«Unser Beruf ist wie Musik, er tut Menschen gut»

Corinne Nusskern – 18. August 2022
Die Gemeinschaftsgastronomie hat ihre eigene Dynamik und ­Arbeitsweisen. Euloge Malonga ist stellvertretender Küchenchef im Hirslanden Salem-Spital in Bern. Ihm ist es wichtig, Freude und ­Genuss zu stiften, und er zeigt, dass man auch in dieser Sparte Karriere machen – und Kochwettbewerbe gewinnen kann.

Euloge Malonga, wie hat sich die Gemeinschaftsgastronomie aus Ihrer Sicht in den letzten Jahren entwickelt?
Euloge Malonga: Sehr positiv. Früher hiess es, um dies oder jenes zu erreichen, muss man da und dort gearbeitet haben. Heute hingegen braucht es Motivation und Herzblut, und dass man seine Arbeit seriös und richtig macht. Was viele vergessen: Auch die Gemeinschaftsgastronomie setzt auf Qualität, Regionalität und Kreativität. Dies widerspiegelt sich oft in Kochwettbewerben, wo jene, die vorne liegen, oft aus der Gemeinschaftsgastronomie kommen.

Stimmt. Warum ist das so?
Gemäss meiner Erfahrung lassen sich in der Gemeinschaftsgastronomie die Übungsstunden dank unseren Arbeitszeiten besser planen. Zudem arbeiten wir nicht täglich in der Art, wie sie an Kochwettbewerben gefragt ist. So können wir diese Art des Kochens dann dort ausleben. Die Wettbewerbe sind eine tolle Ergänzung zu unserem Alltag.

Sie haben selbst an Kochwettbewerben teilgenommen und 2019 den Swiss Culinary Cup gewonnen, 2021 waren sie Finalteilnehmer beim Goldenen Koch. Was konnten Sie für sich mitnehmen?
Es war eine schöne und intensive Zeit. Ich habe viel gelernt, gute Menschen kennengelernt, und es öffnete mir so manche Tür. Zu vielem in meiner Karriere hatte ich dadurch einfacher und schneller Zugang. Ich empfehle allen, an Kochwettbewerben mitzumachen!

Was offeriert die Gemeinschaftsgastronomie Köchen und Köchinnen, was die klassische Gastronomie nicht kann?
Sie bietet bessere Arbeitszeiten und Sozialleistungen, und das Privatleben ist besser planbar. Ich habe zwei Töchter. Jeder Mensch hat seine Werte, für mich steht die Fa­milie an erster Stelle. Beim Spätdienst bin ich abends kurz nach sieben Uhr zu Hause. In der klassischen Gastronomie ist dies fast nicht möglich. Klar, es kommt immer auf die Person an, was sie möchte. Für einige Köche und Köchinnen be­deu­tet richtig und fein kochen die hohe Schule der Sterneküche. Für andere passt es, in der Dorfbeiz Traditionelles wie Cordon bleus zuzubereiten. Auch das ist echtes Kochen! Und für mich stimmt es in der Gemeinschaftsgastronomie, wo ich von der Diätküche bis zu à la carte das ganze Repertoire bespielen kann.

Was macht Ihnen in der Gemeinschaftsgastronomie besonders Freude?
Was ich bei uns sehr mag, ist unser multikulturelles Team von 25 Mitarbeitenden, inklusive zwei Lernenden. Ich arbeite mit Tamilen, Afrikanerinnen, Indern, Schweizern und und und. Ich brauche dies, es passt zu mir. Für mich ist es ein Plus. Man kann immer von jedem und jeder etwas lernen, ob kulinarisch oder menschlich. Man muss nicht 1000 Diplome haben, um etwas weitergeben zu können. Aber es gibt auch in der Ge­meinschafts­gastronomie Unterschiede. In Altersheimen ist der Nationenmix teilweise weniger ausgeprägt.

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Euloge Malonga, stellvertretender Küchenchef im Hirslanden Salem-Spital in Bern: «In welchem Gastronomiesegment man auch immer arbeitet, wichtig ist, dass man es mit Motivation und Herzblut anpackt sowie seriös und richtig macht, damit die Qualität stimmt.» (Foto: Daniel Winkler)

Welche Pluspunkte und Perspektiven haben Sie im Hirslanden Salem-Spital?
Wir profitieren hier von guten Weiterbildungsmöglichkeiten, sei dies PC-Kenntnisse verbessern oder Unterstützung bei externen Weiterbildungen wie etwa zum eidgenössisch diplomierten Küchenchef. Im Moment bin ich absolut zufrieden mit meiner Stelle. Zudem können wir in anderen Küchen der Hirslanden-Gruppe schnuppern. Das ist super, man lernt voneinander und tauscht Erfahrungen aus.

Wie sehr können Sie im Alltag Ihre Kreativität ausleben und einbringen?
Sehr gut, ich habe einen grossen Freiraum, und wir kochen auf hohem Niveau und nach neusten ernährungsphysiologi­schen Erkenntnissen. Alle sechs Wochen wiederholt sich die Basis der Menüs. Aber nicht eins zu eins, alle Menüs werden saisonal und immer wieder anders kreiert und angepasst. Dieses System lässt uns besser einkaufen und kalkulieren.

Wie rechnet man in der Spitalküche?
Wir haben ein Gesamtbudget, das die Gastronomieleitung vorgibt. Ich kann sagen: Wir haben einen guten Rahmen.

