«Wir setzen noch mehr auf lokale Produkte»

Reto E. Wild – 22. April 2022
Der Krieg in der Ukraine erreicht indirekt die Schweiz: Hoteldirektorinnen wie Nathalie Seiler-Hayez, Gastronomen, Produzenten und Weinhändler machen die teils massiven Preiserhöhungen zu schaffen. Gastroconsult-Unternehmensberater Mirco Held erklärt, wie Unternehmer jetzt agieren sollten.

«Erster Zürcher Pizzaiolo schlägt massiv auf», titelt der «Blick» und schreibt, dass seit der russischen Invasion in der Ukraine der Weizenpreis um über 30 Prozent gestiegen ist. Im Vergleich zum Vorjahresmonat haben auch die Preise für Gas, Benzin, Diesel und Heizöl um gut 27 Prozent angezogen, was in der Schweiz zu einer höheren Inflation führt. Gleichzeitig erhöhte sich laut dem Statistischen Bundesamt in Deutschland die Nachfrage nach Mehl bereits zwei Wochen nach Ausbruch des Kriegs in Osteuropa um 206 Prozent. Das veranlasste den deutschen Ernährungsminister Cem Özdemir, an die Branche zu appellieren, keine unnötigen Vorräte anzulegen.

Raphael Wyniger, der mehrere Restaurants und Hotels in Basel und Umgebung wie den Teufelhof verantwortet, klagt: «Wir sind in einem sehr hohen Masse mit Preissteigerungen konfrontiert. Diese bewegen sich je nach Warengruppe zwischen einem tiefen einstelligen Prozentbereich bis hin zu zweistelligen Prozentzahlen. Wir geben die Preisaufschläge an die Gäste weiter und realisieren eine Preiserhöhung auf allen unseren Dienstleistungen.» Dieser Schritt sei notwendig und unabdingbar für die Branche. Die steigenden Mitarbeiterkosten würden zusätzlich dazu führen, dass die Gäste künftig höhere Preise in Kauf nehmen müssten.

«Es ist wichtig, höhere Preise auf den Gast abzuwälzen»

Ein nicht genannt sein wollender Gastronom aus dem Kanton Zürich erklärt: «Über Preiserhöhungen sprechen wir – wie die meisten Leute – nicht. Aber ja, auch wir haben unsere Menüpreise angehoben. Bis anhin gab es keine Kundenreklamationen.» Der Beizer hat laut Unternehmensberater Mirco Held von Gastroconsult richtig gehandelt, erklärt doch Held: «Es ist wichtig, dass die höheren Einkaufspreise auf den Gast abgewälzt werden, ansonsten trägt der Unternehmer die Mehrkosten selbst. Dies kann nicht zielführend sein, denn die Margen in der Gastronomie sind bekanntermassen bereits sehr knapp bemessen.» Wichtig sei, so Held, dass die Unternehmer Preisaufschläge von Lieferanten überhaupt bemerken, auch wenn die Branchenprofis nicht aktiv darüber informiert werden. «Ich habe beispielsweise mindestens halbjährlich die Einkaufspreise bei den Weinen kontrolliert. Daraus resultierten entweder Preisverhandlungen mit dem Zulieferer oder eine Nachkalkulation der Verkaufspreise.»

Tatsächlich müssen die Weinhändler mit steigenden Preisen leben. Jan Martel, Leiter des Familienunternehmens, spricht sogar von einer «massiven Preiserhöhung von Rohmaterialien, Treibstoff und Energie». Ausländische Weine würden sich wegen der generellen Inflation in den EU-Ländern und in den USA als Folge der Knappheit durch schlechte Ernte wie in Burgund oder in der Champagne verteuern. Bei den Schweizer Weinen habe der schwierige Jahrgang 2021 mit Spätfrost, Verrieselung, Mehltau und Hagelsturm zu anziehenden Preisen geführt – unabhängig vom Krieg in der Ukraine. «Dank dem starken Franken kann aber die Weinhandlung Martel AG die Preiserhöhungen abfedern und verzichtet teilweise auf die Marge, um die Preise stabil zu halten.»

