Tourismus

Gute Zahlen, schlechte Lage

Peter Grunder – 25. Juli 2018
Politik und Öffentlichkeit haben Mühe mit der Wahrnehmung von Gastgewerbe und Tourismus. Das verwundert nicht: Die Branche ist komplex, aber alle kennen sie. Schwer einzuordnen sind beispielsweise die scheinbar guten Beherbergungszahlen und die insgesamt desolate von Hotellerie und Gastronomie. Nachfolgend eine Art Orientierungshilfe.

Seit Jahrzehnten lädt GastroSuisse jeden Frühling zur Medienkonferenz: Mit rund 20 000 Mitgliedern, die in ihren Restaurants und Hotels landauf landab etwa 200 000 Menschen beschäftigen, informiert einer der grössten gewerblichen Verbände über die Lage der Branche. Eine Basis dieser Lage bildet jeweils der Branchenspiegel: ein Füllhorn an Informationen, zusammengetragen vom wirtschaftspolitischen Dienst von GastroSuisse und gespiesen sowohl von brancheneigenen Institutionen wie Gastroconsult als auch von externen wie dem Bundesamt für Statistik. Niemand kann also sagen, man wisse von nichts. Niemand dürfte sich also wundern, dass die touristischen Branchenverbände und die Arbeitsgemeinschaft für Berggebiete Alarm schlagen, obwohl die touristischen Frequenzen glänzen wie lange nicht mehr. Eine Zahl allein reicht, um auf dem harten Boden der Tatsachen aufzuschlagen: 65,4 Prozent. Diese Zahl bezeichnet den Prozentsatz jener Schweizer Restaurants und Hotels, die rote Zahlen schreiben, wenn sie ordentlich rechnen, also Unternehmerlöhne und eine Verzinsung des Eigenkapitals einkalkulieren.

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Jegliche Diskussionen um allfälliges Jammern oder Fordern seitens des Schweizer Gastgewerbes erübrigen sich eigentlich angesichts dieser Zahl:Zwei Drittel der Hotels und Restaurants in der Schweiz leben von der Substanz. Und das ist keineswegs etwas Neues, die Situation hat sich in den letzten Jahren sogar zugespitzt (vgl. Grafik unten). Für die Politik wie auch für die öffentliche Wahrnehmung ist ein solcher Zustand indes nicht zu fassen: Dass ein Grossteil der gastgewerblichen Unternehmer seit Jahr und Tag buchstäblich von der Hand in den Mund lebt, ist weder vereinbar mit positiven Beherbergungszahlen noch mit wunderbaren Kochsendungen. Auf Unverständnis stossen deshalb kritische Stimmen, wie sie zuletzt im Positionspapier der touristischen Verbände und den Thesen der Arbeitsgemeinschaft für Berggebiete laut wurden. Und dieses Unverständnis herrscht durchaus nicht nur in der breiten Öffentlichkeit, sondern auch in der Branche selbst. Das ist verständlich. Denn jenseits vom desolaten Durchschnitt der Betriebe gibt es Aberhunderte von Restaurants und Hotels, die ganz hervorragend arbeiten. Allerdings gilt es auch Verständnis zu entwickeln für die grundsätzlich kritische Haltung derer, welche die Interessen von Gastgewerbe und Tourismus vertreten: Denn wirtschafts- und staatspolitisch verheerend wirkt die schiefe öffentliche Wahrnehmung zusammen mit dem Hüst und Hott der Tourismuspolitik und der Ignoranz in Bundesbern. Gastgewerbe und Tourismus sind keine Randerscheinungen, sondern wirtschaftlich und politisch zentral: Es geht um Branchen, die Arbeiten jeglicher beruflichen Qualifikation bieten, die als soziale Orte eine herausragende gesellschaftliche Funktion haben und die in den Berggebieten wirtschaftlich unverzichtbar sind.

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Doch eben weil Gastgewerbe und Tourismus keine Randerscheinungen sind, tun sich Politik und Öffentlichkeit schwer damit: Die Politik tendiert dazu, die Branche sich selbst zu überlassen – sie kann ja nicht zwei Dritteln der Unternehmen unter die Arme greifen, zumal die Branche das auch gar nicht will. Die Folge ist eine Auseinandersetzung darüber, inwiefern Förderung angebracht ist – eine schwierige Auseinandersetzung, weil die Fragestellung komplex ist, viele wenig davon verstehen und überdies ein harter politischer Verteilungskampf herrscht, in dem die kleinstrukturierte Branche schlechte Karten hat. Die Öffentlichkeit wiederum wundert sich, versteht weitgehend nichts und zieht sich folgerichtig auf den einfachsten Standpunkt zurück: den des Gastes.

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