«Auch für Starköche wird der Umgang mit Menschen immer wichtiger»

Reto E. Wild – 04. August 2023
David Geisser ist der kochende Shootingstar der Stunde und bester Beweis dafür, was mit einer Kochlehre alles möglich ist. Kürzlich waren die Chefs der grössten Schweizer Parteien in seinem Kochstudio bei Uster ZH – nur ­eines von vielen Projekten des Tausendsassas.

David Geisser (33) ist nach seiner Kochlehre im Ristorante Il Casale in Wetzikon ZH unter Sternekoch Antonio Colaianni durchgestartet: Im Alter von 18 Jahren gestaltete er das Kochbuch «Mit 80 Tellern um die Welt» und schaffte damit über Nacht den Sprung in die nationalen Medien. 2013 stand der in Wetzikon aufgewachsene Sohn von Ernährungsberatern nach der RS im Dienst der Päpstlichen Schweizergarde. Dort schrieb er neben seinem zweijährigen Dienst bereits sein drittes Kochbuch: «Buon Appetito», das für internationale Bekanntheit sorgte. Darin verraten kirchliche Würdenträger ihre Lieblingsspeise. «An der Medienkonferenz waren Kameras von 40 TV-Stationen auf mich gerichtet. Zwei Wochen lang gab ich täglich 30 Interviews», erinnert sich Geisser. «Papst Franziskus liebt Dulce de leche und tendenziell südamerikanische Gerichte, der verstorbene Papst Benedikt XVI. mochte es bayrisch und währschaft und hat dazu gerne ein Bier getrunken.» Geisser kochte für beide Päpste.

Bald war die Rede vom Schweizer Starkoch als den ­«Jamie Oliver der Schweiz». Es folgten ein eigener Youtube-Kanal und die Publikation seines vierten Kochbuchs: «Apéro Riche». 2018 eröffnete der Shootingstar sein Kochstudio für Events und Kochkurse in Wermatswil ZH und heiratete seine langjährige Freundin Selina (29). 2019 gewann der Familienvater mit seinem Instagram-Kanal den «German Influencer Award» in der Kategorie «Food», ein Jahr später folgte Kochbuch Nummer fünf: «Heimat ist dort, wo man gut isst». Wir unterhalten uns in seinem modernen Kochstudio.

David Geisser, Sie scheinen mit Dutzenden von Projekten beschäftigt zu sein. Mit welchem haben Sie am meisten zu tun?
David Geisser: Eine der spannendsten Aufgaben war Anfang Juli, als das Schweizer Fernsehen für die «Club»-Sommerserie «Politik auf dem Teller» die Chefs sämtlicher grosser Parteien zu mir ins Kochstudio lud und diese gegeneinander kochten. Das bedingte eine Planung von rund einem halben Jahr. Ich bin in der Jury. Am 8. und 15. August werden Teil 4 und 5 ausgestrahlt. Riesig ist auch mein Aufwand für die neue Website von www.homemade.ch, wo ich 300 Rezepte veröffentlichte. Homemade bietet mit über 14 000 Produkten alles, was leidenschaftliche Köche, Geniesser und Gastgeber suchen. Richard Kägi und Foodbloggerin Verena Frei sorgen für zusätzliche Inhalte.

Was entsprechend viel zu tun gibt.
Ja, das ist bei 300 Rezepten pro Jahr tatsächlich der Fall. Ich muss diese kochen und ausprobieren und prüfen, ob diese auch meinem Stil entsprechen. Hundert weitere Rezepte schreibe ich für ein Kochbuch über Hof- und Weideschlachtung. Zusammen mit der Sendung «Choche und Gnüsse mit David Geisser», die seit 2018 jeden Freitag auf TVO ausgestrahlt wird, komme ich jährlich schnell einmal auf gegen 600 Rezepte, die wir bear­beiten. Diese Zahl schaffe ich nur dank meinem Team. Für Herbst plane ich ein Kochbuch mit Spitzenkoch Tristan Brandt.

Wie setzt sich Ihr Team zusammen?
Ich habe ein superjunges Team von über zehn Personen. Ein Teil davon arbeitet in unserem Kochstudio, und wir gehen als Störköche zu den Leuten nach Hause, wenn beispielsweise jemand eine Gartenparty veranstaltet. Im August bilden wir als David Geisser AG sogar den ersten Lehrling aus, was ich ursprünglich nicht wollte, weil wir mehrheitlich mit Gästen in Kursen am Kochen sind und ein Lehrling für diese keinen Kurs geben kann. Er wird uns mehr kosten, als er uns bringt. Aber das ist mein Beitrag gegen den Fachkräftemangel.

