«Ich fühle mich zu ­dieser Branche und ihren ­Menschen hingezogen»

Reto E. Wild – 13. Juli 2023
Am 1. Juli 2023 startete Pascal Scherrer als Direktor von GastroSuisse. Im persönlichen Exklusivinterview mit dem GastroJournal redet er über seine Werte, das Feuer für die Branche und die nächsten Schritte.

Pascal Scherrer, Sie hatten einen kurzen Auftritt an der Delegiertenversammlung von GastroSuisse in Arosa. Für alle, die nicht dort waren: Wer sind Sie?
Pascal Scherrer: Ich bin ein 49-jähriger Familienvater einer 20-jährigen Tochter und eines eineinhalbjährigen Sohnes. An ihm erkennen Sie, dass ich als Vater nochmals in eine zweite Runde ging und so die Anliegen sowohl einer Jungfamilie als auch von jungen Menschen kenne. Das, was ich anpacke, mache ich leidenschaftlich und mit einem inneren Feuer.

Welches Feuer brennt in Ihnen für die Gastrobranche?
In der Gastronomie, in der Hotellerie und im Tourismus arbeiten Menschen für Menschen. Das sind Überzeugungstäter. Da passe ich kulturell gut rein und kann mit meiner beruflichen Erfahrung, die ich in den letzten 20 Jahren erworben habe, hoffentlich viel dazu beitragen, den Verband vorwärtszubringen.

Von welchen Erfahrungen sprechen Sie?
Ich habe mich vom Journalisten zum Geschäftsführer und auch zum «Zahlenmenschen» entwickelt, wenn Sie so wollen. Dazu gehört die Optimierung von Prozessen oder der Unternehmenskultur. Es geht um BWL, Wandel, Innovation, Public Affairs und Perzeption in einem der schlagkräftigsten Verbände.

Für welche Werte stehen Sie ein?
Ich bin leistungsorientiert, fokussiert und selbstverantwortlich. Bei mir ist das Glas stets eher halb voll als halb leer. Das hat mit meiner Prägung zu tun. Ich wuchs in Horgen im Kanton Zürich auf. Meine Eltern haben mir gesagt, dass man nichts unversucht lassen soll. Vielleicht habe ich deshalb Horgen schnell verlassen.

Wie meinen Sie das?
In den 90er-Jahren empfand ich Horgen ausserhalb von Zürich als etwas fade. Ich hatte den Wunsch, in eine Grossstadt zu ziehen, und ging nach Zürich.

Sie haben sich an einem Anlass als konservativ bezeichnet. Es gibt verschiedene Formen von Konservativismus.
Konservativismus ist für mich ein -ismus wie Rassismus oder Antisemitismus. Für mich tönen solche -ismen wie eine Krankheit, und damit habe ich nichts am Hut. Konservativ ist für mich nicht rückwärtsgewandt oder ewiggestrig – im Gegenteil. Ich möchte nur Dinge bewahren, die sich über die Zeit bewährt haben. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass das Neue nicht per se gut ist, nur weil es neu ist. Es muss erwiesenermassen besser sein als das Alte.

Vor knapp einem Monat befürwortete das Schweizer Stimmvolk alle drei eidgenössischen Vorlagen und entschied sich somit eher für Staatsgläubigkeit, neue Wege und gegen Konservativismus. Hat Sie das traurig gemacht?
Völlig unabhängig vom letzten Abstimmungssonntag stelle ich fest: Ich gehöre oft am selben Abstimmungssonntag zu den Siegern und zu den Verlierern. Nur schon deshalb nehme ich Niederlagen immer sportlich. Ich betrachte es als Privileg, dass wir in der Schweiz am politischen System derart stark teilhaben dürfen. Leistungsorientiert heisst für mich auch, dass ich all das beeinflussen möchte, was ich beeinflussen kann. Mit der Abgabe des Stimmzettels ist dieser Einfluss vorbei. Nachher gilt es, das Resultat zu akzeptieren. Generell investiere ich nur Energie in Dinge, die ich beeinflussen kann. Deshalb verschwende ich beispielsweise keine Gedanken an das Wetter.

Was sind Ihre Stärken und Schwächen?
Die beiden Begriffe sind für mich gekoppelt. Lassen Sie mich ein Beispiel machen: Ich bin ein leidenschaftlicher Mensch und entfalte auch deshalb positive Wirkung. Die Kehrseite der Medaille ist, dass ich manchmal zu wenig rücksichtsvoll bin, weil ich mit viel Energie unterwegs bin. An einer Stärke arbeite ich jeden Tag: Ich will meine Kraft einsetzen, um eine möglichst grosse Wirkung zu erzielen. Das Stichwort lautet Fokus. Ich versuche lieber, drei Dinge richtig zu machen als fünfzehn nur halbbatzig. Für mich ist Effektivität deshalb noch wichtiger als Effizienz. Ich prüfe jeden Tag, ob ich das Richtige tue.

Wie verbringen Sie Ihre Freizeit?
Ich bin eine Leseratte oder ein Allesleser – von der «Gala» über Bücher, das GastroJournal selbstverständlich, bis hin zum «Economist». Bei der «Gala» interessiert mich der Tratsch. Viele Freunde ziehen mich deswegen auf und fragen, ob ich mit meinem Leseverhalten keinen Qualitätsanspruch habe. Wenn das bei der «Gala» der Gradmesser sein soll, dann habe ich den tatsächlich nicht (lacht). In den letzten Jahren verschlinge ich aber immer mehr Bücher über die grossen Lebensfragen in der Art von «Woher kommen wir, wohin gehen wir?» Von Berufes wegen interessieren mich alle Newsplattformen. Ich bin seit 30 Jahren ein Newsjunkie und stelle mir nun aber immer mehr die Frage, was mir diese Nachrichten wirklich bringen und wie nachhaltig diese News für mich noch sind.

