Wo der Ausflugstourismus wieder blüht

Michael D. Merz – 03. August 2021
Besonders bei exponierten Gaststätten auf Bergspitzen oder an Seeufern zeigt sich die saisonale Abhängigkeit vom Tagestourismus. Wie fatal sich das Wetter aber auch der Lockdown auf Gastrobetriebe auswirkt, sieht man an sonst hochfrequentierten Gaststätten am Zürichsee, am Caumasee oder auf der Rigi.

Die Touristen, die es diesen Sommer auf die Rigi zieht, stammen in dieser Pandemie meist aus der nahen Umgebung. Es gibt jedoch Orte, die von einer grösseren, internationaleren Kundschaft profitieren, und der leichte Aufwärtstrend hält besonders bei gut erreichbaren Restaurants an.  

Seit dem ersten Lockdown werden etwa eifrig Gletscher, Seen und Altstädte aufgesucht. Die Grand Tour of Switzerland lockt 2021 gut 200'000 Feriengäste in die Schweiz, was laut Schweiz Tourismus einen Umsatz von gegen 225 Millionen Franken generieren soll. Zu lange hätten die einheimischen Touristen in einem «Stau der Bedürfnisse» ausgeharrt, wie Urs Wagenseil vom Institut für Tourismuswirtschaft ITW in Luzern erklärt. «Im Winter blieben viele potenzielle Gäste zuhause, weil die touristischen Verpflegungsstätten geschlossen hatten. Das schweizerische Gastronomiegeschäft nimmt jedoch eine Schlüsselrolle ein, was die Ausstrahlung einer Tourismusregion anbetrifft», unterstreicht der stellvertretende Leiter vom Institut für Tourismuswirtschaft.

Erst seit dem Frühsommer 2021, seit den Lockerungen, kommen nun grössere Gästeströme in die Tourismusregionen. An exponierten Orten wie dem Restaurant Caumasee oder ans Zürichhorn etwa, wo Ende Juni 2021 die Fischerstube nach einer zweijährigen Umbauphase seine Pforten wieder eröffnete, schauen Tagestouristen auch bei Wind und Regen vorbei.

Von Mensch zu Mensch

Hinter den Fensterfronten der «Fischerstube» schmeckt man förmlich die Nähe zum Wasser, die Stimmung scheint zu jeder Tageszeit idyllisch. Im Inneren des Seerestaurants mit 90 Plätzen bilden ein Stabgewölbe, blumig dekorierte Tische und vorbeiziehende Schiffe den Blickfang. Die kleinere Fischerhütte nebenan besteht zwar auch aus einer Lärchenfassade und einem für die Nordsee typischen Schindeldach, sie wurde jedoch eher für familiäre Rencontres zugeschnitten, wobei hier nicht nur gute Tropfen hinter der modernen Bar, sondern auch historische Malereien zu bewundern sind.

Die Gebäudeensembles von 1939, eine Attraktion der damaligen Landesausstellung, wurde von der Stadt Zürich rundum erneuert und seit dem 1. Juli durch die Restaurants Commercio-Piccadilly AG in Betrieb genommen. Die Fischerstube überzeugt durch die regionale Fisch- und Fleischküche, aber auch durch variierende vegetarische Gerichte. «Wir könnten jeden Tisch mehrfach reservieren», sagt Nicolas von Graffenried (63), CEO der Gruppe. «Wir haben unverhältnismässig viele Walk-Ins und die À-la-carte-Gänge am Abend sind auf Wochen hinaus reserviert worden. Hinzu kommen etliche Anfragen für Konferenzen und diverse Feiern.»

Einerseits freut das den erfahrenen Patron, der in der Stadt Zürich mehrere Betriebe betreibt. Andererseits werde die naheliegende Blatterwiese an schönen Wochenenden nahezu gestürmt. Aktuell sorgt er sich auch um die Pandemieentwicklungen. «Wir denken längerfristig und verstehen unser Konzept weder als Ausgangsmeile noch als Partyinsel», sagt von Graffenried. Lieber orientiere er sich an den Naturstimmungen und einem respektvollen Umgang von «Mensch zu Mensch». Weil die Fischerstube neu im Ganzjahresbetrieb geöffnet ist, könne er sich jedoch gut vorstellen, über den Winter entsprechende Kulturabende im Restaurant zu planen - wenn der jetzt schon bestens besuchte Sommergarten mit Seeanstoss geschlossen ist.

