«Ein Unternehmen kann durch eine Lohntransparenz nur gewinnen»

Oliver Borner – 17. Februar 2022
Als eine der wenigen Gastronomiebetriebe der Schweiz setzt die Familie Wiesner Gastronomie auf komplette Lohntransparenz für die gesamte Belegschaft. Davon profitieren nicht nur die Arbeitnehmenden, sondern auch das gesamte Unternehmen, lässt die Gewerkschaft Unia verlauten.

Letzte Woche gab die Familie Wiesner Gastronomie (FWG) bekannt, dass sie alle Löhne der Chefetage und aller Angestellten in Zukunft offen legen wird. Sie ermöglicht damit sämtlichen Mitarbeitenden, den jeweiligen Lohn eines jeden Angestellten oder Chefs zu erfahren und ihn mit dem eigenen zu vergleichen. Via Onlineformular kann jeder Mitarbeitende den Lohn des Chefs genauso wie denjenigen des Arbeitskollegen anfragen, und erhält dann telefonisch eine Antwort. Auch allfällige Boni der Vorgesetzten werden den Angestellten - laut Informationen der Firma - ausgewiesen.

Gleichzeitig können Jobinteressierte auf der Website der FWG bereits vor der Bewerbung ihren potentiellen Lohn via Lohnrechner abfragen. Ein Koch mit Eidgenössischem Fähigkeitszeugnis und fünf Jahren Erfahrung darf beispielsweise mit einem Lohn von zwischen 55 000 und 66 000 Franken rechnen. Diese Möglichkeit ist eine Seltenheit in der Gastronomie. Schweizweit gibt es nur ganz wenige Gastrobetriebe, die sich zu einem solchen Schritt entschieden haben.

Beitrag zur Enttabuisierung der Lohnfrage

Dies hängt vor allem mit dem typischen Schweizer Tabu, nicht über den Lohn zu sprechen, zusammen. Völlig anders als in anderen europäischen Ländern, wie beispielsweise in Norwegen, wo die Löhne aller Bürger ins Internet gestellt werden, deklarieren Arbeitgebende hierzulande ihre Löhne noch immer eher selten. Umso mehr wird dem Vorpreschen der FWG grosse Rechnung getragen - auch von der Gewerkschaft Unia. «Das Beispiel FWG zeigt auf, wie Unternehmen erkennen, dass eine offene, transparente Kommunikation über die Löhne nicht gefürchtet werden muss», sagt Mediensprecher Philipp Zimmermann auf Anfrage. Massnahmen zugunsten einer grösseren Lohntransparenz seien grundsätzlich immer begrüssenswert, da sie zur «Enttabuisierung» der Lohnfrage beitragen.

Zudem sieht die Gewerkschaft bei der Lohntransparenz sowohl für Arbeitnehmende als auch Arbeitgebende zahlreiche Vorteile. «Die Lohntransparenz ist zunächst ein Element, das zu einem gerechteren Lohngefüge führen kann», sagt Zimmermann. Zudem sei es im Interesse der Arbeitnehmenden, zu wissen, aufgrund welcher Kriterien ihre Löhne festgelegt werden und ob sie im Vergleich zu ihren Kolleginnen und Kollegen fair entlöhnt werden. Für Arbeitgebende sei die Transparenz deshalb interessant, weil sie zu einem guten Arbeitsklima beitragen kann. «Unter Umständen kann so eine missliche Stimmung im Betrieb verhindert werden, die meist daraus resultiert, dass sich die Beschäftigten ungleich behandelt fühlen oder die Kriterien für die Lohnhöhe nicht nachvollziehen können», führt Zimmermann weiter aus.

Lohntransparenz etabliert sich langsam, aber stetig

Dennoch sieht die Unia in der Lohntransparenz keine absolute Lösung für die Probleme im Lohnbereich. Gerade in Bezug auf die Lohngerechtigkeit, insbesondere zwischen Mann und Frau, gibt es andere zentrale Instrumente für gerechte Löhne. Dazu gehören etwa sozialpartnerschaftliche Lohnanalysen zur Sicherstellung der Lohngleichheit zwischen Männern und Frauen, wie sie im neuen Gleichstellungsgesetz vorgesehen sind, oder auch kollektive Lohnverhandlungen im Rahmen von Gesamtarbeitsverträgen wie dem Landes-Gesamtarbeitsvertrag (L-GAV) des Gastgewerbes. «Diese Instrumente sind für die Höhe der Löhne entscheidender als reine Transparenzmassnahmen», so Zimmermann. Gleichzeitig sei es gerade mit Blick auf die Lohngleichheit für Unternehmen wichtig, «eine prozedurale Lohntransparenz» zu haben. Dabei können Betriebe offenlegen, wie ein einzelner Lohn zustande kommt und damit bei den Arbeitnehmenden Klarheit schaffen.

Neben der FWG scheint bei anderen Schweizer Firmen tatsächlich ein Umdenken stattzufinden. Dies äussert sich darin, dass Löhne bei der Ausschreibung konkret deklariert werden. Mitte Februar hat mit dem Kanton Bern der bisher grösste Arbeitgeber diese Massnahmen umgesetzt. Bei jeder freien Stelle finden die Bewerber im Internet das entsprechende Lohnband, abgestuft nach Alter. So verdient eine Soziotherapeutin mit 20 Jahren zwischen 71 000 und 79 000 Franken im Jahr. Mit 60 steigt das Gehalt, je nach Erfahrung und Kompetenzen, auf 106 000 bis 126 000 Franken an. «Die beiden Beispiele zeigen, dass das Sprechen über den Lohn in der Schweiz mehr und mehr etwas Normales wird», stellt Zimmermann fest. Es sei daher wünschenswert, dass bei den Löhnen die allgemeine Transparenz zunimmt. die Angestellten, aber auch die Unternehmen, könnten dabei nur gewinnen.