«Die Auswirkungen auf den Tourismus hängen stark von der Länge des Konflikts ab»

Oliver Borner – 03. März 2022
Mit dem Konflikt in der Ukraine und den Sanktionen gegen Russland kommt nach der Coronapandemie eine weitere Herausforderung auf den Schweizer Tourismus zu. Im Interview mit dem GastroJournal spricht Tourismusexperte Jürg Stettler von der Hochschule Luzern über die möglichen Auswirkungen auf den Tourismus in der Schweiz.

Wie gross sind die Auswirkungen des Konflikts in der Ukraine auf den Schweizer Tourismus?
Jürg Stettler: Sie lassen sich im Moment noch sehr schwer einschätzen. Der Konflikt hat erst gerade begonnen und die ersten Sanktionen wurden vor kurzem beschlossen. Es wird entscheidend sein, ob der Konflikt ein lokales Ereignis bleibt oder ob er sich zum Flächenbrand ausbreitet.

Inwiefern schreckt dieser Konflikt Touristinnen und Touristen aus Übersee davon ab, ihre Ferien in der Schweiz zu verbringen?
In dieser Hinsicht wird vor allem der amerikanische Markt vom Konflikt beeinflusst werden. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass amerikanische Touristinnen und Touristen stets sensibler auf militärische Konflikte reagierten und ihre Reisen in der Folge verschoben oder gar annullierten. Dies hängt nicht zuletzt mit der wahrgenommenen geographischen Nähe zu Russland zusammen. Für die Amerikaner, die Europa nicht gut kennen, ist die Schweiz näher bei beim Kriegsgebiet als sie es wirklich ist.

Wie sieht es mit dem asiatischen Markt aus?
Asien wird sich aufgrund der Corona-Pandemie der nahen Zukunft noch keine grosse Rolle für den Schweizer Tourismus spielen und langsamer erholen. Man weiss insbesondere mit Blick auf China nicht, wie sich ihre Coronapolitik in den kommenden Monaten entwickeln wird und ob und unter welchen Bedingungen chinesische Touristengruppen aus dem Land ausreisen dürfen.

Der Konflikt treibt bereits jetzt den Ölpreis nach oben. Müssen sich Reisende auf höhere Reisepreise einstellen?
Das wird zweifellos eintreten, ja. Zumindest für die Touristen, die mit dem Flugzeug reisen. Wenn der Ölpreis steigt, wird auch das Kerosin teurer, was sich im Endeffekt auf die Ticketpreise auswirken wird. Zudem können die steigenden Energiepreise auch die Aufenthalte in Hotels oder Herbergen teuer machen, da viele Betriebe noch mit Öl oder Gas heizen. In der Schweiz kommt zudem erschwerend hinzu, dass der starke Schweizer Franken und die Inflation Reiseangebote zusätzlich teuerer machen kann, was ausländische Touristinnen und Touristen abschrecken könnte.

 

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Jürg Stettler ist Experte und Dozent im Bereich Tourismus an der Hochschule Luzern (HSLU). (Bild: Patrick Kälin)

Welche Auswirkungen sehen Sie für Regionen, die bei russischen Touristinnen und Touristen besonders beliebt sind?
Ich denke, die Auswirkungen werden mit Blick auf die gesamte Schweiz überschaubar sein. 2019 verzeichnete Schweiz Tourismus ca. 360 000 Übernachtungen von russischen Touristinnen und Touristen in der Schweiz. Das entspricht einem Anteil von ungefähr zwei Prozent. Ich kann mir aber vorstellen, dass Ziele wie St. Moritz oder Städte wie Genf oder Zürich, die einen höheren Anteil russischer Gäste hatten, das Ausbleiben dieser Gäste spüren werden.

Nach der Aufhebung eines Grossteils der Coronamassnahmen hoffte der Schweizer Tourismus auf ein schnelle Erholung. Inwieweit wird die durch den Konflikt nun gebremst?
Falls der Konflikt in der Ukraine andauert, wonach es im Moment leider aussieht, könnte die Nachfrage insbesondere aus Übersee langfristig gedämpft werden. Ich schliesse aber auch nicht aus, dass sich der eine oder andere Schweizer Tourist einmal mehr überlegt, seine Ferien in der Schweiz zu verbringen, sollte der Konflikt länger andauern. Hinzu kommt, dass jeder Markt sich unterschiedlich schnell erholt. Dennoch bin ich zuversichtlich, dass sich insbesondere der innereuropäische Markt in den kommenden Monaten ausgleichen und sich kontinuierlich erholen wird.

Wie kann man solche Touristinnen und Touristen dennoch davon überzeugen, in die Schweiz zu reisen?
Hier ist sicher cleveres Marketing auf Seiten der Anbietenden gefragt. Man muss ein Gespür dafür haben, welche Märkte in der aktuellen Lage nach Corona und mit dem Konflikt in der Ukraine bespielt werden können. Dabei ist vor allem das Timing entscheidend. Zudem ist es sinnvoll, bereits mit Blick auf die Zeit nach der Krise zu planen, damit bestimmte Märkte danach gezielt angesprochen werden können. Aufgrund der Corona-Pandemie konnte man diesbezüglich wertvolle Erfahrungen sammeln.