Gestartet sind Sie allein.
Ja, ich habe meine Chancen genutzt. Der damalige Bundesrat Merz hat mich schon mit 14 nach Bern eingeladen, weil ich am meisten Stimmen für eine Familieninitiative sammelte. Nach meinem Kochbuch für die Schweizergarde hat mir die Migros die Chance gegeben, gemeinsam eine eigene Linie aufzubauen. Bereits mit 30 war ich beim Halbfinale des Goldenen Kochs in der Jury mit Ivo Adam und Richard Kägi. Heiko Nieder kam zu mir und sagte sinngemäss: «Respekt für all das, was du erreicht hast.» Da wusste ich, dass ich es wohl nicht so schlecht gemacht habe.

Sie waren schon früh sehr bekannt.
Ja, das brachte mir auch Probleme ein, denn ich war ein junger Koch mit wenigen Referenzen und eigener TV-Sendung und Kochbüchern. Schon als ich 18 war, haben sich die Gäste in den Restaurants nach mir erkundigt und nicht nach dem Küchenchef.

2020 und 2022 haben Sie zusätzlich den «Influencer Award» gewonnen.
Das Wort «Influencer» hat für mich einen negativen Touch. Viele haben das Gefühl, es steht für nichts zu machen, an den schönsten Orten zu sein und viel Geld zu verdienen. Deshalb bezeichne ich mich nicht gerne als Influencer. Tatsache ist, dass ich auf Instagram 98 900 Follower habe. Andreas Caminada hat 97 700. Mit den richtigen Followern können Sie auf Instagram einen Post über einen Anlass in unserem Kochstudio absetzen, und dieser füllt sich sofort. Oder zur Signierstunde eines meiner Kochbücher melden sich schnell 200 Leute mehr an, die das Buch kaufen möchten. Dank diesem Einfluss erhalte ich täglich bis zu drei Anfragen – zum Teil mit Musterpäckli – für Kooperationen. Nicht alle sind brauchbar, unter anderem deshalb, weil ich inzwischen über zwei Dutzend verschiedene Partner habe.

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David Geisser ist ein Winner-Typ und hat gut lachen: «Ich stehe mit ­jemandem aus ­Kon­stanz in Verhandlung, denn in meinem Koch­studio kann ich keinen Stern holen.» (Foto: Daniel Winkler)

Obwohl Sie sehr gut vernetzt sind, haben Sie noch nicht die Strahlkraft eines Andreas Caminada.
Ich koche auch nicht auf seinem Niveau. 2022 war ich mit meinem Team an einer Kitchen Party mit den besten Köchen in Stuttgart. Alle ausser uns waren Sterneköche. Ich möchte in nächster Zeit der Öffentlichkeit vermehrt zeigen, was wir machen. Als Team erreichen wir auch ohne Sterne eine ausgezeichnete Qualität. In unserem Kochstudio finden VR-Sitzungen statt, Spitzenpolitiker und Botschafter kommen zu uns und reisen teilweise aus Deutschland an.

Sie haben eine bemerkenswerte Karriere hingelegt. Welche Eigenschaften braucht es dazu?
In erster Linie viel Glück. Es gibt so viele gute Köche, die nicht entdeckt werden. Ich habe die Chancen gepackt und die Gabe, mit Menschen umgehen zu können. Das wird auch für Starköche immer wichtiger. Jene mit drei Sternen sind nicht zwingend die erfolgreichsten, sondern jene, die sich am besten vermarkten. Wer zusätzlich etwas Entertainment bietet, kommt gut an.

Und wie vermarkten?
Mein Glück war, dass ich als Schweizergardist ein Kochbuch mit zwei Päpsten schreiben konnte. Danach wurde ich vom US-TV-Sender ABC eingeladen. Klar, das kann nicht jeder Schweizer Koch. Sinnvoll sind sicher auch eigene Produkt­linien. Die Leute nehmen die Lebensmittel mit nach Hause und verschenken sie, und so kommt man ins Gespräch. Für mich sind zudem meine Partnerschaften wertvoll. Ich habe zu allen Marken immer einen starken Bezug. Das ist in einem traditionellen Restaurant weniger intensiv.

Und doch sind Sie Teil der Branche. Was begeistert Sie an Ihrem Beruf?
Die Abwechslung mit neuen Geschichten und Menschen. Heute Abend beispielsweise organisieren wir einen Apéro- und Sushi-Abend für eine erfolgreiche Schweizer Eiskunstläuferin. Jeder Event ist cool.

Was halten Sie davon, wenn Sie als «Jamie Oliver der Schweiz» bezeichnet werden?
Es erfüllt mich mit Ehre. Er hat sicher viel richtig gemacht. Seit ich 18 bin, wurde ich so vermarktet. Jamie Oliver war für mich als jungen Koch immer ein Vorbild, obwohl es auch viel Kritik über ihn gab. Ich finde es gut, wie er es macht. Ich möchte allerdings niemanden kopieren. Ich bin jung, aber nicht ein Sternekoch.

