Tourismus

Im Gespräch mit Titlis-CEO Norbert Patt

von Peter Grunder – 10. Januar 2018
Norbert Patt ­leitet die Bergbahnen Engelberg-Trübsee- Titlis AG (BET): eines der wenigen Bergbahnunternehmen in der Schweiz, die im Ausflugs- und im Wintergeschäft nachhaltig erfolgreich sind. Im Gespräch mit GastroJournal spricht Patt über allgemeine und spezifische Erfolgsrezepte, über den Unsinn des aktuellen Preisdumpings und über die Notwendigkeit, kleinere Skigebiete unter Umständen auch mit öffentlichem Geld zu erhalten.

GastroJournal: Herr Patt, inwiefern sind Bergbahnen öffentliche Güter wie Schwimmbäder, Strassen oder Schulhäuser?
Norbert Patt:
Sie sind es weitgehend noch nicht und werden es hoffentlich auch nicht. Aber die Tendenz geht stark in diese Richtung, und das ist nicht nur unerfreulich wegen der Marktverzerrungen, die zulasten der wettbewerbsorientierten Unternehmen gehen. Wenn Bergbahnen öffentliche Güter werden, verhalten sie sich auch wie öffentliche Unternehmen, die sich nicht zuerst an den Kunden und am Markt orientieren, sondern an politischen Vorgaben. Welche Rolle hat die öffentliche Hand? Bezogen auf Bergbahnunternehmen, aber auch auf die Berggebiete überhaupt, soll die öffentliche Hand einerseits für gute infrastrukturelle Rahmenbedingungen sorgen – also für Verkehrs-, Energie- oder Kommunikationssysteme, wie sie in der Schweiz üblich sind. Andererseits soll die öffentliche Hand sich darum kümmern, dass der Markt spielen kann, und sie soll die Anliegen der Regionen aufnehmen und unterstützen. Vor Ort kennt man sich am besten aus, hat insgesamt ein Interesse an nachhaltigen Entwicklungen und muss letztlich auch die Konsequenzen des eigenen Handelns tragen. Deshalb halte ich es für falsch, etwa raumplanerische Regeln ohne Rücksicht auf regionale Bedürfnisse über die ganze Schweiz zu stülpen – bei Begehungen im Gelände komme ich mir manchmal vor, als seien wir ein Reservat. Der Staat sollte sich insofern mehr um volkswirtschaftliche als um raumplanerische Dinge kümmern.

