«Der Titel löst zugleich Freude und Ernüchterung aus»

Oliver Borner – 15. Dezember 2022
Vor einer Woche gewann die Schweiz an der Koch-WM in Luxemburg insgesamt fünf Weltmeistertitel. Im Interview mit dem GastroJournal spricht Guy Estoppey (34), Captain der Schweizer Kochnationalmannschaft, über den Erfolg und dessen Bedeutung für die Schweizer Kochbranche.

Guy Estoppey, herzliche Gratulation zum Weltmeistertitel an der Kochweltmeisterschaft in Luxemburg. Mit welchen Gefühlen blicken Sie auf diesen Erfolg zurück?
Guy Estoppey: Vielen Dank. Ich bin unheimlich dankbar für diese Erfahrung und unglaublich stolz auf unser Team. Da ist grenzenlose Freude und Bestätigung für die harte Arbeit. Wir konnten dem Druck standhalten und alle Skills abrufen. Dafür haben wir hart gearbeitet. Nach einigen Tagen totaler Euphorie kamen zu Hause hingegen auch Gefühle der Ernüchterung auf.

Ernüchterung? Sie haben mit Ihrem Team einen Weltmeistertitel gewonnen.
Ja, und dafür bin ich enorm dankbar. Nur: Wir haben als Team eine mentale Meisterleistung abgeliefert, um dieses Ziel erreichen zu können. Ich persönlich hätte mir bei der Rückkehr in die Schweiz eine breitere Aufmerksamkeit gewünscht.

Erklären Sie!
Es war schön zu sehen, dass unser Engagement und das unserer Sponsoren in der Fach- und Regionalpresse gewürdigt wurde. Es ist mir bewusst, dass wir als Kochnati einen Nischensport betreiben und dadurch die Bekanntheit in der Öffentlichkeit nicht allzu hoch ist. Dennoch hätte ich mir gewünscht, dass uns nach dieser - aus Schweizer Sicht - historischen WM mehr Aufmerksamkeit in den grossen nationalen Medien entgegenkommt und der Erfolg genutzt wird, unseren beruflichen Nachwuchs zu motivieren, ein Teil davon zu werden.

Ganz anders ist dies in den skandinavischen Ländern.
Das ist richtig. Dort geniessen die Kochteams einen hohen Stellenwert. Das hängt mit der Art und Weise zusammen, wie diese Länder ihre Wettkämpfe inszenieren und vermarkten. Man merkt, dass in Skandinavien auch die Regierungen tatkräftig mithelfen, den Kochberuf zu fördern. Wir bekamen am Wettkampf von den skandinavischen Teams viele Komplimente. Ein schönes Feedback war, dass sie, nebst der Präzision, unsere Lockerheit und die spürbare Freude am Kochen sehr beeindruckt hat.

Und das ist in der Schweiz nicht so?
Eine staatliche Förderung der Kochkunst gibt es leider nicht. Es sind der Schweizer Kochverband, die Küchenchef-Cercles, die Betriebe der Teammitglieder und die Sponsoren, welche die Schweizer Kochkunst fördern und auch international vertreten. Die Schweizer Kochkunst ist Weltklasse, ich glaube, das haben wir bewiesen. Ich persönlich empfinde, dass wir viel selbstbewusster auftreten dürfen, auch wenn es nicht zur schweizerischen Mentalität gehört.

Inwiefern?
Unsere Branche ist heute mehr denn je von der Wertschätzung abhängig. Egal, ob es sich um ein Mitglied der Nationalmannschaft oder einen Lernenden im Kochberuf handelt - alle wollen für ihre Arbeit Anerkennung und Wertschätzung erhalten. Wir müssen den Fokus darauflegen, dem Nachwuchs aufzuzeigen, was in unsere Branche alles möglich ist und dass wir mit viel Freude und harter Arbeit alle Ziele erreichen können.

Was müsste sich ändern, damit der Nachwuchs in der Branche und der Nati gesichert werden kann?
Wir müssen das Knowhow in den Teams aufrechterhalten und weitergeben. Was in den letzten Jahren ins Rollen kam, muss weiter gefördert werden. Der Austausch zwischen den Schweizer Teams ist dabei zentral. Beim Austausch mit den internationalen Teams sehe ich zudem grosses Potential, um die Reichweite und Ausstrahlung der Kochkunst zu stärken. Wenn wir Vorbilder erschaffen, erreichen und motivieren wir auch unseren Nachwuchs für die Branche und die Teams.

Und dennoch ist ein Weltmeistertitel ein Weltmeistertitel. Wird dieser nichts an der Situation ändern?
Schwierige Frage. Ich hoffe natürlich, dass wir durch diesen Erfolg wieder talentierte und motivierte Köchinnen und Köche für die Nationalmannschaft begeistern können. Zudem ist dieser Erfolg auf für unsere Sponsoren eine sehr schöne Bestätigung für ihre langjährigen und grosszügigen Engagements.

Woher kam Ihre Begeisterung, als Sie vor fünf Jahren in die Nati eintraten?
Ich wurde damals von einem Coach der Nati angefragt, ob ich mal vorbeikommen und mir das Team und dessen Tätigkeiten anschauen wollte. Beim Besuch hat mich die Faszination davon, sich in einem Wettbewerb als Team mit anderen Teams zu messen, sofort gepackt. Das hat mich in den letzten fünf Jahren auch immer motiviert, für die Wettkämpfe zu trainieren und mein Bestes zu geben.

Ihre Zeit als aktiver Koch in der Nationalmannschaft geht nach dieser WM zu Ende. In welcher Funktion werden Sie künftig der Nati zur Verfügung stehen?
Das ist alles noch offen. Ich könnte mir aber eine Aufgabe im Hintergrund als Coach oder Ähnliches vorstellen. Es ist wichtig, dass ehemalige Mitglieder ihr Knowhow an die nächste Generation weitergeben und sie auf die Wettkämpfe vorbereiten. Nur so kann die Nati langfristig erfolgreich sein.