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«Ich bin eine Leseratte oder ein Allesleser – von der ‹Gala› über Bücher bis hin zum ‹Economist›.» (Bild: Daniel Winkler)

Sie haben bei den Stärken und Schwächen gesagt, Sie seien fokussiert. Wenn Sie sich in den News verlieren, ist das eher das Gegenteil von fokussiert.
Absolut korrekt. Das ist eine Schwäche. Sie stellen fest, dass ich auch nur ein Mensch bin (lacht).
In meiner Freizeit lese ich übrigens nicht ausschliesslich. Ich bin mit dem Schwimmclub Horgen aufgewachsen und mag das Schwimmen. Es ist der einzige Sport, in welchem ich technisch okay bin. Das hat den Vorteil, dass ich auch mit Bauchansatz ganz passabel im Wasser liege. Ich schwimme das ganze Jahr über im Hallenbad und crawle wenn möglich zweimal pro Woche meine zwei Kilometer, weil ich dort das ruhige Wasser mag und ich mich nicht mit Booten oder Schilf herumschlagen muss. Und im Winter skate ich auf den Langlaufskiern.

Welche Berührungspunkte haben Sie mit der Gastronomie und der Hotellerie?
Auf den ersten Blick nur wenige. Aber ich fühle mich als Dienstleister und habe – wie schon viele andere in jungen Jahren auch – im Service gearbeitet. Für mich war dies eine wertvolle Erfahrung, die ich hauptsächlich in der Wirtschaft zur Höhe auf dem Hirzel sammelte. Und ich bin ein «Peoplemensch». Ich arbeite deshalb sehr gerne mit Leidenschaft und Freude in einer von Menschen bestimmten Industrie. In der Gastronomie steht der Kunde im Zentrum, aber auch die Gastgeberin. In diesem Zusammenhang bin ich überzeugt, dass über Erfolg und Misserfolg eines Restaurants nicht der Preis alleine entscheidet, sondern vielmehr der Auftritt der Gastgeber. Aus all diesen Gründen fühle ich mich zu dieser Branche und ihren Menschen hingezogen.

Was hatten Sie für ein Bild von GastroSuisse, bevor Sie sich für den Job beworben haben?
In den letzten drei Jahren hat sich bei mir ein Bild eines kämpferischen Verbands manifestiert, der das Geld wert ist, das die Mitglieder zahlen. GastroSuisse setzt sich für seine Mitglieder ein und hat einen Präsidenten mit Strahlkraft, der in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Als ich meinen Bekannten- und Freundeskreis über den Wechsel informierte, musste ich niemandem erklären, wer GastroSuisse ist.

Was machen Sie in den nächsten Monaten, um die Mitglieder kennenzulernen?
Ich habe meine neue Aufgabe vor zwei Wochen angetreten. Es passt zu meinem Naturell, dass ich zuerst zuhöre und zuschaue. Ich möchte rasch ein tragfähiges Kontaktnetz aufbauen und nach drei Monaten entscheiden, in welchem Bereich ein Sondereffort nötig wird. Während der Sommermonate gibt es eine Vielzahl von Mitgliedern, denen ich begegnen und mit welchen ich mich austauschen werde.

Sie haben bestimmt schon einige Gespräche mit Unternehmern aus der Branche geführt. Welches sind Ihrer Meinung nach die grössten Herausforderungen in dieser Zeit?
Egal, mit wem ich rede, ob mit Betreibenden von Cafés, von gehobenen Restaurants oder von McDonald’s-Filialen: Überall ist die Rede vom Arbeitskräftemangel. Wenn ich jetzt Rezepte ausstellen würde für eine mir noch neue Branche, wäre das anmassend. Doch der Mangel ist ja nicht nur in der Gastronomie und in der Hotellerie ein Problem und hat mit der demografischen Entwicklung zu tun. Es braucht deshalb für alle neue und unkonventionelle Wege, um junge und potenzielle Arbeitskräfte anzusprechen.

Was macht für Sie gute Gastronomie und Hotellerie heute aus?
Es mag sich abgedroschen anhören: Wenn ich Menschen begegne, die den Job mit Herzblut ausüben, bin ich weniger preissensitiv. Fühle ich mich geborgen und wie zu Hause, ist es mir egal, wenn ich für den Cappuccino sieben Franken bezahlen muss.

Wo hatten Sie zuletzt ein positives Erlebnis?
Im Sunstar Hotel Brissago gab es mit meinem Sohn ein Problem, das über die reine Nahrungsaufnahme hinausging. Wie sich dort die Angestellten um eine Lösung bemüht haben, hat mich berührt. Das ist die berühmte Extrameile oder eben die nötige Empathie, die es braucht.

 

★ Von CH Media zu GastroSuisse

Pascal Scherrer (49) ist seit dem 1. Juli 2023 Direktor von GastroSuisse und damit Nachfolger von Daniel Borner. Der Zürcher war in den vergangenen vier Jahren als Geschäftsleiter TV Regional bei CH Media tätig. Scherrer engagierte sich von Februar 2020 bis Februar 2023 zudem als Vorstandsmitglied bei Telesuisse, dem Verband der Schweizer Regionalfernsehen. Vor seiner Zeit bei CH Media arbeitete der zweifache Familienvater während 14 Jahren beim Schweizer Radio und Fernsehen, unter anderem als Programmleiter des Radiosenders DRS 3 (heute SRF 3). Er besitzt einen Executive-Masterabschluss der Universität St. Gallen und lebt in Uster ZH.