Gianni Vergani vom gleichnamigen Familienunternehmen in Zürich, das zu den führenden Schweizer Direktimporteuren von italienischen Weinen gehört, sagt: «Die Preissituation scheint sich wöchentlich zu ändern. Bei uns schlägt die Mehrheit unserer Produzenten die Preise auf. Normalerweise bewegen sich diese glücklicherweise im Rahmen von Cents und nicht mehreren Euros. Will heissen, dass wir die Preisaufschläge dank dem Euro teilweise kompensieren können. Bei uns wird es tendenziell also keine grösseren Aufschläge geben.» Und dann holt Vergani aus: «Gewisse Player» in der Schweiz würden die Situation ausnützen und die Preise erhöhen, um die Marge zu verbessern. «Es gibt auch Produzenten, die es mit den Aufschlägen übertreiben, weil auch sie die Gunst der Stunde nutzen möchten. Hier haben wir mit Einzelnen intensive Gespräche geführt, und die Produzenten haben akzeptiert, dass sie prozentual nicht mehr aufschlagen können als andere Produzenten im Gebiet.» Er hoffe nun, dass sich der Euro nicht plötzlich Richtung 1.10 bewege. «Letztlich ist die Kalkulation eine Frage der Unternehmensphilosophie. Wir leben vom Vertrauen, das unsere Kunden in uns setzen. Und Transparenz schafft Vertrauen. Wir sind überzeugt, dass wir besser fahren, wenn wir klar kommunizieren, weshalb es kaum Aufschläge gibt, aber dass sich die Situation ändern könnte.»

 

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Nathalie Seiler-Hayez auf der Terrasse einer frisch renovierten Suite in ihrem Hotel Beau-­Rivage Palace in Lausanne-Ouchy VD: «Das Problem mit den aktuellen Preiserhöhungen ist enorm. Wir spüren es besonders, wenn wir Arbeiten am Hotel ausführen müssen.» (Foto: Nicolas Righetti)

Interview mit Hotelière Seiler-Hayez

Nathalie Seiler-Hayez, wie hat das Beau-Rivage Palace die zwei Jahre der Pandemie gemeistert?
Nathalie Seiler-Hayez: Das Hotel ist 160 Jahre alt und hatte nie geschlossen, auch nicht während der beiden Weltkriege. Doch am 20. März 2020 mussten wir zum ersten Mal überhaupt für zwei Monate unsere Tore schliessen. Das war für uns alle seltsam und sehr traurig. Plötzlich gab es keine Kunden mehr. Anfang 2021 musste das Beau-Rivage Palace seine Pforten erneut schliessen, diesmal für drei Monate. Zweimal waren unsere 420 Mitarbeitenden von einem auf den anderen Tag in der Kurzarbeit. Als ich jedoch sah, was mit meinen Hotelkollegen anderswo auf der Welt passierte, war ich stolz und glücklich, zu dieser Zeit in der Schweiz zu sein, da die Krise in unserem Land sehr gut bewältigt wurde.

Sie haben diese Zwangspause genutzt, indem Sie den gesamten Beau-Rivage-Flügel renovierten.
In der Tat waren der historische Flügel und seine 68 Zimmer renovationsbedürftig, und die Arbeit dauerte zwei Jahre. Unser Glück war, dass die Sandoz-Stiftung und der Verwaltungsrat grünes Licht gegeben haben. Strategisch entschieden wir richtig, denn unser Palast ist nun voll bereit für die Erholung.

Also läuft das Geschäft wieder?
Die internationale Klientel ist zurück, und abgesehen von der russischen Kundschaft geht es gut, ja. Auch unseren Durchschnittspreis konnten wir im Vergleich zur Vor-Covid-Zeit erhöhen. Ich bin zuversichtlich, dass wir in diesem Jahr zu der durchschnittlichen Belegungsrate zurückkehren werden, die wir vor der Pandemie erreichten.

Wie stark sind Sie von den aktuellen Preiserhöhungen im Einkauf betroffen?
Es ist klar, dass die Covid-Krise zu einer Verknappung von Rohstoffen wie Holz, Metall und vielen anderen geführt hat. Das Problem ist enorm. Wir spüren es besonders, wenn wir Arbeiten ausführen müssen. Würden wir den Beau-Rivage-Flügel heute renovieren, würden uns alle Rohstoffe wahrscheinlich 30 Prozent mehr kosten. Das macht schnell mehrere zehn Millionen Franken aus. Hinzu kommt die Wartezeit: Wenn ich in diesen Tagen Terrassenmöbel bestelle, werden diese im Sommer 2023 geliefert. Die Verzögerung ist einerseits auf die Verknappung von Rohstoffen und andererseits darauf zurückzuführen, dass die Hersteller überfordert und die Lagerbestände nicht vorhanden sind. Für ein Hotel, das sehr reaktionsschnell sein muss, wenn etwas kaputt ist, verkompliziert das alles. Die Folgen der Covid-Krise werden jahrelang anhalten. Und jetzt verursacht der Krieg in der Ukraine eine Inflation der Lebensmittelpreise.

