Tourismus

Lebensnerv zwischen Himmel und Erde

Fabrice Müller – 31. Oktober 2019
Ob Luft- oder Standseilbahn – für manche Gastronomiebetriebe sind sie ein unverzichtbarer Lebensnerv: drei Restaurants mit eigenem Bergbahnanschluss und grossen Herausforderungen.

Halb sechs Uhr morgens: Peter Koller richtet die Gartenterrasse her. Bänke und Tische aufstellen, Sonnenschirme platzieren, den Grill einrichten. Halb acht: Die Seilbahn wird kontrolliert und in Betrieb genommen. Acht Uhr: Die ersten Frühstücksgäste kommen. Der Chef hilft mit in der Küche und beim Service, später beim Abwasch. Anschliessend gilt es, das Mittagessen vorzubereiten und die Würste für den Grill vorzuwärmen. Halb zwölf: Die ersten 30 Würste landen auf dem Grill. Bis Viertel nach zwei steht Peter Koller mit der Grillzange im Einsatz. Dann braucht es ihn bei der Seilbahn. Es herrscht Grossandrang. Viele Gäste wollen mit dem Trottinett zur Talstation fahren. Zeit für eine Pause bleibt nicht. Um 19 Uhr dann schleppt sich eine Seniorenwandergruppe mit letzter Kraft ins Bergrestaurant. Viertel nach zwölf: Peter Koller kontrolliert und repariert bei Bedarf die Trottinetts. Gewinner der «Tourismusperle Schweiz»
Peter Koller ist ein Chrampfer durch und durch, aber keiner, der sich gerne ins Rampenlicht stellt. 1993 übernahm er das Bergrestaurant Gamplüt in Wildhaus SG – samt Seilbahn sowie Ski- und Schlittelpisten. Vorher stand das Restaurant vier Jahre leer. «Alle rieten mir von diesem Schritt ab und traute mir nicht zu, dass ich das schaffen würde», erinnert sich der 70-jährige, der in Wildhaus und Alt St. Johann zusätzlich drei Autogaragen betreibt; mittlerweile gehören auch das Hotel Panorama Gamplüt Zentrum zum Unternehmen von Lina (63) und Peter Koller. Die Übernahme des Berggasthauses Gamplüt war für Peter Koller eine Herzensangelegenheit. Anstatt auf Massentourismus mit Tagesbetrieb setzt der Gewinner der «Tourismusperle Schweiz» 2016 auf Öffnungszeiten bis spät abends, auf Gruppenangebote für Geburtstage und Hochzeiten beispielsweise mit Fondue- oder Raclette-Abenden sowie auf sonntägliche Volksmusikkonzerte. Logistik per Solar-Seilbahn
Wer hinauf auf den Gamplüt will, fährt mit der ersten Wind- und Solarseilbahn der Welt auf 1400 Meter über Meer. Sie ist der Lebensnerv für den Betrieb. Bläst der Wind zu stark, werden die Gäste mit einem kleinen Bus ins Restaurant oder hinunter zur Talstation gefahren. In den warmen Monaten bringen einzelne Lieferanten ihre Waren per Lastwagen hoch zum Gamplüt. Andere wie der Bäcker oder Metzger nutzen dazu die Seilbahn. Gelagert werden die Lebensmittel zum einen in den grossen Lager- und Kühlräumen des Hotels in Dorf, zum andern in den Kühlräumen des Bergrestaurants. Seit 2008 wird jede energetisch verwendbare Quadratmeter Fläche, den das Bergrestaurant sowie das Hotel im Dorfkern von Wildhaus bieten, für Solarkollektoren und Photovoltaik genutzt. Dadurch sichert sich der Betrieb, der 2017 mit dem Schweizer Solarpreis ausgezeichnet wurde, die gewonnene Wärmeenergie für den Brauchwasser- und Heizbedarf sowie für den gesamten Stromverbrauch mit 53 kWh. Der Unterhalt der Seilbahn ist aufwendig und teuer. Der gelernte Automechaniker, der sich auf dem Gebiet des Seilbahnunterhalts weiterbildete, führt die gängigen Reparaturaufgaben an der Bergbahn selber aus. Hinzu kommt im Winter die Präparation der Ski-, Langlauf- und Schlittelpisten. Erste Bergbahn im Kanton Graubünden