Zurzeit zieht der Sommergarten mit dem Selbstbedienungsbuffet (200 Plätzen) Gäste aus Nah und Fern an. An heissen Tagen lässt man hier gern die Seele unter den Platanen baumeln. «Wir haben Gäste, die eigens für etwas vom Kioskmenü anschwimmen», zeigt sich der Gastronom verblüfft.

Lösungen gegen Hypes

Szenenwechsel zum Caumasee oberhalb von Chur: Was soll man hier an einem Sonntag erwarten? An guten Tagen kommen zwischen 2’000 und 4’000 Besucher ans 2100 Meter lange Ufer des Sees für ein Selfie oder einen Sprung ins türkisblaue Wasser. Besonders das Strandbad Caumasee profitiert von den Tagestouristen. Doch nicht nur nur der Bergsee, auch das Restaurant Caumasee spüren die unzähligen Menschentrauben unterhalb von Flims GR.

Der sonst unbewohnte Südteil der Gemeinde wurde weniger verregnet diesen Sommer. Bequem ist er mit einer kleinen Standseilbahn zu erreichen. Doch wie können sich Gewerbeleute, die immer wieder von kurzfristigen Anstürmen betroffen sind, auf die Massen von Touristen vorbereiten? Laax Tourismus veröffentlicht inzwischen gezielt Werbung ,um die Leute vom «See der Mittagsruhe» an umliegende Attraktionen wie dem Crestasee zu locken. Das Restaurant Caumasee verweist auf die beschränkte Platzzahl und der Hausregel, dass man sich nach bezahltem Eintritt (7 Franken inklusive Konsumationsgutschrift für ein nicht alkoholisches Getränk) nur maximal 90 Minuten am Tisch aufhalten könne. Aktuell werden 1’700 Besucherinnen und Besucher im Seebad des Caumasees toleriert. Die Besucherzahlbeschränkung gilt auch für jene mit einem Tagesticket, für Gästekarteninhaber und selbst für Einheimische. 

Solche Regelungen gelten nicht nur vom Frühling bis zum Herbst. Einzelne Tourismusorte, die von Extremwetterereignissen verschont blieben, verzeichnen durchs Jahr hohe Besucherfrequenzen. Permanente Influencer-Hinweise über Ostschweizer Orte wie dem Berggasthaus Aescher («Places of a Lifetime», National Geographic) oder über lauschige Trips ins Lavertezzo im Verzascatal («Die Malediven von Mailand») sorgen für einen regelrechten Hype in den schönsten Nischen der Schweiz.

Gemischter sieht es seit dem Jahr 2020 an historischen Tourismusorten wie der Rigi aus, was die Abhängigkeit von exponierten Gaststätten und schwankenden Tourismusströmen betrifft. Glücklicherweise zeigen einheimische Gastronomen innovative Konzepte, um auch in einem Konjunkturabschwung zu überzeugen. So führen etwa das Hotel Vitznauerhof mit dem Park Hotel Vitznau und dem Kräuterhotel Edelweiss auf Rigi-Kaltbad gemeinsame Gourmetwochen ein. Solche kooperativen Entwicklungen sowie eine unvergleichliche Erlebnisgastronomie mit regionalen, nachhaltigen Produkten kommen bei den Gästen gut an.

Die Besucherzahlen auf der Rigi sind zwischen 2009 bis 2018 von 553’000 auf 912’000 jährlich gestiegen. Die Anzahl Gäste auf den von der Rigi Bahnen AG betriebenen Anlagen ging seither drastisch zurück, so waren es 2019 noch 879’000 und 2020 noch 476’000 Anreisende. Bis und mit Juni 2021 zählte man 221’679 Passagiere. Auch auf dem Jungfraujoch geht man von einer Halbierung der Ausflügler aus.