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Zermatt profitiert vom Ansturm der Schweizer

Reto E. Wild – 16. Juli 2020
Mitte Juni 2020 startete das Matthiol am Ortsrand von Zermatt in die Sommersaison. Die Anzeichen stehen gut, dass der jungen Crew des Boutiquehotels trotz ­Corona ein erfolgreiches Jahr gelingt. Ein Augenschein am Fuss des Matterhorns.

Wer in diesen Tagen im Bahnhof von Zermatt VS ankommt, wird zuerst überrascht: Der Besucher erhält ein Päckchen Kräuterbonbons einer bekannten Schweizer Marke mit der Aufschrift «Schön, sind Sie wieder da». Das steht zusammen mit «Nous sommes hereux de vous revoir.» auch auf aufblasbaren Transparenten gleich beim Bahnhof. Dahinter spielt die Formation «Alpeglüeh» Volksmusik, an einer Bar können Gäste wahlweise Mineralwasser, Zermatt Bier oder Johannisberg bestellen. Die Rechnung übernimmt Zermatt Tourismus. «Die Aktion läuft voraussichtlich bis Mitte August. Zermatt Tourismus empfängt mit Leistungspartnern jeden ankommenden Besucher persönlich am Bahnhof und lädt ihn ein. Wir wollen damit die Wertschätzung gegenüber den Gästen zeigen und sie positiv überraschen», erklärt Medienmanager Simona Altwegg. «Aktuell kommt der grösste Teil unserer Gäste aus der Schweiz, ein kleinerer Teil aus dem nahen Ausland – insbesondere aus Deutschland. Im Mai fielen rund 90 Prozent unserer Hotelübernachtungen auf Schweizer.» Oder anders ausgedrückt: Zermatt wird derzeit vor allem von Schweizern besucht – und diesen will das Verkehrsbüro fürs Kommen danken. Die Zahlen für Juni und Juli veröffentlicht das Bundesamt für Statistik bekanntlich erst später. Die Wohlfühlmassnahmen zeigen sich später auch beim Check-in im Boutiquehotel Matthiol, das sich zuhinterst im ruhigen Zermatter Ortsteil Winkelmatten befindet. «Schön, Sie bei uns zu begrüssen. Ihre Gesundheit liegt uns sehr am Herzen. Deshalb stellen wir Ihnen gerne eine Safety-Box zur Verfügung», steht auf der Karte im Zimmer. Der Inhalt der Box ist mit einem Augenzwinkern zu verstehen. Er besteht aus Schutzmaske (auch auf den Bergbahnen gilt Maskenpflicht), Sonnencrème, Körpermilch – und Kondom. «Das Hygienekit befindet sich auf allen Zimmern. Wir wollen dem Gast nichts vorschreiben. Er kann selbst entscheiden, was er möchte», erläutert der 32-jährige Gastgeber Céderic Blaser die kreative Komposition. Sehr viele kurzfristige Anfragen
Der Solothurner ist seit 2019 Hotel­direktor des Vier-Sterne-Hauses, das zu den Maisons Matthiol gehört. Diese bestehen aus dem Boutiquehotel, neun Appartements oberhalb der Talstation der Sunnegga-Bahn sowie dem Berg­restaurant Stafelalp. Matthiol-Besitzerin ist Jungunternehmerin Sarah Schwarzenbach. Auf die Frage, wie das Geschäft im Zeitalter von Corona läuft, sagt der Hoteldirektor: «Wir hätten das Hotel auch ohne Corona erst am 12. Juni geöffnet. Im April/Mai war es mit Buchungen noch sehr ruhig. Nun erhalten wir sehr viele kurzfristige Anfragen. Damit sich die Kunden flexibler fühlen, haben wir die Stornierungsfristen auf drei Tage gekürzt.» Normalerweise habe das Hotel, das punkto Frühstück, Service, Zimmereinrichtung und Restaurant durchaus Fünf-Sterne-Niveau erreicht, 65 Prozent Schweizer Gäste. «Jetzt sind 88 Prozent der Gäste Schweizer», informiert