01. Dezember 2021
Seit sagenhaften 41 Jahren wirtet Vrony Cotting-Julen im «Chez Vrony» in Findeln oberhalb von Zermatt. Nun adelt sie der GaultMillau 2022 mit dem Titel «Gastgeberin des Jahres 2022». Die ausgezeichnete Wirtin spricht mit dem GastroJournal über Talent, Fachkräftemangel und ihre Lebensgeschichte.

«Sie wirtet in einer Zermatter Ski-Hütte. Eine ziemlich edle Hütte: Chez Vrony steht für die überragende Zermatter Pisten-Gastronomie. Regie führt seit Jahrzehnten Vrony Cotting-Julen (61), unterstützt von Ehemann Max (65). Sie steht für Herzlichkeit, Professionalität und ist trotz täglichem Grossansturm die Ruhe selbst», urteilt GaultMillau in seiner neuesten Ausgabe. Es sei herausfordernd, ein Restaurant an diesem Ort auf diesem Niveau zu betreiben, begründet Urs Heller, Chefredaktor GaultMillau Schweiz, als er am Montagmittag in Vals VR die Wahl von Vrony Cotting-Julen zur «Gastgeberin des Jahres 2022» bekanntgibt. «Vrony» zeigt sich sichtlich gerührt und sagt, sie fühle sich in Vals heimisch, denn vor ein paar 100 Jahren seien die Walliser bekanntlich ins Bündner Bergdorf in der Surselva ausgewandert. 

Vrony Cotting-Julen, was bedeutet Ihnen der Titel «Gastgeberin des Jahres 2022»?
Vrony Cotting-Julen: Für mich ist es eine unglaubliche Freude und Ehre, dass ich diesen Titel erhalten habe. Ich kann es kaum glauben, dass ich es bin, die gewonnen hat. Ich bin sehr dankbar. Eigentlich haben so viele in der Branche diese Auszeichnung verdient, die genauso viel arbeiten wie ich.

Sie sind seit 41 Jahren Wirtin. Wie hat alles angefangen?
Damals führten meine Eltern den Betrieb, der Alpenheim hiess und ein Selbstbedienungsrestaurant war. Papa hat mir gesagt, wenn ich im Betrieb arbeite, sollen wir oben im Stübli die Gäste erstmals bedienen. Ich arbeitete gut 18 Jahre mit den Eltern im Betrieb und habe diesen dann übernommen. Meine Schwester hat früh geheiratet, Heinz Julen hatte andere Interessen und so kam eigentlich nur ich als Nachfolgerin in Frage. Meinen Mann Max habe ich in unserem Restaurant kennengelernt. Er war im Winter ein Gast und kam zum Skifahren nach Zermatt. Jetzt muss er die Tische abräumen… Ohne ihn hätte ich es nicht so weit gebracht. Er erledigt als ehemaliger Banker alles im Hintergrund und hält mir den Rücken frei, so dass ich meine Rolle als Gastgeberin ausüben kann. 

Wie teilen Sie sich die Arbeit konkret auf?
Max akquiriert das Personal und schliesst die Arbeitsverträge ab. Selbstverständlich sprechen wir uns dazu ab. Er kümmert sich als Weinliebhaber zusätzlich um unsere Weinkarte. Ich gehe in die Küche und bespreche die Menüs mit den Köchen.

Woher haben Sie das Talent als Gastgeberin? Ist Ihnen das in die Wiege gelegt worden?
Auch hier: Es machen so viele einen guten Job. Aber ja, ich bin mit den Eltern im Restaurant aufgewachsen, durfte nie spielen gehen und musste arbeiten. Wir haben das Restaurant im Lauf der Zeit immer wieder umgebaut. Diesen Frühling haben wir rund 20 Strohschirme auf Sylt gekauft, die zu unseren Loungestühlen passen. Heute besteht Chez Vrony aus 170 Plätzen in den verschiedenen Stuben auf drei Etagen sowie 180 Plätzen auf der Terrasse. Geöffnet haben wir jeweils von Ende November bis Mitte April und dann wieder ab Mitte Juni bis Mitte Oktober. Doch dieses Jahr eröffnen wir erst am 4. Dezember, weil es in Zermatt noch zu wenig Schnee hatte.

Wie läuft das Geschäft?
Zwischen Weihnachten und Neujahr kommen bis zu 70 Prozent der Gäste aus Grossbritannien. Die haben nun fast alle annulliert, zuerst in den Hotels, dann in unserem Restaurant. Wir beschäftigen im Sommer 13 Angestellte, im Winter gut 30. Wir sind also startklar, wissen aber nicht so richtig, was diese Saison wirklich bringt.

Wie stark ist der Fachkräftemangel bei Ihnen ein Problem?
Der Mangel an Personal ist in den letzten zwei Jahren auch bei uns immer schwieriger geworden. Gottseidank haben wir ein Team, das schon lange bei uns arbeitet und immer wieder Freude macht. Wir haben super Arbeitszeiten von 9 bis 16 Uhr. Die Angestellten machen schönes Trinkgeld. Das ist sicher einfacher, als in einem typischen Betrieb den Mittagsservice machen zu müssen, dann in die Zimmerstunde zu gehen und abends wieder zu arbeiten.

Sie tragen jedoch zusätzliche Verantwortung, weil Sie nun mit dem Paradies, nur ein paar Meter vom Chez Vrony entfernt, einen zweiten Betrieb übernommen haben.
Ja, das Paradiesli führt nun Loredana, die bei uns während sieben Jahren gearbeitet hatte. Sie ist die geborene Gastgeberin und führt den Betrieb zusammen mit meinem Göttibub und Neffen Elia Zurbriggen. Moni, die Mutter von Elia, ist meine jüngste Schwester (Elia Zurbriggen ist der Sohn des erfolgreichen Ex-Skirennfahrers Pirmin Zurbriggen und selbst ein ehemaliger Weltcupfahrer, Anmerkung der Redaktion).