Was sind die Hauptprodukte, die heute mehr kosten?
Weizen, Mehl, Sonnenblumenöl. Im Moment haben uns nur sehr wenige Lieferanten über eine Preiserhöhung informiert. Heizöl kostet uns jetzt pro Liter 20 Rappen mehr, und auch der Preis für die Gasflaschen, die wir beim Kochen verwenden, ist gestiegen. Ganz zu schweigen von Ersatzteilen für eine Reparatur oder Wartungsprodukten. Alles, was transportiert wird, kostet wegen des Benzinpreises mehr.

Können Sie den Gesamtanstieg Ihrer Kosten abschätzen?
Nein, denn jede Kategorie von Produkten, ob Lebensmittel oder andere ist unterschiedlich betroffen. Aber es ist klar, dass wir erst am Anfang der Preiserhöhungen stehen, insbesondere bei Lebensmitteln. Denn noch gibt es Lagerbestände. Deshalb folgt der eigentliche Höhepunkt der Preise erst noch.

Kompensieren Sie das mit höheren Zimmerpreisen?
Ja, für bestimmte Zimmerkategorien, insbesondere für die Suiten im neu renovierten Flügel, da sie komplett umgebaut und vergrössert wurden. Unsere Preise entsprechen dem Mehrwert für das neu geschaffene Produkt. Ansonsten bestimmen die Nachfrage und weitere Preiserhöhungen im Einkauf unsere Zimmerraten. Aber wir haben auch weitere Mehrwerte geschaffen wie den Transfer zum Flughafen, eine kostenlose Vermietung von E-Bikes oder einen Butlerservice.

Wie können Sie gleichzeitig das Niveau des Produkts halten und die Kosten senken?
Wir verraten unsere Geheimnisse nicht (lacht)! Im Ernst, wir sind Teil einer Gruppe, die sechs Hotels besitzt (Anmerkung der Redaktion: Zur Sandoz-Stiftung gehört das Beau-Rivage Palace, das Hotel d’Angleterre, das Château d’Ouchy, das Lausanne Palace, das Palafitte in Neuchâtel und das Riffelalp Resort oberhalb von Zermatt). Wir profitieren deshalb als Gruppe beim Einkauf. Ich ermutige Hoteliers in der gleichen Region, beim Einkauf zu kooperieren und so die Preise von Lieferanten zu senken.

Was machen Sie sonst noch, um steigende Preise zu kompensieren?
Wir setzen noch mehr auf lokale Produkte. Der Transport von Waren aus dem Ausland ist jetzt teurer, und wir haben aussergewöhnliche Produzenten in der Region. Es geht darum, mit möglichst kurzen Wegen zu arbeiten. Erstellen Sie beispielsweise die Speisekarte des Restaurants nur mit lokalen Produkten!

Welche Rolle spielt Regionalität in Ihrem Hotel?
Wenn der Hotelgast in einem Haus unserer Klasse mit einer Flasche Champagner begrüsst wird, ist das zwar sehr klassisch, aber auch langweilig. Bei uns steht eine Flasche Chasselas im Zimmer, begleitet von hausgemachtem Gebäck und nicht vom üblichen Obstkorb. Wir spüren das Bedürfnis der Kunden nach Authentizität sehr stark und reagieren darauf, indem wir sie gleichzeitig neue Geschmacksrichtungen entdecken lassen.

Welche weiteren Möglichkeiten haben Sie, um die Kosten zu senken?
Überprüfen Sie die Mengen! Den Kunden ein Mödeli Butter zu servieren, wenn sie nicht einmal die Hälfte davon essen, ist falsch. Gleiches gilt für Konfitüre im Glas. Wir sehen es in allen unseren Hotels: Wenn wir kleinere Mengen anbieten, versteht das der Kunde, wir reduzieren die Lebensmittelverschwendung und sparen Geld. Wir denken auch darüber nach, wie wir die Kunststoffbehälter bei den Pflegeprodukten ersetzen können, und wollen so wirtschaftlicher und nachhaltiger sein.

