«Ich bin keiner, der sich tätowiert in Szene setzen muss»

Reto E. Wild – 10. Januar 2022
Der Karlsruher Familienvater Rüdiger König (51) arbeitet seit Winter 2020 als Küchenchef im Parkhotel Margna. Er macht sich kritische Gedanken über die Branche, in der auch seine Frau und sein Sohn arbeiten.

Rüdiger König, Sie arbeiteten unter anderem in Dubai, in Hongkong, im Luxushotel Bareiss, im Waldhotel National Arosa GR und im Cresta Palace in Celerina GR. Nun sind Sie für drei Restaurants in Sils-Baselgia verantwortlich. Was wollen Sie erreichen?
Rüdiger König: Mein Hauptziel sind glückliche Gäste, die wiederkommen. Ich bin keiner, der sich tätowiert in Szene setzen muss. 

Was halten Sie von regionaler Küche?
Haben Sie schon mal einen Apfelbaum im Engadin auf 1809 Meter über Meer gesehen? Wenn ich nur regional kochen würde, dann gäbe es Kohl, Zwiebeln, Kartoffeln und Käse. Regional bedeutet für mich die Schweiz und das angrenzende Italien. Würden die Köche Regionalität konsequent umsetzen, kostet das Halbpensionsmenü mit vier Gängen 90 Franken. Und die Verfügbarkeit ist sehr limitiert. Ich mache ein Beispiel: Ein Rind hat zwei Filets. Wenn ich für 100 und mehr Gäste koche, gibt es im Engadin nicht genügend Rinder. 

Wie hat sich Ihre Arbeit in Ihrer Karriere verändert?
Früher hat eine kleinere Anzahl Mitarbeitende gereicht, um die anfallende Arbeit zu bewältigen. Heute bringen die Angestellten häufig nicht mehr die gleiche Leistung wie früher, als sie generell viel selbstständiger waren. Überspitzt gesagt: Heute muss ich kontrollieren, ob überhaupt gesalzen wurde. 

Woran liegt das?
Die meisten Jungen sind nicht mehr selbstständig erzogen worden. Denen wurde die Wäsche hingelegt und sie übernehmen nicht mehr gerne Verantwortung. Das Problem kennen einige Betriebe. Deshalb steigen viele Köche in meinem Alter aus oder arbeiten im Spital oder im Altersheim.

Was muss gemacht werden, damit das nicht passiert?
Schwierig. Die Branche benötigt Hunderte von guten Leuten. Was am Fernsehen in all den Kochshows präsentiert wird, hat wenig mit der Realität im Alltag zu tun. An einem Abend gehen bei uns 600 Teller über den Pass. Da muss man anpacken können.

Die Gäste werden immer anspruchsvoller.
Tatsächlich. Wir haben drei verschiedene Restaurants und sehr viel Abwechslung. Aber es gibt Gäste, für die haben wir noch immer nicht genug auf der Karte. Die Gastronomie richtet sich nach jedem Wunsch. Das zermürbt und immer weniger finden den Job attraktiv. Die Branche sollte mit mehr Selbstbewusstsein agieren. Ich habe mich in Hongkong einst entschieden, statt 60 nur noch 30 Produkte anzubieten.

Was ist passiert?
Die Umsätze gingen bei einer besseren Effizienz nach oben, was entsprechend für mehr Gewinn sorgte. Die Gastronomie ist an der teils schwierigen Situation auch ein stückweit selbst schuld, weil sie auf jeden Wunsch eingeht – von Allergien bis zu vegan muss man alles anbieten und höchsten Standard liefern.

Sie sind seit bald 30 Jahren Küchenchef und haben in Ihrer Karriere mit Köchen zusammengearbeitet, die 19 Punkte und drei Sterne erreicht haben. Was halten Sie von der Spitzengastronomie?
Die Verschwendung an Material ist eigentlich nicht tragbar. Ich hatte schon früher Probleme damit, dass Kinder verhungern, während in den Michelinküchen Lebensmittel verschwendet werden. Ich habe in meiner Karriere lieber die weite Welt entdeckt, ging mit 23 Jahren nach Hongkong und war vorher in Dubai. Und das sage ich auch zu meinen Angestellten: Die Welt steht offen für Euch. Mit der Schweizer Ausbildung kommt man überall hin. Mein letzter Lehrling wechselte zum Post Hotel nach Lake Louise in Kanada. Und mein Sohn 22-jähriger Sohn Glyn führt das vegetarische Restaurant im Hotel Saratz in Pontresina, wo meine Frau Kari Walker Küchenchefin ist.