Bei Spital-, System- und Gemeinschaftsgastronomie denken die meisten zuerst an Convenience. Welche Rolle spielt diese bei Ihnen in der Küche?
Dort, wo die Wirtschaftlichkeit gegeben ist, ergibt Convenience Sinn. Bei uns ist es sehr gut ausbalanciert. In unserer Grossküche, in der wir täglich 1300 bis 1500 Essen zubereiten, ist es un­möglich, alles frisch zu machen. Das geht schon personell nicht auf. Wir beliefern auch die Klinik Beau-Site in Bern. Wir verwenden nur hochwertige Produkte, und wo möglich, kaufen wir lokal ein, zum Beispiel Fisch von Gertsch Comestibles, Eier vom Weidhof im Emmental und die Kräuter stammen aus dem Garten vor unserer Küche.

Sie arbeiten nach dem Cook & Chill-Verfahren: Wie funktioniert dieses?
Beim Cook & Chill-Verfahren werden gekochte Lebensmittel in maximal 20 Minuten von 90 auf 4° Celsius abgekühlt, damit die Vitamine und Nährstoffe erhalten bleiben. An sogenannten Vorbereitungstagen bereiten wir die Mise-en-place für die Gerichte vor. Von Ragout über Stärkungsbeilagen und Gemüse bis hin zu den Saucen. An den Produktionstagen wird dann gekocht, nach dem Cook & Chill-Verfahren abgekühlt und die Gerichte in Green-Vac-Schalen portioniert. Dies ist schonend und macht die Produkte länger haltbar. Einige sind dabei heikler als andere, zum Beispiel die Zubereitung von à-la-Minute-Fleisch und -Fisch ist mit Cook & Chill nicht zu empfehlen.

Bei den À-la-carte-Menus finden sich Gerichte wie Jakobsmuscheln im Speckmantel mit Pommery-Senfsauce, Carnaroli-Gemüse-Risotto mit gratinierten Artischockenböden oder eine Schokoladen-Trilogie. Kann Essen heilsam sein?
Definitiv. Nicht medizinisch, das ist die Aufgabe der Ärzte. Aber Essen kann moralisch heilen. Liegt eine Patientin krank im Spitalbett und der Stationsservice stellt ihr ein Tablett hin, hebt die Cloche a und dann ist da ein schön angerichteter Teller, es duftet fein und schmeckt, dann vermitteln wir der Patientin, dass wir an sie denken, und geben ihr etwas Lebensfreude. Deshalb sage ich unseren Mitarbeitenden stets: Macht alles mit Herzblut. Man darf unseren Beruf nicht unterschätzen. Er ist vergleichbar mit Musik – die tut den Menschen auch gut.

Spitalköche sehen die Patienten kaum. Wie ist das für Sie?
In unserem Spitalrestaurant steht zur Mittagszeit immer Küchenchef Thomas Strausak oder ich an der Ausgabe. Das ist toll, so haben wir den Austausch mit Patienten, Mitarbeitenden und Gästen, und bekommen direkt Feedback.

Man hört von Köchen und Köchinnen, die in der Gemeinschafts- oder Systemgastronomie arbeiten, dass sie teilweise von Berufskollegen und -kolleginnen angeblich weniger ernst genommen werden. Wie sind da Ihre Erfahrungen?
Es ist bekannt in der Branche, dass einige so denken. Doch jene, die so etwas sagen, sollten vielleicht etwas genauer hinschauen. Ein Chef, der Ahnung vom Kochberuf hat, sagt so etwas nicht.

Sie haben diesen Stimmen gezeigt, das dem nicht so ist, und sich ziemlich in Ihre Karriere reingekniet. Was treibt Sie an?
Berufsstolz und Berufsliebe. Ich hatte Glück und konnte vieles machen, um aus der Komfortzone herauszutreten. Das kommt aus mir selbst, ich bin kein Routinemensch. Der Anspruch an mich selbst heisst überlegtes Weiterkommen.

Wie steht es bei Ihnen mit dem Fachkräftemangel? Spüren Sie diesen, oder haben Sie aufgrund der regulären Arbeitszeiten da weniger Probleme als die klassische Gastronomie?
Wir spüren den Fachkräftemangel auch. Es ist nicht so einfach, Diätköche zu finden. Früher hatten wir auf Inserate viele Bewerbungen und konnten aus den Kandidaten und Kandidatinnen auswählen. Im Moment haben wir Glück, wir sind in der Küche komplett.

Gemeinschafts- und Systemgastronomie

Die Gemeinschaftsgastronomie (Spitäler, Kantinen, Schulen, Heime), aber vor allem die Systemgastronomie unterscheiden sich durch standardisierte Organisationsstrukturen und Multi­plikation von der klassischen Gastronomie. Dazu gehören Un­ternehmen wie SV Group, ZFV, Compass, McDonald’s, Migros oder Coop, aber auch kleinere wie Tibits oder Hans im Glück sowie Autobahnraststätten und Take-aways.
Die Branche bietet die dreijährige Berufslehre Systemgastronomiefachfrau/-mann EFZ an: Der Beruf eignet sich für Orga­nisationstalente, die Gäste beraten und vor deren Augen Ge­richte zubereiten oder neue Mitarbeitende einführen. Hinter den Kulissen sind sie für Administratives und Kaufmännisches zuständig. Die Systemgastronomie wächst und bietet gute Perspektiven. Mit dem Besuch der Berufs­mittelschule lässt sich die Berufsmaturität erreichen. Systemgastronomen übernehmen oft schon in jungen Jahren Führungsverantwortung.