Nachhaltiger Tourismus: «Die Schweiz ist auf einem guten Weg»

Oliver Borner – 02. Dezember 2021
Gemäss Tourismusstrategie des Bundes soll der Tourismus in der Schweiz in den nächsten Jahren nachhaltiger werden. Ein gutes Ziel, meint Nicolo Paganini, Präsident des Schweizer Tourismus-Verbands. Allerdings gibt es auch Verbesserungspotential.

Vergangene Woche traf sich im Zentrum Paul Klee in Bern die Schweizer Tourismusbranche am jährlichen Tourismus Forum Schweiz (TFS), um über die aktuelle Lage der Branche zu diskutieren. Im Zentrum stand in diesem Jahr die neue Tourismusstrategie des Bundes, welche der Bundesrat zusammen mit dem Bundesamt für Wirtschaft (Seco) Anfang November publizierte. Dabei will der Bund für die kommenden vier Jahre insbesondere die Nachhaltigkeit des Tourismus fördern. Doch wie soll das gehen? Welche Aufgaben stellen sich damit der Schweiz? Und ist das Ziel überhaupt erreichbar? Das GastroJournal hat bei Nicolo Paganini, Präsident des Schweizer Tourismus-Verband, nachgefragt.

Nicolo Paganini, alle Welt spricht seit Jahren über das Wort «nachhaltig», auch im Tourismus. Was verstehen Sie unter diesem Wort?
Nicolo Paganini: Zentral sind die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit. Nachhaltigkeit lässt sich nur verwirklichen, wenn dem Umweltschutz auch eine dynamische Wirtschaft in einem sozial passenden Umfeld an die Seite gestellt wird.

Eine komplexe Angelegenheit also. Wo sehen Sie Probleme bei der Definition?
Der Terminus «nachhaltig» ist heikel, ich bevorzuge es, von «nachhaltiger» zu sprechen. Absolute Nachhaltigkeit können wir nicht erreichen, insbesondere im Zusammenhang mit dem Tourismus, welcher allein durch die Reisetätigkeiten immer mit einem gewissen Ressourcenverbrauch verbunden ist. Was wir aber sehr wohl können, ist den Ressourcenverbrauch zu reduzieren, also «nachhaltiger» zu werden. 

Diese Ziel verfolgen viele Länder weltweit. Wie weit ist die Schweiz bereits mit der Nachhaltigkeit im Tourismus?
Die Schweiz zählt bereits heute zu den nachhaltigsten Destinationen weltweit. Unser Anspruch ist es aber, uns weiter zu verbessern und so als gutes Vorbild vorauszugehen. Aus Überzeugung, aber auch weil die Voraussetzungen in unserem Land dies zulassen und weil es sich auch langfristig finanziell lohnt. Wir können uns in allen drei Dimensionen der Nachhaltigkeit verbessern. 

Wo sehen Sie Verbesserungspotential?
Luft nach oben gibt es beispielsweise beim CO2-Ausstoss. Es gibt hierbei entlang der gesamten Wertschöpfungskette Verbesserungspotenzial. Es reisen beispielsweise immer noch zu viele Gäste mit dem Auto in die Skiferien. Hier braucht es mehr Sensibilisierungsarbeit des Tourismussektors. Ausserdem besteht bei vielen Beherbergungsbetrieben grosses Potenzial, was energetische Sanierungen betrifft.

 

Der Bund hat das Thema Nachhaltigkeit offenbar erkannt und es Anfang November in seiner neuen Tourismusstrategie festgehalten. Ein gutes, ja vielleicht sogar wichtiges Zeichen?
Es ist ein wichtiges Zeichen für den Tourismussektor. Es zeigt auf, dass Bund und der Sektor am gleichen Strick ziehen und sich die Ziele decken. Die Verbände möchten nun Nägel mit Köpfen machen und schaffen mit dem Kompetenzzentrum Nachhaltigkeit unter dem Dach des STV die Grundlage dafür, dass der Tourismus in der Schweiz zum Nachhaltigkeitsleader aufsteigen kann. Das Seco unterstützt dieses Vorhaben und die Tourismusstrategie nimmt das Kompetenzzentrum ebenfalls auf, das gibt dem STV die nötige Planungssicherheit für die kommenden Jahre.

Wo sehen Sie die Stärken der Strategie?
Der Bund setzt auf die bewährten Elemente der Tourismusstrategie. Ich teile die Auffassung, dass die Tourismusstrategie grundsätzlich funktioniert und auf die richtigen Instrumente und Ziele setzt. Besonders begrüsse ich den verstärkten Fokus auf die Nachhaltigkeit, als zentrales Handlungsfeld in den kommenden Jahren. Es gilt dabei die Aktivitäten zwischen dem Bund und dem Sektor optimal aufeinander abzustimmen, insbesondere auch im Bereich des Messens und Reportens. Weiter begrüsse ich die Absicht des Bundesrates, die Investitionsförderung weiterzuentwickeln.

Also alles in bester Ordnung.
Nicht ganz. Der Bundesrat verkennt bei seiner Strategie die Corona bedingte finanzielle Situation vieler touristischer Betriebe. Die Gelder des Recovery-Programms sind richtig und wichtig, werden aber nicht ausreichen, um Liquiditätsengpässe der Betriebe zu verhindern und dem Investitionsstau somit keine Abhilfe schaffen. Der liquiditätsbedingten Gefährdung der Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe muss der Bund noch mehr Bedeutung beimessen.

Wie blicken Sie mit dem Fokus auf Nachhaltigkeit auf die Zukunft des Tourismus? Was wird sich ändern? Wo sehen Sie Herausforderungen für die AnbieterInnen?
Es muss der Mut aufgebracht werden, den Strukturwandel zuzulassen und auf nachhaltige Angebote zu setzen, damit auch der Tourismus seinen Teil zu einer lebenswerten Zukunft leisten kann. Es braucht einen Tourismus, der die Umwelt schont, also möglichst klimafreundlich ist. Ein Tourismus, der die Gastgebenden und ihre Kultur respektiert. Ein Tourismus, der stabile Jobs zu anständigen Bedingungen und damit ein langfristiges Einkommen und wirtschaftliche Entwicklung ermöglicht.

Das wird sich aber auf das Reiseverhalten aller auswirken müssen.
Natürlich. Ein neues Reiseverhalten wird nach neuen Angebots- und Geschäftsmodellen verlangen. Dafür braucht es viel Kreativität und Innovation. Die Schweiz als vom Global Innovation Index gekürte Innovationsweltmeisterin ist aber durchaus in der Lage, diese Herausforderung zu stemmen und als Vorbild für andere Tourismusdestinationen vorauszugehen.

Dabei wird die aktuelle Coronasituation möglicherweise eine Rolle spielen. Inwiefern wird Corona das Erreichen eines nachhaltigen Tourismus erleichtern oder erschweren?
Das ist schwierig zu sagen. Dass bei dieser Krise auch die westliche Welt direkt betroffen ist, hat in unseren Breitengraden zu einem Bewusstsein für den Kollaps geführt. Wichtig ist, dass nachhaltige Angebote sich wirtschaftlich lohnen. Dafür brauchen wir die richtige Gesetzgebung.