Kräuter Hotel Edelweiss: Bessere Aussichten über dem Vierwaldstättersee

Michael D. Merz – 10. August 2021
Obschon der Tourismus erst langsam in die Gänge kommt, verzeichnen einige vife Spitzenbetriebe volle Reservationslisten. Wo gab es trotz des verregneten Sommers erste dichtere Gästeströme? Unter welchen Faktoren werden Tische gebucht, und wie bildet man eine gute Gästeresonanz? Ein Augenschein in der Zentralschweiz.

Bis Anfang Juni lag noch Schnee auf der Rigi, einem der beliebtesten Ausflugsziele der Schweiz. Die Innerschweizer Wirte könnten hier ihre Terrassentische bei klarer Sicht doppelt und dreifach vergeben. Allerdings: Nicht nur die schrittweise Öffnung der Gastronomiebetriebe und teilweise ausbleibende Kundschaft fordert die Wirte in der Region, sondern auch die diesjährigen Wetterkapriolen.
«Das Thema Wetter beeinflusst uns im Kräuterhotel stark. Es bestimmt unsere Arbeitsweise», erklärt Gregor Vörös (40), der mit seiner Frau Gabriella Egger-Vörös 2008 das Berghotel Edelweiss übernahm und nach vier Betriebsgenerationen komplett umkrempelte. «Wegen unserer Neupositionierung zum Kräuterhotel riskierten wir viel, konnten jedoch nur gewinnen», meint der emsige Pächter.
Gregor Vörös und seine Frau entschieden sich für eine klare Angebotsausrichtung: Auf den Teller kommt nur, was in naher Umgebung gedeiht. Trotzdem war die rigorose Umstellung für viele Gäste gewöhnungsbedürftig. In der Wirtsstube findet man keinen Pfeffer, keine Muskatnuss, weder Emulgatoren noch Coca-Cola oder Marmelade in den kleinen Aluminumtöpfchen. Das Wasser plätschert aus Rigiquellen, ein paar Tomatenstauden kultiviert man in einem kleinen Gewächshaus, die Fische angelt man im Vierwaldstättersee, allein die Kaffeebohne riecht nach fernen Welten. Sonst bestimmt die Wetterlage über der sogenannten Staffelhöhe die Ernte – und entsprechend auch das Saisonmenü des Sternekochs Benedikt Voss (30) und seines Souschefs Jannik Moser im Gourmetrestaurant Regina Montium des Kräuterhotels Edelweiss.
Die anhaltenden Regenschauer sorgen auch hier für Engpässe, was etwa die Rüebli- oder Zwiebelernte angeht. «Ein Hagelgewitter, welches über unseren Garten brausen würde, wäre für uns ein betriebliches Fiasko. Die Gartenarbeit, die alle unsere Arbeitsprozesse definiert, lässt sich nicht versichern.» Vörös ist überzeugt: «Unsere Risikobereitschaft und die hohen Auszeichnungen brachten uns eine Stammkundschaft, die uns auch bei bedecktem Himmel besucht. Ansonsten haben wir auf der Rigi viel Zeit zum Experimentieren.»

Bergwärts mit 91 GaultMillau-Punkten
Für Gastronomen gibt es erfreulichere Zeiten als diese: Bis zum 26. Juni 2021 wurden die Gästekapazitäten wegen der Pandemie behördlich eingeschränkt, dann regnete es im Juli in Schwaden. In vielen Betrieben ist es deshalb noch immer sehr ruhig, auch mangels Touristen aus dem Ausland. Die Situation bleibt besonders für saisonale und abgelegene Betriebe heikel. Um nicht in eine wirtschaftliche Schieflage zu kommen und um ihre Spitzenküche zu preisen, schmiedeten untereinander sympathisierende Köche eine gemeinsame Idee: Statt vor leeren Küchen zu stehen, sollten sich mehrere Spitzenköche auf der Rigi begegnen. «Jeden Wochenabend kocht bei uns eine andere Crew. Der Gast kann so eine Vielfalt an Gerichten erleben, für die er normalerweise die halbe Schweiz bereisen müsste», liess das Dreisternehotel Edelweiss im Winter 2020 die Branche wissen. So kochten sechs Köche und ihre Crews mit insgesamt 91 GaultMillau-Punkten zwei Stationen vor der Rigi-Kulm, auf 1550 Meter über Meer, wo sich das Kräuterhotel Edelweiss befindet: Daniele Tortomasi (The Nucleus Wolhusen LU; 15 GM-Punkte), Moritz Stiefel (Stiefels Hopfenkranz Luzern; 15 GM), Markus Burkhard (Pop-up Cream Zürich; 16 GM / 1 Michelinstern), Simon Sommer (Wein&Sein Bern; 15 GM), Benedikt Voss (Regina Montium Rigi Kaltbad LU; 15 GM / 1 Michelinstern) und Dorly Camps (ehemals Bergsonne Rigi Kaltbad LU; ehemals 15 GM).
Doch nicht nur hinsichtlich dieser Erlebnisgastronomie taucht der Name Kräuterhotel Edelweiss in der Fachwelt auf: Der Guide Michelin hat dieses Jahr schweizweit 24 Häuser mit zwei Sternen ausgezeichnet – so viele wie noch nie zuvor. Gleich zwei der prämierten Restaurants, die erstmals den «Grünen Stern» von Michelin erhielten, betreibt Gregor Vörös.

