Gastronomie

Prost ohne Promille

Corinne Nusskern – 25. Mai 2021
Alkoholfreie Getränke liegen im Trend. Trotz starken Verdrängungskampfes sprudeln immer wieder neue Produkte wie Bundicha auf den Markt, um sich zu etablieren. Andere wie Tröpfel haben es schon geschafft.

Der Weg von der heimischen Küche auf die Getränkekarten der Gastronomie ist kein leichter. Mit dem Motto «Zwei Bündner sagen ungesunden Getränken den Kampf an» wollen Sabina Vögeli (36) und Patrick Hitz (39) mit Bundicha, hergestellt aus Kombucha, fermentiertem grünem Tee und Bio-Aromen, im Markt Fuss fassen. «Um ein gesundes, natürliches Erfrischungsgetränk herzustellen, bestellten wir im November 2019 einen Kombuchapilz», erzählt Vöge­li. «Die ersten zwei Liter produzierten wir zu Hause in Glasgefässen.» Es schmeckt und der Pilz wächst parallel zur Literproduktion. Erst sind es zehn Liter, dann dreissig. Sie ziehen in eine Mikrobrauerei in Thalwil um, wo Hitz schon länger mit Freunden hobbymässig Bier braut.

Aktuell produzieren sie alle zwei Wochen 200 Liter in den Aromen Original, Ingwer, Johannisbeere und Holunder. Die zwei seit ihrer Kindheit befreundeten Lenzerheidner machen alles selbst und nebenberuflich: Ansetzen, abfüllen, Etiketten kleben. Vögeli arbeitet im Tourismus und lebt auf der Lenzerheide, Hitz ist selbstständig mit einem Treuhandbüro in Thalwil ZH, wo er lebt. «Eigentlich macht der Kombucha-Pilz fast die ganze Arbeit», sagt Vögeli. Dies setze sich beim Kühlen fort, wenn das probiotische Getränk Kohlensäure entwickle. Das erfrischende Getränk funktioniert bestens als Essensbegleiter, vor allem das Aroma Original.

Mit Kombucha den Zeitgeist treffen
Der alkoholfreie Getränkemarkt ist kein Kinderspielplatz, sondern ziemlich umkämpft. Vögeli nickt. «Wir lassen uns davon nicht blenden und sind mit vielen Leuten in Kontakt. Ich denke, es hat für alle Kombucha-Player Platz.» Die zwei Bündner haben auch Ablehnung erlebt. Doch sie glauben an ihr Produkt. Dabei setzen sie auf regionale und natürliche Zutaten – ausser beim grünen Tee, da ist es eher schwierig.

Der Trend zu Regionalität und Natürlichkeit spielt kleinen Start-ups oft in die Hände. Auch Vögeli und Hitz profitieren von diesem Hype. Seit April ist Bundicha im Migros Conceptstore Bridge an der Europaallee in Zürich vertreten und vereinzelt in der Gastronomie erhältlich. Der Gastronomiepreis beträgt 2.90 Franken für eine 33-cl-Flasche. Noch generieren sie den meisten Umsatz über ihren Onlineshop. «Aber es kommen vermehrt Interessenten aus dem Eventbereich und der Gastronomie auf uns zu», freut sich Vögeli. Ist es ihr Ziel, in Zukunft von Bundicha leben zu können? «Klar! Wenn wir uns grosse Tanks anschaffen müssen, auch gut. Unserer Fantasie sind da keine Grenzen gesetzt», sagt Vögeli optimistisch. Sie lassen sich nicht unter Druck setzen und nehmen es so, wie es kommt. «Irgendwann müssen wir uns beruflich vielleicht entscheiden und nur noch auf Bundicha setzen.»

Orangensaft in Mostindien?
An einem ähnlichen Punkt waren einst auch die Klingenzellerhof-Wirtin Patricia Dähler-Kraus (59) und Adler-Wirtin Esther Schaefer-Meier (43) in Mam­mern TG. Die beiden stört, dass an Anlässen die Apéros immer gleich aussehen: Weiss­wein, Mineral, Orangensaft. «Orangensaft in Mostindien? Das geht doch nicht», sagt Dähler. Sie suchen etwas Alkoholfreies und Stilvolles, finden aber nichts.