Vor 120 Jahren, am 25. Dezember 1899, wurde die Schatzalpbahn zwischen Davos GR Zentrum und dem ehemaligen Luxus-Sanatorium auf 1861 Meter über Meer in Betrieb genommen - notabene als erste Bergbahn im Kanton Graubünden. Die Bahn und das Hotel bilden seitdem eine Einheit. «Ohne Bahn kein Hotel», unterstreicht Paulo Bernardo (38), seit acht Jahren Direktor der Schatzalp, die Bedeutung der Schatzalpbahn für das Hotel. Innerhalb von vier Minuten transportieren die beiden Drahtseilbahnen mit einem Fassungsvermögen von je 75 Personen im 15-Minuten-Takt während des Tages und ab 19 Uhr im Halbstundentakt Gäste, Gepäck und Waren hinauf zum Hotel oder hinunter ins Zentrum von Davos. Die Bahn ist zwischen acht Uhr morgens und Mitternacht bzw. im Winter gar bis zwei Uhr nachts in Betrieb. Besonders im Winter, wenn die Schlittelbahn geöffnet ist, arbeiten bis zu vier Personen gleichzeitig an der Bahn, wie Daniel Riedo (55), technischer Leiter, informiert. Die Bergstation der Schatzalpbahn ist unterirdisch direkt mit dem Hotel verbunden. Laut Paulo Bernardo wird ein Grossteil der Ware per Bahn hoch zum Hotel transportiert; davon ausgenommen sind im Sommer besonders schwere Waren, die dank einer Ausnahmegenehmigung per Lastwagen auf die Schatzalp gefahren werden dürfen. «Alle lagerfähigen Lebensmittel und Verbrauchsmaterialien werden bei uns vor dem Winter eingekellert», sagt Bernardo. Ein fester Bestandteil des Hotels
Für den Hoteldirektor bringt die Bahn vor allem Vorteile mit sich. Innerhalb von vier Minuten gelangen die Gäste vom Hotel ins Zentrum und zurück. Das Gepäck der Gäste wird an der Talstation entgegengenommen und direkt ins Zimmer gebracht. «Die Bahn ist ein fester Bestandteil des Hotels. Ohne Bahn kein Hotel, ohne Hotel keine Bahn», erklärt Paulo Bernardo. Natürlich sei die Bahn ein Kostenfaktor für das Hotel; dafür sorgten unter anderem die langen Betriebszeiten. «Als Hauptverbindung zwischen Hotel und Zentrum braucht es eine hohe Verfügbarkeit der Bahn. Für uns bringt dies eine genaue Überwachung der Infrastruktur mit sich», erläutert Daniel Riedo. Allfällige Reparaturen müssen nachts und in der Zwischensaison ausgeführt werden. Mehrkosten von 20 Prozent
Szenenwechsel: Die Gornergratbahn transportiert einmal pro Tag mit umgebauten Passagierwagen Lebensmittel und Getränke auf die Riffelalp VS, mit dabei rund 400 Liter Mineralwasser und zwei Tonnen Lebensmittel. Vom Bahnhof Riffelalp zum gleichnamigen Fünf-Sterne-Hotel auf 2222 Meter über Meer übernimmt im Winter die hoteleigene «Schneekatze» den Weitertransport auf dem Fussweg zum etwas höher gelegenen Hotel. Weil während der Bahnfahrt das Brot, Gemüse, die Getränke und anderen Lebensmittel im Winter gefrieren können und es im Sommer zu warm werden kann, werden spezielle Transportboxen verwendet, die je nach Jahreszeit kühlen oder wärmen. «Dadurch entstehen uns Mehrkosten von rund 20 Prozent. Diese können wir jedoch nicht hundertprozentig auf die Preise abwälzen, das würden die Gäste nicht akzeptieren. Wir müssen versuchen, diese Mehrkosten im Gesamtpaket unserer Angebote unterzubringen», erklärt Hoteldirektor Hans-Jörg Walther (55). Abgeschiedenheit als Marketing
Nicht nur die Waren, auch die Gäste müssen von Zermatt aus auf die Riffelalp befördert werden. Von der Station Riffelalp aus führt ein Verbindungsweg – der auch von Skifahrern genutzt wird – in etwa zehn Minuten zum Hotel, das sich mitten im Skigebiet von Zermatt befindet. Doch es geht auch motorisiert: Zur Fahrzeugflotte des Hotels gehören im Sommer das höchstgelegenste Tram Europas als Verbindung zwischen Gornergratbahn und Hotel und im Winter drei Elektro-Ski-Töffs, von denen zwei meist pausenlos im Einsatz stehen, unter anderem für den Gäste- und Gepäcktransport. In der Conciergerie des Hotels besorgen vier Angestellte auf Wunsch der Gäste Bestellungen des täglichen Bedarfs im Dorf, oder sie sammeln die Einkäufe der Gäste im Dorf ein und bringen sie auf die Hotelzimmer. Für Hans-Jörg Walther steht fest: «Die Abgeschiedenheit ist für uns das beste Marketing, das es gibt. Wer zu uns kommt, lebt meist in urbanen Zentren und verfügt über ein Jahreseinkommen von mindestens 200'000 Franken. Wir können unserem Gast hier etwas bieten, was er in der Stadt nicht findet: Ruhe.»