Feinkost an einem Seidenfaden
Seit März 2020 sorgen sich Gregor Vörös und Daniele Tortomasi (25) auch ums Tropenhaus in Wolhusen. Die Lebensmittel des «Nucleus» werden im Tropenhaus möglichst selbst geerntet. So sorgt sowohl der kulinarische Feingeist von Daniele Tortomasi als auch der grüne Daumen von Gregor Vörös für Furore. «Wir haben Restaurants ausgewählt, die sich durch den Einsatz lokaler, regionaler Produkte aus teils eigenem Anbau, die Schonung der Ressourcen, Verzicht auf Massentierhaltung, klugem Abfallmanagement sowie durch den Einsatz saisonal verfügbarer Produkte hervorheben», begründete die Jury ihre Kriterien und die erstmals verliehene Nachhaltigkeitssterne fürs Tropenhaus und Restaurant Regina Montium.
Das Kräuterhotel von Gregor Vörös, welches auch mit umliegenden Restaurants kooperiert, wurde zudem von Falstaff als Bio-Slow-Food-Restaurant des Jahres 2021 ausgezeichnet. Nichtsdestotrotz bangten die jungen Pächter in den ersten zwei Betriebsjahren um ihre bisherige Kundschaft: «Üblicherweise hatte man früher auf der Rigi Ausflügler, die sich möglichst schnell und kalorienreich verpflegen wollten. Etwa 60 Prozent unserer Stammgäste blieben erst aus, weil wir keine standardisierten Pommes und Ähnliches offerierten. Dennoch hielten wir an unserer Vision fest, und so können wir heute wieder auf treue Gäste bei uns zählen.»

Gemeinsam Pilze sammeln
Die gute Resonanz der Gäste geben Vörös und Co. weiteren Auftrieb, ihre Gourmetküche den herrschenden Naturzyklen anzugleichen. Für den Wirt des Kräuterhotels scheint es weniger relevant, wie viele Touristen mit der Zahnradbahn Vitznau-Rigi-Kulm anreisen. Vörös gesteht: «Auch in Zeiten wie diesen kaufen wir uns nicht mit Werbung ein, um mehr internationale Touristen anzulocken. Die Punkte, die Benedikt Voss erhielt, dienen uns sicher, doch ist mir die gute Stimmung unter den Angestellten wichtiger.» Die Küchenchefs packen im 1400 Quadratmeter grossen Garten fleissig mit an. Man sei wie eine Familie, arbeite an einem Strick, gehe zusammen Pilze sammeln oder zelebriere ein Höhenfeuer. Unter den 21 Angestellten setzt man viel auf Gemeinschaftssinn. «Mindestens zwei Ruhetage pro Woche soll sich die Staff jedoch gönnen», sagt der Wirt. Die Beete vor dem Berghotel sind für alle zugänglich. Viele Gäste jäten mit. Das Erlebnis im Garten mitzuwirken und damit die avancierte Kräuterküche im Regina Montium mitzuformen, lockt Gross und Klein. Dort spriessen viele Gewächse wie griechischer oder sibirischer Oregano, peruanischer Sauerklee, Orangenthymian oder französische Eberraute (welches nach Coca-Cola schmeckt) – neben über 400 anderen Sorten von nützlichen Kräutern.
«Wir bekennen uns zu Feriengästen, die unsere Kräuterküche mögen, und auch das Bodenständige hier schätzen», sagt der Wirt zum Abschied. 2020 musste er zwar eine 30-prozentige Einbusse hinnehmen. Dieses Jahr sind dafür beinahe alle Gourmetabende bis in den September ausgebucht.

 

 

Tue Gutes und erreiche Gäste
Wie treffen Gastrobetriebe die flüchtigen Bedürfnisse ihrer Gäste? Mindestens vier Dimensionen für emotionale, gemeinsame, qualitativ kompromisslose und nachhaltige Erlebnisse sind zu beachten:

• Identität und Verankerung
Mit positiven Emotionen unterstützen Gastronomen
die Entscheide der Gäste und knüpfen an Vertrautem an. Emotionale Offenheit und ebenso Detailtreue fördert die Aufnahmefähigkeit der Gäste. Damit lassen sich gute Erlebnisse und neue Erinnerungen gestalten.

• Interesse bekunden
Gemeinsame Erlebnisse verbinden Menschen, machen sie zu Freunden, Vertrauten, Partnern. Hieraus resultiert nicht nur eine gesunde Arbeitskultur, es entsteht ebenso ein vertrauensvolles Miteinander, Zufriedenheit und möglicherweise Resilienz bei den Angestellten.

• Herkunft zelebrieren
Wer selbstverständlich aus familiären Wurzeln schöpfen kann, agiert selbstsicher, ungehindert und in Stress­situationen richtig. Dies gilt nicht nur für eine Person, sondern auch für ein ganze Belegschaft und für Unternehmen.

• Ziele setzen
Innovationsziele brauchen Zeit. Gleichwohl kann eine Unternehmenstransformation auch auf bestehenden Traditionen fussen: So kann man Erlebnisse und Orte in eine neue Verbindung bringen, indem man offen die Auseinandersetzung mit bisherigen Leitlinien und Prinzipien sucht. mdm