Endlich sind Ende Februar die Schweizer Beherbergungszahlen fürs Jahr 2017 erschienen. Freude herrscht auf den ersten Blick, mit dem sich viele begnügen. Auf den zweiten Blick widerspiegeln die Zahlen einerseits einen epochalen Umbruch im Schweizer Tourismus. Andererseits sorgen die Zahlen aus fachlicher Sicht für Verärgerung: weil sie als kleiner, quantitativer Ausschnitt der Schweizer Hotellerie die Wirklichkeit mehr verzerren als abbilden - und weil diese Verzerrung unnötig und der Bund zuvorderst dafür verantwortlich ist.
«Die Bilanz des Tourismusjahrs 2017 für Europa lässt sich sehen und führt zu Zuversicht auf breiter Front innerhalb der Branche», kommentierte Schweiz Tourismus (ST) die Beherbergungszahlen des vergangenen Jahres. Trotzdem müsse «daran erinnert werden, dass die Logiernächtevolumen aus der Zeit vor der Franken-Überbewertung in Folge der ersten Finanzkrise noch lange nicht erreicht sind», mahnte ST in der ersten grösseren Veranstaltung mit dem neuen Direktor Martin Nydegger: «Hier liegt weiterhin viel Aufholarbeit vor der Schweizer Tourismusbranche, die vollständige Rückgewinnung der europäischen Gäste bleibt das Ziel.»
Das Wallis hat trotz des Magneten Zermatt seit 2007 fast 40 Prozent seiner Hotelübernachtungen eingebüsstNeben der erfreulichen Tatsache, dass die Frequenzen in der Hotellerie bereits seit 2016 wieder zunehmen, gibt es beunruhigende Umbrüche – die untenstehenden Tabellen verdeutlichen sie:
- Die Feriengäste, die den Schweizer Tourismus seit seinen Anfängen im frühen 19. Jahrhundert prägten, schmelzen seit Anfang des 21. Jahrhunderts gerade wie die Alpengletscher. Nach dem 2. Weltkrieg kamen diese Feriengäste in zunehmenden Massen aus Nahmärkten. Zum Ende des 20. Jahrhunderts aber ging die Aufenthaltsdauer stetig zurück, und zu Beginn des 21. Jahrhunderts brachen die Frequenzen ein: Seit 2007 hat die Schweiz über 60 Prozent der deutschen Nachfrage verloren, über 50 Prozent der niederländischen und über 40 Prozent der britischen.
- Die Touristen aus Fernmärkten haben die Feriengäste aus der Nähe zwar ersetzt: Chinas Nachfrage hat sich innert zehn Jahren mehr als verfünffacht, aus den Golfstaaten kommen beinahe viermal so Touristen, aus Indien mehr als doppelt so viele.Doch mit Ausnahme mancher US-amerikanischen und japanischen Touristen machen die Gästegruppen aus Übersee nicht Ferien in der Schweiz. Chinesische Touristen etwa unternehmen laut einer aktuellen Studie der Uni St. Gallen (GJ04) im Schnitt achttägige Europareisen mit einem Abstecher in die Schweiz – auch hier ist die Aufenthaltsdauer entsprechend bescheiden.
Seit 2007 hat die Schweiz über 60 Prozent der deutschen Nachfrage verlorenDieser radikale Wandel spiegelt sich auch in der Nachfrage: Die alpinen Destinationen, die von europäischen Feriengästen über Generationen besucht worden sind, haben im 21. Jahrhundert extrem verloren – und die Städte als häufiger Hub für Steppvisiten flatterhafter neuer Touristen gewonnen (vgl. Kasten): Das Wallis hat trotz des Magneten Zermatt seit 2007 fast 40 Prozent seiner Hotelübernachtungen eingebüsst, Graubünden über 20 Prozent. Der Blick auf die Gewinner in den klassischen alpinen Ferienregionen unterstreicht den Wechsel vom Feriengast aus Europa zum Ausflugsgast aus Übersee: Im Berner Oberland und in der Zentralschweiz, wo mit Jungfraujoch, Titlis oder Rigi internationale Topziele locken, haben die Hotelübernachtungen auch im Verhältnis zu 2007 zugelegt. Ein grosser Trost bleibt immerhin: Der Zuspruch von Schweizer Hotelgästen, die sogenannte Binnennachfrage, ist eine Bank: Obschon das Ausland währungsbedingt immer billiger geworden ist und enorme Anstrengungen unternommen hat, Gäste aus der Schweiz zu gewinnen, ist die Standorttreue phänomenal. Im Vergleich zu 2007 hat die Schweizer Nachfrage im eigenen Land zugenommen, und 2017 gab es gar einen neuen Rekord: «Die Logiernächtezahl der Schweizer Gäste erhöhte sich um 4,2 Prozent auf 16,9 Millionen und erreichte den bisher höchsten Stand», verlautete das Bundesamt für Statistik, das die Daten erhebt. Was wiederum an ein Ärgernis und die systematische Verfälschung der Daten erinnert: Nachdem seit 2016 endlich wieder Daten zur Parahotellerie vorliegen, kann es nicht sein, dass diese nicht parallel zur Hotellerie erscheinen (vgl. unten). Link: Beherbergungszahlen 2017 Die Nachfrage Seit Beginn des Jahrhunderts hat sich die Nachfrage im Schweizer Tourismus extrem verändert: Treue Feriengäste aus nahen Märkten sind durchreisenden Touristen aus Fernmärkten gewichen. Zur Verdeutlichung ist deshalb in der Tabelle unten neben dem Vorjahr 2016 auch das Jahr 2007 zum Vergleich herangegezogen. Beide Werte beziehen sich dabei auf 2017, was die Relationen über das letzte Jahrzehnt herstellt und eindrücklich den extremen Wandel zeigt. Markt LN (Mio.) ’07 (%) ’16 (%)
- Schweiz 16,92 +8,7 +4,2
- Deutschland 3,75 –62,4 +1,1
- USA 2,05 +18,6 +11,5
- UK 1,62 –40,8 –1,1
- China 1,43 +505,6 +13,0
- Frankreich 1,24 +8,8 +0,0
- Italien 0,93 +3,0 +0,8
- Golfstaaten 0,92 +380,5 –4,1
- Indien 0,74 +219,3 +23,4
- Niederlande 0,61 –56,4 +3,7
- Belgien 0,59 –35,9 +9,1
- Japan 0,41 –35,9 +13,1
- Korea 0,46 +284,1 +34,7
- Zürich 5,96 +22,2 +6,0
- Graubünden 4,85 –20,9 +4,9
- Berner Oberl. 3,97 +4,9 +8,6
- Wallis 3,92 –36,2 +6,9
- Zentralschweiz 3,56 +5,5 +3,6
- Genf 3,05 +5,8 +4,3
- Waadt 2,89 +12,3 +3,4
- Tessin 2,46 –12,3 +7,7
- Ostschweiz 1,90 –4,6 +0,3
- Basel 1,64 +32,1 +6,9
- Bern 1,10 –28,9 +4,1