Tourismus

Versinken oder auftauchen

Nuria Peón – 12. Januar 2017
Sie sind die grossen Sorgenkinder der Schweizer Wintersportgebiete: die Pistenmuffel. Eine Nachfrage bei den betreffenden Jungen zeigt, wie schwierig das Rekrutieren ist.

«Weniger Gäste fahren weniger oft Ski», hiess es an der Wintermedienkonferenz von Schweiz Tourismus Ende Oktober (siehe GJ43). Deshalb soll der Schneesport-­Tourismus mit verschiedenen Massnahmen neue Gäste erreichen und den (Wieder-)Einstieg für Erwachsen erleichtern. Und das, obwohl gemäss Andreas Keller, Leiter Kommunikation von Seilbahnen Schweiz, «das Potenzial in der Schweiz mehr oder weniger aus­geschöpft ist», wie er einer durchgeführten Marktanalyse entnimmt. Weshalb sind junge Erwachsene aber nicht auf der Piste? «Wenn ich von den vielen Unfällen höre, ist mir Schneesport einfach zu gefährlich», erzählt Pavlina Stoj­menova. Für sie ist Schneesport aber vor allem deshalb nie in Frage gekommen, weil sie nie einen Bezug dazu hatte: «Ich hatte in der Schule keine Skilager, in denen ich Wintersport betreiben und kennenlernen konnte.» Die Wichtigkeit der Ski­lager für den Einstieg in den Wintersport lässt sich unter anderem aus der Marktanalyse von alpinen Wintersportlern ablesen, die im Auftrag von Seilbahnen Schweiz durchgeführt wurde: Rund ein Drittel der Schweizer Skifahrer hat durch einen Schul-Skikurs mit dem Skifahren begonnen. Mit weniger als 10 Jahren beginnt ausserdem die Hälfte mit dem Skisport – also noch während der Primarschulzeit. «Einmal im Leben würde ich es gerne ausprobieren», gesteht Pavlina. Was es dafür braucht: «Überwindung und eine erfahrene Begleitperson.» Es bleibt aber nicht nur bei dem: Tiefere Preise wünsche sie auch, denn die aktuellen Preise würden sie zusätzlich demotivieren: «Um es nicht als regelmässiges Hobby, sondern einfach einmal ausprobiert zu haben, ist es sehr teuer.» «Ich gehe nicht auf die Piste, weil es einfach zu teuer ist», unterstreicht Yago Mouriño die Aus­sage von ­Pavlina. Dass besonders junge Schweizer von den Kosten abgeschreckt werden, lässt sich ebenfalls aus den Ergebnissen der Marktanalyse von alpinen Wintersportlern ablesen: 51,3 Prozent der unter 21-Jährigen hören deswegen mit dem Schneesport auf. Bei den anderen Altersgruppen liegt der Wert im Durchschnitt bei rund einem Drittel. Darüber hinaus möge Yago kalte Temperaturen ebenfalls nicht, wie rund 20 Prozent der Skifahrer, die unter 21 mit dem Schneesport aufhören. «Mich bringt man gar nicht mehr auf die Piste. Wenn die Preise nicht mehr so hoch wären, würde ich aber nochmals darüber nachdenken», sagt der 22-jährige Yago. Es sind aber nicht nur Geldfragen, die Pistenmuffel erzeugen. Jesica Ares erzählt, dass sie einfach niemanden in ihrem Umfeld hat, der Ski- oder Snowboard fährt – ein häufiger Fall bei Secondos. Denn bei ihnen besteht der Freundeskreis oft aus weiteren Secondos. Und deren Familien wiederum aus Migranten, die bisher keine Zeit hatten, das Skifahren zu erlernen. Somit ist Schneesport weder in der Familie noch im Freundeskreis beliebt. Dass sie ein grosser Einflussfaktor sind, bestätigt die bereits erwähnte Marktanalyse: Gemäss ihr haben 51 Prozent der Schweizer Skifahrer durch ihre Familie mit dem Schneesport begonnen. Jesica stellt aber fest: «Wenn ich mit jemandem gehen könnte, den ich kenne und der sich Zeit für mich nähme, wäre es sicher lustig, Schneesport mal auszuprobieren.» Im Gegensatz dazu hat Lorena Fraga in ihrem Umfeld zwar Leute, die gerne Schneesport ausüben, sie selber hat den Mut dazu jedoch nicht: «Ich fahre nicht Ski oder Snowboard, weil ich Angst davor habe.» Deshalb habe sie es auch nie gelernt: «Ich habe grossen Respekt davor.» Pro Jahr verletzen sich durchschnittlich 87 000 Personen auf Schweizer Skipisten. Und das Verletzungsrisiko hat sich in den letzten zehn Jahren kaum geändert. «Ich sehe einfach nicht, dass Skifahren mit der Zeit sicherer wird», konkretisiert Lorena. Wenn es immer weniger Unfälle und Verletzte gäbe, würde sie dem Schneesport eventuell eine Chance geben. «Es ist nachvollziehbar, dass man Angst vor etwas hat, das man nicht kennt», erläutert Edith Zweifel, Medienmanagerin von Zermatt Tourismus. Ebenfalls sei es eine Tatsache, dass Secondos diese ­«Skifahr-Kultur» nicht kennen, und dass es immer weniger Ski­lager gibt. Im höchstgelegenen Skigebiet der Schweiz versucht man jedoch, aktiv Pistenmuffel auf die Piste zu holen. Als eines von 19 Skigebieten ist Zermatt bei der von Schweiz Tourismus lancierten Initiative dabei: «Wir bieten die Pauschalen ‹One Day Snow Experience› an.» Darin inbegriffen ist die komplette Ausrüstung für einen Ski- oder Snowboard-Crashkurs, inklusive Privatunterricht mit einem Skilehrer. Das Erlebnis dauert insgesamt 3,5 Stunden und kostet satte 563 Franken pro Person – bei zwei oder mehr Teilnehmenden wird es bedeutend günstiger. Ausserdem gebe es für Anfänger oder Einsteiger interessante Alternativen: «In Zermatt kann man das ganze Jahr über auf die Piste. So kann man im Frühling auch morgens auf die Piste und nachmittags wandern gehen.» Um Schneesport bei Kindern und Jugendlichen an Schulen zu fördern, ist der Verein Schneesport­initiative Schweiz aktiv. Auf dessen Online-Plattform GoSnow.ch können Schulen mit wenigen Klicks ein komplett organisiertes Skilager buchen sowie nützliche Tipps und ­Angebote abholen. Ein ähnliches, auf Schulklassen speziell zugeschnittenes Angebot offeriert Laax, «da Skilager für Schulen ein grosser Aufwand sind», wie Christina Ragettli von der Weisse Arena Gruppe erklärt. Laax holt die Schulklassen mit einem Laax-Shuttle zuhause ab und bringt sie ins Skigebiet, wo sie Ausrüstung und Skiunterricht für einen guten Preis erhalten. «Wir holen somit die Kinder direkt nach Laax und versuchen, neue Skifahrer oder Snowboarder aus ihnen zu machen und sie so für den Wintersport begeistern zu können. Ebenfalls haben wir dadurch zukünftig wieder Gäste, die gerne nach Laax kommen, wo sie zum ersten Mal Ski- oder Snowboardfahren gelernt haben», erläutert Ragettli. Die ­Zukunft schätzt sie jedoch kritisch ein: «Wintersporttourismus ist in den letzten Jahren geschrumpft, wird teurer und ist somit nicht für jeden mehr möglich.» www.gosnow.ch