Die Krise treibt Sie an, sich neu zu erfinden ...
Das stimmt. Die Krise zwingt uns, kreativer zu sein und bestimmte Prozesse zu überprüfen. Das ist positiv! Wir sehen dies auch bei den Problemen, die die Branche in Bezug auf die Personalrekrutierung hat: Es ist an der Zeit, die Dinge anders zu machen.

Wie stark betroffen sind Sie vom Fachkräftemangel?
Es ist eine Katastrophe. Der Beruf war noch nie so stark betroffen wie jetzt, auf globaler Ebene. Während der Pandemie kamen viele Angestellte auf den Geschmack, das Wochenende zu geniessen und geregelte Arbeitszeiten zu haben. Viele haben die Branche verlassen. Wir aber müssen wieder begehrenswert werden.

Wie? Soll man die Fachkräfte im Ausland, etwa in Frankreich, rekrutieren?
Als Arbeitgeber müssen wir bezüglich Arbeitszeit und Arbeitsbedingungen flexibler werden. In Frankreich ist der Markt ausgetrocknet: Derzeit gibt es dort 120 000 offene Stellen im Hotel- und Gastgewerbe. Wir werden deshalb neue Märkte finden müssen, um Personal zu rekrutieren, zum Beispiel Rumänien. Da dieses Land Teil der EU ist, ist es einfacher, Arbeits­erlaubnisse zu erhalten. Der Bund sollte jedoch die Einschränkungen in diesem Bereich lockern. Wer in unserer Branche arbeitet, bringt den Gästen Momente des Glücks. Seien wir stolz darauf, Hoteliers zu sein!

Mirco Held CN WEB

Mirco Held, Unternehmensberater der Gastroconsult AG (Foto: Corinne Nusskern)

Mirco Held von der Gastroconsult AG gibt Ratschläge zum Umgang mit steigenden Preisen

Wie sollen die Betriebe reagieren, wenn der Einkauf der Produkte nun plötzlich viel teurer wird?
Wichtig ist, dass die höheren Einkaufspreise dem Gast weitergegeben werden. Sonst muss der Unternehmer die Mehrkosten selbst tragen. Es gibt jedoch einige Produkte, die sensibel und gut vergleichbar sind, beispielsweise eine Stange Bier, ein Glas Mineralwasser oder Kaffee. Deshalb sollten Angebote geschaffen werden, die schlecht vergleichbar sind. Kostet der Espresso 20 Rappen mehr, braucht es eine entsprechende Aufklärung. Wir empfehlen dann eine offene Kommunikation. Den meisten Gästen ist es bewusst, dass das Mittagsmenü nicht immer 18.50 Franken kosten kann.

Wie soll der Beizer konkret vorgehen?
Im Minimum gilt es, den Preisaufschlag des Zulieferers weiterzugeben. Aufgrund von Mehrkosten, die für das Anpassen von Speisekarten oder Preislisten bei den Menüs entstehen, sollte man bei der Kalkulation der Preise einen Puffer berücksichtigen. Sonst müssen die Verkaufspreise dauernd angepasst werden. Zumindest die Frontmitarbeitenden sollten über Preiserhöhungen im Detail informiert werden. So kann das Personal rasch auf Unmut der Gäste reagieren.

Ein weiterer Hebel ist, die Kosten zu reduzieren.
Ja, die Reduktion des Angebots ist eine Möglichkeit. Oft gibt es Gerichte, die sehr aufwändig, aber bei den Gästen nicht besonders beliebt sind. Im Idealfall erreicht die Karte mit 20 Prozent der Gerichte 80 Prozent der Gäste. Und: Die Öffnungszeiten überdenken, denn die Randstunden haben einen grossen Einfluss auf die Mitarbeiterproduktivität und damit auf die Mitarbeiterkosten. Die Warenkosten, laut Branchen­spiegel im Schnitt 28,8 Prozent, machen einen grossen Anteil des Gesamtertrags aus. Doch die Mitarbeiterkosten schlagen mit durchschnittlich gut 52 Prozent deutlich höher zu Buche. Teilt man den Ertrag durch die Mitarbeitereinsatzstunden, ergibt sich die ­Produktivität. Diese Zahl ist der wesentliche Parameter.

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