Hotellerie

Bleiben, um weiterzukommen

Christine Bachmann – 02. Juni 2017
Er ist weltoffen, interessiert und stets für seine ­Gäste und sein Team da: Jérémie Varry.

Hochbetrieb. Das Baur au Lac in Zürich gleicht einem Bienenhaus. Gäste kommen und gehen. Da die Übersicht zu behalten, um jedem einzelnen Gast seine Wünsche zu erahnen und zu erfüllen, das ist eine herausfordernde Aufgabe – diejenige des Chef Concierges und seines Teams. «Ein Traumberuf», wie Jérémie Varry für sich heute sagen kann, auch wenn es in seinem Leben ganz anders hätte kommen können. Denn der erste Berufswunsch des in Mont bei Chantilly aufgewachsenen Varry war Jockey. «Tatsächlich?», entlockt sein Wunsch wohl jedem ein Lächeln, der den grossen stattlichen Franzosen das erste Mal sieht. «Ja, aber die Grösse hat mir dann einen Strich durch die Rechnung gemacht», meint er lachend. Auch aus der zweiten Berufswahl «zur Luftwaffe» wurde nichts, denn als es an die Rekrutierung ging, hatte er einen Motorradunfall und hätte infolgedessen nur noch im Büro arbeiten können. «Nichts für mich», entschied Jérémie, «aber was tun»?

«Es braucht die Fähigkeit, sich zu adaptieren»
Ein Onkel holte den damals 16-Jährigen nach Paris, wo er während der Sommerferien in einem vietnamesischen Lokal jobbte. «Hier kam ich das erste Mal in Berührung mit dem Gastgewerbe und war sofort angetan.» So sehr, dass er im Anschluss die Hotelfachschule absolvierte. Danach folgten diverse Praktika in Brüssel und Frankreich. «Und irgendwie bin ich während dieser Zeit einmal als Nachtconcierge eingesprungen und es war ein ‹coup de foudre› für mich.» Die Konsequenz: Varry absolvierte in Paris auch noch die Concierge-Schule. In die Schweiz kam er 1998, nachdem ihn im Ritz Paris der dortige Concierge auf eine Stelle im Baur au Lac in Zürich aufmerksam machte. Was er allerdings damals nicht realisiert hatte: «Dort spricht man ja Deutsch», er schmunzelt. Die ersten sechs Monate waren dann, wen wunderts, hart für den jungen Mann. «Doch der damalige Direktor Michel Rey nahm mich unter seine Fittiche und war wie ein Vater zu mir. Das war eine sehr lehrreiche, schöne, aber auch ab und an spannungsgeladene Zeit», erinnert er sich dankbar. Was macht eigentlich einen guten Concierge aus? «Es ist sehr wichtig, dass man offen ist, denn man lernt Gäste aus der ganzen Welt kennen.» Es brauche zudem die Fähigkeit, sich zu adaptieren. «Wir müssen die Wünsche unserer Gäste lesen können – und wir sind ständig am Probleme lösen», erzählt er, um im gleichen Zug weiter auszuführen, «für mich gibt es keine Probleme, nur Lösungen». In all den Jahren habe er es nicht einmal bereut, Concierge zu sein. Denn kein Tag sei langweilig gewesen. Ob das unter anderem der Grund sei, dass er schon seit 19 Jahren im Baur au Lac ist? «Ja, unter anderem, aber auch weil man als Concierge in einem Betrieb bleiben muss, um sich weiterzuentwickeln, während beispielsweise Köche den Betrieb verlassen müssen.»
«Für mich gibt es keine Probleme, nur Lösungen»
Man müsse so vieles wissen, sei das über den Betrieb, aber auch das Umfeld, in welches dieser eingebettet sei, und das schaffe man nicht in zwei, drei Jahren. Wissen und die richtigen Kontakte nutzen zu können, das sind unter anderem die Schlüssel eines Concierge- Daseins. Betreffend Kontakte kann Jérémie Varry stets auf seine Concierge-Kollegen in der Schweiz zählen, mit denen er über das Netzwerk «Les Clefs d’Or» verbunden ist. Bei dieser Vereinigung ist er übrigens seit 2007 Mitglied und seit zwei Jahren Präsident des Zürcher Vereins sowie Vizepräsident des nationalen Vereins. An seiner Arbeitsstätte, dem Baur au Lac, gefalle ihm zudem, dass es ein sehr familiär geprägtes Haus ist. «Wir haben hier einen Direktor, der jeden Tag bei den Mitarbeitenden ist und uns motiviert.» Hinzu komme, «dass wir wie eine kleine Familie sind. Jeder ist für jeden da, wir unterstützen uns gegenseitig und das ist einfach ein wunderbares Teamwork.» Und auch die enge Bindung zu den Gästen, von denen er meist mehrere Generationen kennt, schätzt er sehr. «Wir wissen unglaublich viel voneinander, ohne je auf einen Drink gewesen zu sein. Man ist als Concierge im Leben der Leute drin.»
«Es ist sehr wichtig, Freundschaften zu pflegen»
Diese Stammgäste wissen dann unter anderem auch, dass Varry neben seinem Beruf auch noch glücklich mit einer Norwegerin verheiratet ist und zwei wunderbare Töchter hat, die trilingual aufwachsen. «Und das ist so toll», wie er freudig betont. «Heute kann ich sagen, ich habe nicht nur meinen Traumberuf, sondern auch mein ganz privates Glück gefunden.»