Dählers Mann Niklaus hat Hochstamm-Apfelbäume und Esther Schaefer- Meiers Vater Emil Trauben. So beginnt die gelernte Krankenschwester Dähler 2005 hinter dem Buffet mit aufgezogenen Spritzen Säfte zu mischen. Die zwei Frauen probieren, balancieren; Schaefer kreiert die Wortkreation Tröpfel aus den Worten Traube und Öpfel, und bald wird Tröpfel der Erste geboren: Ein leicht süsslicher Schaumwein, ähnlich einem Moscato, aus zwei Drittel Riesling- und Johannitertrauben und einem Drittel Hochstammapfelsorten. Doch grosse Pro­duktionsfirmen winken ab, zu klein sei die Menge von 900 Flaschen. Sie sind betüpft, heute verstehen sie es. «Bei einem Stammtischgespräch hören wir, dass Othmar Lampert in Steckborn TG eine alte Champagner-Abfüllanlage im Keller stehen hat», sagen die beiden. Et voilà! Eigentlich wollten sie bloss ein stilvolles analkoholisches Getränk für ihre Betrie­be produzieren, doch innert drei Monaten ist alles weg. «Wir erschraken selbst, es lief von Anfang an», sagt Schaefer.

Heute sind es über 55 000 Flaschen pro Jahr. Sie produzieren nach wie vor bei Lampert, nun auf drei Abfüllanlagen. Dazugekommen sind der leicht herbe, mit Hopfen ergänzte Tröpfel der Zweite. «Er wird vor allem in der Gastronomie verwendet und eignet sich bestens zu Vorspeisen», sagt Dähler. Er ähnelt einem fruchtigen Prosecco, die Nase riecht nach Ap­felkeller und Hopfen. Der leicht trockene Tröpfel der Dritte ist mit Aroniabeerensaft veredelt, dem leicht schar­fen «Kingwer» wird Kürbis, Ingwer und Aronia zugesetzt. Als Zweitlinie kreierten die Unternehmerinnen Paes: Nr. 1 ist ein alkoholfreier Hugo und das herbe Paes 2 wird vor allem in Bars mit Gin gemixt.

Nicht überall präsent sein
Coop und Migros geben sie einen Korb zugunsten der klei­nen Vertreiber, die seit Beginn bereit sind, mit ihnen mitzuziehen. «Und es macht unser Produkt edler, wenn es nicht in jedem Regal erhältlich ist», fügt Dähler an. Und 2014 geben sie die Pacht ihrer Gastronomiebetriebe zugunsten von Tröpfel auf.

Knapp zehn Prozent der Produktion geht in die Gastronomie, vor allem in schweizweit bekannte Sterne- und Gourmetbetriebe, aber auch in Landgasthöfe und gehobenere Restaurants. In der gängigen Gastronomie ist Tröp­fel etwas schwieriger zu etablieren. Die zwei Frauen bieten allen interessierten Betrieben auch Wei­terbildun­gen direkt vor Ort an: «Wir müssen nicht den Chef überzeugen, sondern den Service! Sonst weiss der Gast nicht, dass es eine Alternative zu Mineralwasser gibt.»

Der Tröpfel ist nicht günstig, im Detailhandel kostet die Flasche Fr. 17.90. Der Vergleich, Tröpfel sei gleich teuer wie Wein, hinkt. «Der Alkohol ist gratis», sagt Dähler lachend. «Bei uns be­steht die Gefahr, dass kein Al­kohol dazukommt.»
Zudem verwenden sie nur Schweizer Früchte, gar die Aroniabeere ist aus der Region, der Ingwer aus Steinmaur ZH – und sie zahlen ihre 24 Produzenten fair.

Die Akzeptanz alkoholfreier Geträn­ke und deren Nachfrage steigt ständig. Die Coronazeit konnten sie dank den Hofläden und Aperopäckli für Zoom-Meetings abfedern. Doch die zwei Ex-Wirtinnen fühlen sich der Gastronomie immer noch verbunden: «Wir leiden in dieser Pandemie mit ihnen mit – einmal Gastronomie, immer Gastronomie!»

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★ Getränkekonsum Schweiz
In der Schweiz wurden 2020 rund 586,8 Millionen Liter Erfrischungsgeträn­ke getrunken. Im Vergleich: Beim Mineralwasser waren es 939,8 Millionen, beim Bier 453 Millionen und beim Wein 240 Millionen Liter. Laut einer Prognose von Statista wird der Umsatz im Markt Alkoholfrei­e Ge­­tränke 2021 etwa 5,07 Millionen und 2025 bereits 5,56 Millionen Franken betragen. Dies entspricht einem jährlichen Umsatzwachstum von rund 2,3 Prozent.
Quellen: Verband Schweizerischer Mineralquellen und Soft-Drink-Produzenten (SMS) und Statista

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