Gastro Journal
Tourismus

Marschhalt, Lagebeurteilung, Neuorientierung

Peter Grunder – 03. Juni 2017

Zuletzt dominierte umfassende Unsachlichkeit: Ariane Ehrat, die im Oberengadin viel bewegt hat, wurde an der GV von «Graubünden Ferien» (GRF) nicht zur neuen Präsidentin gewählt. Angesichts der deso­laten Lage von GRF sollte Ehrat das als Kompliment nehmen können. Denn persönlich nehmen muss man es – wie so vieles im Schweizer Tourismus, dessen operatives und strategisches Funktionariat demjenigen von GRF ziemlich gleicht. Auch beim nationalen Tourismusvermarkter «Schweiz Tourismus» (ST) und im erweiterten Kraftfeld von Jürg Schmid dominierte zuletzt Unsachlichkeit: Obwohl die Branche in epochalen Umbrüchen steckt, die der schwache Euro letztlich ­weniger verursacht als beschleunigt, fliesst in ernsthafte Diagnose- und Therapiediskussionen wenig Energie. Lieber beklagt man einerseits die Währungsnachteile und die Untätigkeit der Politik – und holt gern mehr Geld heraus für zusätzliche Marketingmassnahmen. Andererseits zielt man hinsichtlich ST auf den Mann – aber weil viel Geld auf dem Spiel steht, lieber hinter vorgehaltener Hand und auf Nebenschauplätzen wie der Lohnebene. Dabei wanken zum einen ganze Talschaften und mit dem klas­sischen alpinen Ferientourismus ein bewährtes, jahrzehntealtes Geschäftsmodell – dass gleichzeitig die Wasserkraft erlahmt, sei nur am Rande erwähnt. Zum anderen hat ST vor gut einem Jahr strategisch und personell neue Wege eingeschlagen, ohne dass diese von langer Hand vorbereitet und breit diskutiert worden wären (siehe GJ01/16). Systemisch ist zwar zu sagen, dass traditionelle Tourismusvermarkter auch gut darin sind, sich selber zu vermarkten – ein gewaltiges Handicap, zumal das auch für entscheidende Partner gilt, nämlich Politiker, Funktionäre und Berater. In dieser Ausgangslage kommt der Abgang von Jürg Schmid strategisch gelegen: «Das Beste, was Schweiz Tourismus tun kann, ist für mehr Kooperation zu sorgen», sagte am Welt-Tourismus-Forum Luzern Anfang Mai Simon Anholt, einer der aktuell tiefsinnigsten und bestdokumentierten Denker in Sachen Marken und Marketing (GJ20). Aber es scheint, dass man sich lieber für die Zeit nach Jürg Schmid in Stellung bringt, als «alles zu hinterfragen», was Anholt als Voraussetzung für Marketingerfolg bezeichnet. Dabei hat es der Bund zuletzt 2006 versucht. Doch die Reorganisation der Landeswerbung blieb auf halbem Weg stecken. Nach Lage der Dinge ist es genau jetzt Zeit, einen Neustart zu machen.