Hotellerie

Wandeln zwischen den Welten

Christine Bachmann – 02. Juni 2017
Seit Jahrhunderten ist der Name Wehrli mit dem Gastgewerbe verknüpft. Einblick in das Familienunternehmen gewährt Fritz Wehrli.

Das Kornsilo in der Mühle Tiefenbrunnen in Zürich ist der jüngste gastgewerbliche Betrieb der Unternehmer­familie Wehrli. Seit gut einem Jahr geöffnet, steht er unter der Ägide von Michael Wehrli, einem Sohn von Patron Fritz Wehrli. Letzterer hat erst vor kurzem ihm sowie seinem Bruder Daniel die Mühle Tiefenbrunnen (dazu gehört unter anderem auch das Restaurant Blaue Ente) und die Bäckereiunternehmen Groba AG und die Walter Buchmann AG übergeben. «Mir war eine geordnete und beständige Nachfolgeregelung sehr wichtig», betont Fritz Wehrli, dessen Familie seit Jahrhunderten mit dem Gastgewerbe verbunden ist. Begonnen hat die gastgewerbliche Geschichte der Familie Wehrli mit dem einzigen Betrieb, der noch in Händen von Senior Fritz Wehrli ist: dem historischen Hirschen Stammheim. 1684 erbaut, war er bis 1786 in Besitz der Familie, ging dann für rund 150 Jahre in fremde Hände über, bevor er 1941 wieder zurück in den Familienbesitz gelangte. Seit 1978 steht der Hirschen unter Denkmalschutz und ist seither kontinuierlich saniert und restauriert worden. Der jüngste Umbau des 2014 als «Historisches Hotel des Jahres» von Icomos Suisse ausgezeichneten Betriebs erfolgte während der letzten zwei Jahre. Rund 5 Millionen Franken hat Familie Wehrli in die Renovation des Hirschen-Ensembles und den Ausbau des Gastbetriebes inklusive sechs zusätzlicher Zimmer investiert (siehe GJ17). «Finanziert haben wir den Um- und Ausbau grösstenteils selbst sowie mit Unterstützung verschiedener Stiftungen und der Kantonalen Denkmalpflege», erzählt Fritz Wehrli. Zu letzterer hat der studierte Wirtschaftshistoriker, der eigentlich lieber auf die Hotelfachschule gegangen wäre, einen guten Draht. «Als wir damals die Mühle Tiefenbrunnen und später den Hirschen freiwillig unter kantonalen Denkmalschutz gestellt haben, da haben viele gesagt: Ihr spinnt doch!», erinnert er sich. Aber der Denkmalschutz könne gerade für einen gastgewerblichen Betrieb durchaus eine Chance sein. «Das sehen wir auch bei rund der Hälfte unserer Bäckereien, die sich ebenfalls in historischen Gebäuden befinden. Denn man kann auch davon profitieren, dass ein Gastronomiebetrieb nicht nur Hülle, sondern auch Denkmal ist.» Viele Gäste kämen gerade wegen dieses speziellen Charmes zu ihnen. «Und wir hatten beispielsweise nach dem Gewinn des Icomos-Preises rund 25 Prozent mehr Gäste.» Ein Erfolg, von dem sich Fritz Wehrli aber nicht blenden lässt. «Ein Betrieb auf dem Land, wie der Hirschen einer ist, funktioniert langfristig nicht dank der Gäste, die von auswärts kommen, sondern dank der Dorfbevölkerung, dem nahen Umfeld.» Denn wenn diese nicht in den Betrieb kommen, habe man verloren. Hier brauche es noch einen Stammtisch, dessen Runde seine fami- liären Festivitäten ebenfalls im Stammbetrieb feiert. Hier brauche es die Vereine, die nach dem Training, nach der Probe vorbeikommen. Dafür müsse man aber auch etwas geben. «Wir haben beispielsweise rund 90 Prozent unserer Umbau-Aufträge an das lokale und regionale Gewerbe vergeben. Und am Ende braucht es auf dem Land auch adäquate Preise», betont Wehrli. Preise, für die sie in Zürich belächelt würden. «Es ist nun mal ein Wandeln zwischen den zwei Welten Stadt und Land.» Beide hätten ihre Chance, aber auch ihre Herausforderungen und in beiden sei eines einfach ganz zentral: «Die Gastfreundlichkeit muss da sein. Das ist die Basis eines jeden Geschäfts. Egal wo!» Wichtig sei zudem kontinuierliches Investieren: «Wir müssen heute genauso aktuell sein wie vor 30 Jahren, aber nicht so daherkommen. Denn wer in der Zeit stehengeblieben ist, hat ein richtiges Problem – gerade auf dem Land.» Und in der Stadt? In den zwei Zürcher Betrieben, dem Kornsilo und der Blauen Ente, sei wiederum die Herausforderung, dass sie sich in einem extremen Konkurrenz­umfeld befänden. «Man darf in Zürich niemanden fragen, wie es ihm geht, wenn er etwas gerade eröffnet hat, denn ziemlich sicher wird er ‹gut› sagen.» Eine solche Frage dürfe man erst nach zwei Jahren stellen, und wenn der Laden dann laufe, habe man es geschafft. Eine weitere Herausforderung sei die starke Gäste-Fluktuation trotz Stammgästen. Auch die Entwicklung, dass in den letzten 30 Jahren der Pro-Kopf-Umsatz tiefer geworden, während die Anzahl der Gäste gestiegen ist, fordere heraus. «Dennoch sind wir heute mit all unseren gastgewerblichen Betrieben solide aufgestellt und schreiben betriebswirtschaftlich schwarze Zahlen.» Und weitere Betriebe dazu nehmen, reize ihn das noch? «Ja, schon», erst letzthin habe eine Dorfbeiz in der Nähe des Hirschen seine Türen geschlossen: «Aber ehrlich gesagt, um den zu übernehmen, dafür fehlen uns zurzeit schlicht die Kapazitäten. Und wenn wir was machen, dann richtig», betont Fritz Wehrli. www.hirschenstammheim.ch