"Bei Begehungen im Gelände komme ich mir manchmal vor, als seien wir ein Reservat."
Sie können zwischen Engelberg, Frutt und Meiringen ein Lied davon singen?
Wir müssen nicht einmal von uns sprechen: Es darf nicht sein, dass die Jungfraubahn ein gutes Projekt, das sie selber finanziert, fast nicht realisieren kann, während andernorts Bergbahnunternehmen massiv staatlich unterstützt werden. Waadt, Freiburg und Tessin haben ihre Bahnen letztlich verstaatlicht, Uri wiederum bürgt für Andermatt, das ohnehin ein unternehmerisches Abenteuer ist?
An diesen Entwicklungen kann niemand ein Interesse haben, denn die Bergbahnen müssen sich auf Dauer selber tragen können. Ich halte deshalb grundsätzlich auch nichts davon, wenn öffentliche Gelder aus der Neuen Regionalpolitik (NRP) in «grössere» Bergbahnen fliessen. Warum sind manche Bahnen, ob gross oder klein, erfolgreich – und so viele nachhaltig erfolglos?
Was unsere Bergbahnunternehmung betrifft, profitieren wir von guten Rahmenbedingungen: die Erschliessung – die Landschaft, die Organisation vom Kanton bis zur Tourismusorganisation. Was uns ebenfalls zugutekommt, ist die Lage: Wir haben einen tollen Berg und sind von den Zentren aus gut zu erreichen. Das sind wesentliche Erfolgsfaktoren. Dazu kommt, dass man strategisch gut arbeitet, das Beste aus seinem Unternehmen zu machen versucht, sich positioniert, differenziert und in den richtigen Nischen darum bemüht, den Gästen einen Mehrwert zu geben. In diesem Sinn spielt die Grösse keine Rolle – es ist jedoch fraglich, ob wir zum Beispiel aus der Klewenalp mehr machen könnten, als es die Verantwortlichen dort tun. wir könnten es auch nicht besser machen, als sie es auf der Klewenalp machen.
"Auch grosse Unternehmen stehen mit dem Rücken zur Wand, wenn sie ihre Angebote in Lotterien verscherbeln."
Aber auf der Klewenalp und bei vielen anderen kleineren Unternehmen steht man nach einigen schlechten Wintern mit dem Rücken zur Wand?
Auch grosse Unternehmen stehen mit dem Rücken zur Wand, wenn sie ihre Angebote in Lotterien verscherbeln. Wir machen nicht dabei mit, den Gast über den Preis statt über das Produkt zu gewinnen, denn das ist einfach falsch. Aber mit Blick auf die Herausforderungen der kleinen Unternehmen stehen wir vor einem Dilemma. Denn während wir am Titlis auf die neue Saison hin allein für die Erneuerung der Beschneiungsanlagen rund acht Millionen Franken aus dem Cash Flow reinvestiert haben, können kleinere Unternehmen an so etwas nicht einmal denken. Gleichzeitig sind die Kleinen existenziell, und zwar auch für uns. Denn in all diesen kleinen Wintersportgebieten wachsen die Gäste für die grossen heran. Was ist zu tun?
Wir müssen diese Klein- und Kleinstgebiete zwingend erhalten, und dafür kann auch öffentliches Geld fliessen. Das ist volkswirtschaftlich sinnvoll und finanziell tragbar. Denn wenn wir uns die Beträge ansehen, um die es geht, kostet die Unterstützung vieler Kleiner weniger und bringt mehr als die marktverzerrende Strukturerhaltung einiger Grosser. Aber gut geführt müssen die Grossen und die Kleinen sein?
Natürlich, es braucht überall ein betriebswirtschaftliches Denken, das übrigens nicht beim EBITDA aufhört, sondern beim Gewinn. Und es braucht ein Denken vom Gast und nicht von den Kosten her. Damit haben wir Mühe, denn wir denken zu oft von den Kosten her und vergessen, dass der Gast und das Gesamtsystem den Mehrwert schaffen. Hier müssen wir uns lösen von Verlustangst und Sicherheitsdenken, die ähnlich wie ein Versicherter Risiko minimieren wollen. Stattdessen sollten wir mehr denken wie Versicherer, die Chancen maximieren.
"Es geht nicht ohne die Pisten und Wintersport, und das muss für die breite Masse attraktiv bleiben."
Welche Rolle spielt das Gastgewerbe am Berg?
Prioritär schafft der Transport die monetären Werte. Dennoch das Gastgewerbe ist für uns so zentral, dass wir es nicht auslagern wollen. Nach einer Phase, in der unsere gastgewerblichen Einheiten auf Vordermann gebracht wurden, haben wir unsere Strukturen nun angepasst. Dabei geht es darum, dass die Energien aus den einzelnen Betrieben kommen, aber im Gesamtinteresse des Unternehmens wirken. Weil nun die Interessen manchmal auseinandergehen, ist andererseits eine gute Gesprächs- und Unternehmenskultur unverzichtbar. Die Vertreter der unterschiedlichen Interessen müssen nicht nur miteinander sprechen, sondern auch Verständnis für die gegensätzlichen Interessen und Aufgaben aufbringen. Bahnen und Beizen beissen sich aber so, dass es kostet?
Ja, deshalb führen wir einen intensiven Kulturentwicklungsprozess und sprechen von Umwegrenditen. Weil wir lange Wertschöpfungsketten möchten, richten wir uns im Sinne des Gastes nach dem Gesamtinteresse aus und helfen als Gesamtunternehmen einzelnen Einheiten. Diese Hilfe gilt tendenziell dem Gastgewerbe, denn die Werte kommen wie gesagt vom Transport. Aber wir orientieren uns eben nicht zuerst an technischen Werten, wo Bahnen grundsätzlich stark sind, sondern an Werten, die der Gast schätzt – und da ist das Gastgewerbe stark. Allerdings liegt der Wintersport auf dem Sterbebett?
Ich bin felsenfest überzeugt, dass er eine grosse Zukunft hat. Er mag schrumpfen, aber die Attraktivität des Erlebnisses in den Bergen wird eher noch gewinnen. Deshalb kann es auch nicht darum gehen, diese Erlebnisse, die einen grossen Wert haben, einfach zu verscherbeln. Vielmehr müssen wir sie besser in Wert setzen, und das nicht nur im Winter, sondern das ganze Jahr über.
"Wenn wir uns die Beträge ansehen, um die es geht, kostet die Unterstützung vieler Kleiner weniger und bringt mehr als die marktverzerrende Strukturerhaltung einiger Grosser."
Also im Winter weiterhin die Flucht nach vorn?
Es geht nicht ohne die Pisten und Wintersport, und das muss für die breite Masse attraktiv bleiben. Skeptisch bin ich gegenüber der Vorstellung, wir könnten Gäste aus Fernmärkten auf die Pisten bringen. Die grossen Märkte reisen nicht im Winter, und die chinesischen Gäste werden auch nach den Olympischen Spielen in Peking keine Wintersportkultur haben. Apropos: Olympische Winterspiele in der Schweiz?
Das ist eine Riesenchance für den Tourismus und die ganze Schweiz. Mit einem nachhaltigen Projekt, wie es in Arbeit ist, können wir genau jene Werte in die Welt hinaustragen, welche die Schweiz zu einer solch starken Marke gemacht haben – und hinter dieser Marke Schweiz stehen auch wir als Titlisbahnen. Allerdings braucht es für ein so grosses Projekt ein starkes gemeinsames Bekenntnis – doch Gigantismus widerstrebt der schweizerischen Kultur eher.

Persönlich Der Betriebswirt und Betriebs­ingenieur Norbert Patt stammt aus Graubünden, leitete die Stätzerhornbahnen in Churwalden und dann die Fusion der Lenzerheide Bergbahnen. Seit 2010 ist der verheiratete Vater dreier Kinder CEO der Titlis Bergbahnen, Hotels & Gastronomie. Bis 350 Mitarbeitende erzielten hier zuletzt einen Betriebsertrag von knapp 70 Millionen Franken, 20 Prozent davon aus dem Gastgewerbe mit 5 Restaurants sowie dem Berghotel Trübsee, dem Hotel Terrace und dem Titlis Resort. Links:Titlis Bergbahnen, Hotels & Gastronomie