Blaser. Die restlichen 12 Prozent würden hauptsächlich auf Ausländer fallen, die in der Schweiz leben. «Touristen aus den USA und Grossbritannien fehlen uns.» Die Auslastung im Sommer betrage 70 Prozent, was in etwa 2019 entspreche. Prognosen seien allerdings schwierig, weil die Kunden kurzfristig buchen und kürzere Stornierungsfristen gelten. Preiswerte Zimmer sind Mangelware Zermatt profitiert von einem Boom unter Schweizer Gästen. Die Bahnhofstrasse ist von vielen Passanten frequentiert, selbst unter der Woche bilden sich am späteren Morgen vor den Bergbahnen Warteschlangen. Vor allem an den Wochenenden während der Schulferien ist es schwierig, ein Hotelzimmer zu einem attraktiven Preis zu finden. Jene Hotels, die auf Gruppen gesetzt haben, sind weniger glücklich mit der Buchungslage als auf Individualreisende spezialisierte Häuser. Im autofreien Bergdorf kosten die Bergbahnen zusätzlich – im Gegensatz zu Ferienorten im Engadin, in der Lenzerheide oder Saas-Fee, wo teilweise ab zwei Übernachtungen die Bahnen inkludiert werden. «Wir definieren uns über die Qualität und nicht über den Preis. Die Besucher erwartet ein erstklassiges Angebot mit einer hochwertigen Infrastruktur, guter Gastronomie, Gastfreundschaft und vielfältigen Aktivitätsmöglichkeiten – das Gesamterlebnis stimmt. Dies ist, was unsere Besucher schätzen», begründet Simona Altwegg. Immerhin ist der E-Ortsbus diesen Sommer kostenlos. Die 33 Zimmer und Suiten im Boutiquehotel sind in vier Kategorien unterteilt: vom Standard ab 200 Franken pro Zimmer inklusive Frühstück bis zum Matterhorn-Spa mit eigener Sauna, Hamam, freistehender Badewanne sowie dem unbezahlbaren Blick vom grossen Balkon aufs Matterhorn. Alle Zimmer sind mit Boxspringbetten und gepolsterter Rückwand, Flachbild-TV, Internet und Minibar ausgestattet. Die Räumlichkeiten sind hell und mit weisser Farbe und Holzbalkendecken aufgewertet. Ein Grossteil der Möbel und Gestaltungselemente wurde während des Umbaus vor fünf Jahren von Sarah Schwarzenbach entworfen. Der kleine Wellnessbereich im Erdgeschoss besteht aus einer Dampfgrotte, Saunen und einem Outdoor-Jacuzzi. Filet & Fils: Rezepte neu interpretiert
Zu den Stärken des Hotels gehört das eigene Restaurant Filet & Fils, wo der Tscheche Michael Sebela (33) seit 2019 kocht. Die aktuelle Karte im Lokal mit seinen 60 Plätzen ist klein, aber fein. «Wir verwenden frische und saisonale Produkte. Vor und hinter dem Hotel haben wir unseren eigenen Kräutergarten mit Rosmarin, Thymian, Salbei, Schnittlauch, Petersilie, Kapuzinerkresse und essbaren Blumen», erklärt der Chef. Es mache ihm Spass, alte Rezepte neu zu interpretieren – etwa warme Burrata mit Senfcrumble und Tomaten, Mistkratzerli mit Rosmarinbutter oder Luma-Rindsfleisch aus der Schweiz. Als Fisch gibt es Zander oder Forelle und eben nicht Thun; Käse und Eier werden bei Schweizer Bauern eingekauft. Die Philosophie des Kochs: «Wir bereiten die Gerichte so einfach wie möglich zu und benötigen keine Pinzette zum Spielen. Der Geschmack muss super sein.» Und zu diesen hervorragend gekochten Gerichten passen Walliser Weine aus der mit viel Liebe zusammengestellten Karte. Es ist just diese Liebe zum Detail, die das Mat­thiol mit seiner jungen Crew einzigartig macht.