Tourismus

Geringschätzung von Tourismus

Peter Grunder – 21. September 2017
Die Schweizer Tourismusstatistik ist ein ­Armutszeugnis für die Eidgenossenschaft und für die Tourismusbranche – und international einfach nur peinlich.

Jeder Kleinbetrieb erfasst aus Eigeninteresse oder unter staatlichem Zwang massenhaft Daten zu seinem Geschäftsgang – und wehe, sie stimmen nicht. In der Milliardenbranche des Schweizer Tourismus jedoch, von der ganze Bergtäler ­leben, fehlen grundlegende Zahlen, diese sind mangelhaft aufbereitet oder einfach falsch. Wer hierzulande überhaupt ein Bewusstsein dafür hat, wie wichtig auch im Tourismus Branchendaten zum Geschäftsgang sind, wundert sich seit 2003: Im Zuge einer seiner zahllosen Sparübungen fuhr der Bund damals die Beherbergungsstatistik auf jenes absolute Minimum herunter, welches im Rahmen internationaler Verpflichtungen nötig war. Seit 1934 war das Erheben der Übernachtungszahlen eine selbstverständliche hoheitliche Auf­gabe ­gewesen. Und plötzlich standen Hotellerie und Parahotellerie ohne Zahlen zu den Frequenzen da. In der Folge machten namentlich die Branchenverbände Druck. Unter Federführung des Schweizer Tourismus-Verbandes entstand ab 2004 eine neue, öffentlich-private Beherbergungsstatistik, publiziert vom Bundesamt für Statistik (BFS). Die Zahlen erfassten allerdings einerseits nur die Hotellerie, andererseits Jugendherbergen und Campingplätze. Was jedoch Übernachtungen in Ferienwohnungen und Gruppenunterkünften betraf, kam ab 2004 nichts mehr – ausser Durchhalte­parolen und leeren Versprechen. Bis 2016 nach wiederholten Versuchen und Testläufen die neue ­Parahotelleriestatistik anrollte. Als das BFS die ersten Zahlen publizierte, gab es freilich bei den wenigen, die sich überhaupt dafür interessieren, erneut reichlich Grund zur Verwunderung: Im Vergleich mit den Frequenzen früherer Jahrzehnte, aber auch im Vergleich mit hoheitlichen Tourismusstatistiken etwa in Österreich, hatte sich die Nachfrage schlichtweg halbiert. 2003 hatte die letzte Parahotelleriestatistik 32,9 Millionen Übernachtungen aus­gewiesen, 2016 waren es noch knapp 14,9 Millionen (vgl. Grafik). tourismus Die Grafik zeigt die Entwicklungen der Parahotellerie seit den 1970er Jahren: ihre enorme Bedeutung, ihr Verschwinden aus der Statistik 2003 und ihre merkwürdige Rückkehr 2016. Um die Grafik zu vergrössern, klicken Sie auf diese.
Die breite Öffentlichkeit nahm diese Irritation angesichts der massiven Strukturkrise im Schweizer Tourismus nicht wahr. Die Branche intervenierte diskret, aber entschieden – und auf Anfrage von Unverbesserlichen wie dem GastroJournal wand sich das BFS in methodischen Begründungen. Diese Begründungen sind inzwischen aktenkundig: «Die Kategorien und Definitionen der beobachteten Einheiten sind nicht dieselben», liess das BFS die Tourismusbranche wissen, «die Definition der berücksichtigten Ferienwohnungen in der neuen Statistik ist eingrenzender». Bei näherer Betrachtung erscheint die neue Statistik zwar methodisch durchaus sauber. Aber einerseits kann es nicht angehen, dass die einschneidende Veränderung nicht kommuniziert wird. Hier ist immerhin Besserung in Sicht, künftig sollte das BFS klarmachen, dass nur Teilmengen in der Statistik auftauchen. Aber da ist noch ein weiterer Mangel, über den man lachen könnte, wäre er nicht so ärgerlich, peinlich und mühsam: Die Daten der Hotellerie und der Parahotellerie erscheinen nämlich nicht parallel. Bundesamt für Beherbergungsstatistikstatistik:

Seldwyla in Bern
In der langen Tragik-Komödie um die Schweizer Tourismusstatistik hat zuletzt auch der Kanton Bern eine tolle Rolle übernommen: Er hat das Bundesamt für Statistik nämlich gebeten, bei den touristischen Statistiken das Berner Oberland nicht mehr separat auszuweisen. Weil das Oberland im Gegensatz zu den anderen Kantonsteilen ein ausgesprochenes Tourismusgebiet ist, erscheint das Vermengen sachlich unverständlich. Entsprechend wundern sich fachkundige Touristiker wie auch das BFS. Allerdings ist das Bundesamt Auftragnehmer und muss mithin auch Unsinn mitmachen. Gastro­Journal wird das Berner Oberland indes im Sinn der Branche auch weiterhin ausweisen.