Bei wem haben Sie am meisten gelernt und was?
Antonio Colaianni war für mich ein sehr wichtiger Lehrmeister. Danach schlug ich jedoch nicht die klassische Kochkarriere ein. Das Militär und die Schweizergarde waren hingegen eine mega Lebensschule.

Wo holen Sie sich heute die Inspiration für Ihre Gerichte?
Eine schwierige Frage. Ich sage nun sicher nicht, dass ich vier Stunden in der Natur auf einer Bank sitze und neue ­Erfahrungen sammle ... Nein, ich bin viel unterwegs und stosse immer wieder und überall auf neue Geräte und Möglichkeiten. Mit dem «Wired Cooker» können wir beispielsweise frittieren, sous-vide-garen, pochieren oder eine Hollandaise erfolgreich zubereiten. Sogar Glaces lassen sich zubereiten.

Wenn von Speisen die Rede ist: Was ist Ihr Spezialgericht?
Dazu gehören Pannacotta mit Gingerbiergelee und Randen-Champagner-Espuma.

Woher beziehen Sie Ihre Produkte?
Wir haben im Zürcher Oberland diverse Partner, die Top-Qualität bieten. Weil wir zu klein für einen Gemüselieferanten sind, kaufen wir alles selbst frisch ein. Meistens bekommen wir von unseren Gästen viel Freiheit. Sie sagen einfach: «Bereitet was Feines zu.» Wenn wir es steuern können, sind über 90 Prozent unserer Produkte regional und sehr oft bio. Doch wenn ein Gast sagt, er möchte Mango, bereiten wir ein Mangomousse zu. Der Gast ist König.

Was ist aus der Idee geworden, zusammen mit einem Hotel ein Restaurant by David Geisser zu realisieren?
Ich stehe mit jemandem aus Konstanz in Verhandlung, denn in meinem Kochstudio kann ich keinen Stern holen. Mein Bruder Benjamin hat im Dolder eine Kochlehre abgeschlossen und ging dann zum Zweisterne-Koch Jan-Philipp Berner vom Söl’ring Hof auf Sylt. Er wird bis Ende Jahr bei uns arbeiten. Danach ist es unser Ziel, dass er an einem anderen Ort als Küchenchef den Stern holt. Wir sind grundsätzlich für Kooperationen offen.

Hand aufs Herz: Haben Sie persönlich überhaupt keine Ambitionen für einen Stern?
Mit einem Konzept by David Geisser würde ich gerne Richtung Stern gehen und meinen Bruder als Küchenchef einsetzen. Aber das Kochstudio ist der falsche Ort dazu. Die Gäste fühlen sich hier wie im Wohnzimmer: Sie bedienen sich am Kühlschrank und wollen beim Abwaschen helfen. Das ist sehr familiär. Wo kann man mit den Köchen und den Gästen an einem Tisch essen? Der Stern würde abschrecken, die Gäste würden auf Distanz gehen. Zudem kann ein Sternekoch nicht einfach vier Wochen im Sommer den Betrieb schliessen, wie wir das machen. Mit meinem Konzept hatte ich aber grosse Ziele.

Welche?
Es war immer mein Ziel, eine Familie zu gründen und ein gesundes Baby zu haben. Das habe ich nun mit meiner Frau Selina und unserer Tochter Sara (6 Monate). Und ich habe ein super Team, bin sehr glücklich. Alles, was jetzt dazukommt, ist superschön.

Eines Ihrer Teammitglieder gehört zur Generation Z.
Wie kann die Branche diese erreichen?
Ich habe mich noch nie mit dieser Thematik befasst. Ich stelle aber fest, dass viele in dieser Altersgruppe nicht mehr bereit sind, etwas zu leisten, dafür aber riesige Ansprüche haben. Früher war es genau umgekehrt. In unserem Team ist das allerdings kein Problem. Wir haben ebenfalls lange Arbeitstage. Oder wir gehen gemeinsam auf ein Weingut. Wenn wir danach diskutieren müssen, ob das Arbeits- oder Freizeit ist, stimmt etwas nicht. Bei uns sind alle motiviert und können insgesamt acht Wochen Ferien beziehen. Mein Ziel ist es aber nicht, den Angestellten möglichst viel zu bieten. Die Triebfeder soll ihre Passion sein. Ich will mich bewusst nicht in den Vordergrund stellen. Wir sind ein Team, und jeder identifiziert sich mit dem Betrieb.

Was sind die nächsten Pläne?
Dazu gehört das erwähnte Gastrokonzept in einem Hotel oder in einem Restaurant. Das wäre der nächste grosse Schritt. Wir möchten zudem mit unserem Angebot noch mehr in Richtung Deutschland wachsen, weil dort der Markt viel grösser ist als in der Schweiz. Und in diesen Tagen kommt es zur nächsten Fernsehstaffel auf TVO.