«Die Initiative ist der stärkste politische Hebel»

Oliver Borner – 25. November 2022
Die Entschädigungsinitiative von GastroSuisse geniesst über alle Parteigrenzen hinaus grosse Unterstützung. Warum dies so ist, erklären der Ständerat Josef Dittli und die ehemalige Nationalrätin Regula Rytz im Gespräch mit dem GastroJournal.

Herr Dittli, Frau Rytz, Sie beide unterstützen die Entschädigungsinitiative von GastroSuisse. Warum?
Josef Dittli (JD): Die Initiative regelt vorsorglich, wie der Staat im Fall einer erneuten Pandemie Unternehmen, welche durch eine staatliche Verfügung in finanzielle Not geraten, entschädigen muss. Damit schaffen wir ein wichtiges Werkzeug für Entschädigungen im Epidemiefall.

Regula Rytz (RR): Mir ist es wichtig, dass wir in der Schweiz eine soziale und nachhaltige Wirtschaftspolitik machen. Arbeitnehmerinnen und -nehmer sowie Arbeitgeberinnen und -geber dürfen in einer Pandemie nicht im Stich gelassen werden. Die Entschädigungsinitiative ist ein Sicherheitsnetz für die Schweiz.

Die Initiative wird politisch von links bis rechts breit unterstützt. Weshalb?
RR: Ein zentraler Grund dafür ist, dass die Parteien im Laufe der Pandemie einen Lernprozess durchliefen. Am Anfang lagen die Vorschläge weit auseinander, dann haben wir uns immer weiter aufeinander zubewegt.

Braucht es denn überhaupt eine solche Initiative, um Entschädigungen zu vereinheitlichen? Kann das Parlament dies nicht selber regeln?
JD: Eine zustande gekommene Volksinitiative ist der stärkste politische Hebel, um eine Gesetzesbildung zu bewirken. Mit der Initiative wird dem Parlament ein Vorschlag vorgelegt, welchen es umsetzen muss. Die Initiative setzt damit das Parlament unter Druck, sich vertieft mit den Anliegen der Unternehmen auseinanderzusetzen.

RR: Zusätzlich sorgt die Initiative dafür, dass das Parlament mit den betroffenen Branchen in Kontakt bleibt und ihre Anliegen auf Bundesebene angehört werden.

Wurden die Unternehmen in der letzten Epidemie zu wenig entschädigt?
JD: Nein. Ich denke, das Entschädigungsregime hat gut funktioniert. Aber: Es braucht unbedingt eine gesetzliche Grundlage, damit die Fehler, welche gemacht worden sind , nicht wiederholt werden.

Welche Fehler wurden gemacht?
RR: Eines der grössten Probleme war die Bürokratie bei den Entschädigungsgesuchen. Die Anforderungen in den Kantonen waren nicht einheitlich und führten zu grosser Unsicherheit bei den Unternehmen. Weiter gab es wegen der wiederholten Gesetzesanpassungen im Parlament keine Planungssicherheit. Das muss beim nächsten Mal besser werden.

JD: Das Tempo, bis überhaupt Entschädigungen geflossen waren, war sicherlich eine grosse Belastung. Vom Moment, als das Parlament finanzielle Unterstützung für die Unternehmen gesprochen hatte, bis zur tatsächlichen Ausschüttung dieser Gelder in den Kantonen dauerte es bis zu einem halben Jahr. Das ist für ein kleineres Unternehmen, zum Beispiel ein Restaurant, viel zu lange.

Die Auszahlungen waren kantonal geregelt. Die Initiative nimmt den Kantonen diese Kompetenz ab.
JD: Nein, die Kompetenzen der Kantone bleiben bestehen. Der Bund schreibt beispielsweise nicht vor, welchen Betrag die Kantone entschädigen müssen. Diese
Entscheidung bleibt bei den Kantonen. Die Initiative soll eine gesetzliche Grundlage schaffen, damit die Harmonisierung zwischen Bund und Kantonen verbessert wird.

RR: Der Bund gibt für die von ihm finanziell erbrachten Leistungen lediglich die Spielregeln vor. Die Kantone können zusätzliche Unterstützungen beschliessen. So wie es bereits in der letzten Pandemie der Fall war.

Die Allgemeinheit wird bei einer Annahme der Initiative für die Unterstützung von besonders betroffenen Betrieben aufkommen. Ist das fair?
RR: Wenn der Staat zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung Betriebsschliessungen ergreifen muss, dann ist es auch die Aufgabe der Allgemeinheit, die Unternehmen zu unterstützen, die aufgrund dieser Entscheidungen in Existenznöte kommen.

JD: Wenn der Staat Massnahmen beschliesst, dann ist er auch dafür verantwortlich, dass es zu keinem volkswirtschaftlichen Chaos mit Arbeitslosigkeit oder Firmenschliessungen kommt. Vor diesem Hintergrund ist es fair, dass die Allgemeinheit für diese Entschädigungen aufkommt. Zudem beugt eine geregelte Entschädigungspolitik dem Missbrauch von Wirtschaftshilfen vor.

Entschädigung für alle klingt stark nach Giesskannenprinzip. Ist es das?
RR: Absolut nicht. Die Entschädigungen sind kein Helikoptergeld wie beispielsweise ein Tankrabatt, von dem auch diejenigen profitieren, die ihn gar nicht benötigen. Entschädigungen gibt es nur für Unternehmen, die von Pandemie-Massnahmen direkt oder indirekt betroffen sind. Es wird auch nicht alles entschädigt, sondern nur das, was beispielsweise nicht von der Versicherung gedeckt ist. Dazu gehören ungedeckte Fixkosten sowie der Erwerbsausfall.

Warum lässt man die Entschädigungen nicht vom freien Markt regeln, beispielsweise über private Epidemienversicherungen?
JD: Weil solche unvorhersehbaren Naturereignisse schlicht und ergreifend nicht versicherbar sind. Man muss davon ausgehen, dass die Versicherungen nach
der letzten Epidemie ihre Leistungen anpassen werden. Die Wirtschaft wird darauf kaum eine Antwort finden. Daher ist es notwendig, dass der Staat in die Bresche springt.

Wie kommt das Anliegen von geregelten Entschädigungen beim Volk an?
JD: Ich bin überzeugt, dass die Gesellschaft ein Interesse an geregelten Entschädigungen hat und deshalb eine breite Akzeptanz für das Anliegen vorhanden ist. Insbesondere, weil damit Arbeitsplätze gesichert werden können.

RR: Wenn die Behörden wissen, dass sie pandemiebedingte Erwerbsausfälle entschädigen müssen, dann werden sie mehr in Prävention investieren. Das senkt die Kosten für einen nächsten Epidemiefall. Das wird im Volk auf grosse Zustimmung stossen.

Zu den Personen

Regula Rytz (60) sass von 2011 bis Frühling 2022 für die Grünen Schweiz im Nationalrat. Nach dem historischen Wahlerfolg dieser Partei im Herbst
2019 trat sie zur Bundesratswahl an, wurde aber nicht gewählt. Bis Juni 2020 war sie Präsidentin der Grünen. 2022 wurde sie zur Präsidentin der Schweizer Entwicklungsorganisation Helvetas gewählt.

Josef Dittli (65) sitzt seit 2015 für die FDP in Bundesbern im Ständerat. Der ehemalige Lehrer und Berufsoffizier der Schweizer Armee war von 1988 bis 2002 im Gemeinderat seiner Heimatgemeinde Attinghausen UR und von 2004 bis 2016 Urner Regierungsrat. Sein politischer Schwerpunkt liegt auf der Sicherheitspolitik.