Genf will die Touristenherzen erobern

Reto E. Wild – 04. November 2021
Die zweitgrösste Schweizer Stadt fokussierte in den letzten Jahren vor allem auf Geschäftsreisende, die in Fünfsternehotels übernachten. Doch die Pandemie zeigte auf, wie verletzlich diese Strategie ist. Nun setzt Genf verstärkt auf eine Wandlung von der Business- zur Freizeitstadt.

Genf ist bekannt als Banken- und Uhrenstadt, als Zuhause internationaler Organisationen und Veranstaltungsort von Kongressen. Doch die Pandemie hat das Klumpenrisiko dieser Ausrichtung aufgezeigt. Der Kanton und die Stadt Genf haben allerdings bereits zuvor grosse Projekte im Kultur- und Freizeitbereich wie auch die Weiterentwicklung von Quartieren gefördert, um den Transformationsprozess von einer reinen Business-Stadt in eine Freizeitdestination zu unterstützen.

Adrien Genier, Direktor von Genève Tourisme, erklärt: «Wir haben schon vor zehn Jahren erkannt, dass es gefährlich ist, sich nur als Business-Stadt zu vermarkten und investierten entsprechend. Genf wird nun zum Kulturmekka!» So steckte die Calvin-Stadt Hunderte von Millionen Franken in die Kulturszene. Die kürzlich eröffnete Nouvelle Comédie de Genève, ein rund 100 Millionen Franken teures Gebäude mit einem neuen Restaurant, ist das leuchtendste Beispiel für einen veritablen Kulturboom, der am westlichen Ende der Schweiz eingeleitet wurde. Im 30 Millionen Franken teuren Pavillon de la Danse aus Holz wird zeitgenössischer Tanz gezeigt, und weitere 44 Millionen Franken kostet das Théâtre de Carouge, das nächstes Jahr offiziell eröffnet wird. Mit der Cité de la Musique, einer Initiative eines Rechtsanwalts, soll das KKL von Genf entstehen. Das Projekt wurde allerdings an der Urne bachab geschickt. Doch die Stadt könnte vom Kanton überstimmt werden.

Die Umwandlung zur Freizeitstadt zeigt sich auch ausserhalb der Kultur: Am Seebecken sind mit dem Plage des Eaux-Vives und am Quai de Cologny mit dem «Cercle» - einem grossen Kreis aus Holz als Liegefläche – neue Bademöglichkeiten entstanden. Mit über 160 verschiedenen Weltküchen zeigt sich die Gastronomie in der nach dem Wallis und der Waadt drittwichtigsten Weinbauregion der Schweiz enorm vielfältig. Und erstmals lancierte die Stadt vom 1. Juli bis zum 31. August die Marketingaktion «Geneva The Resort City» mit über 100 Aktivitäten wie Kajaken auf der Rhone, einer Gin-Verkostung oder Schokoladentouren. Da passt es bestens dazu, dass Genf zusammen mit Den Haag, Ottawa und Prag Gründungsmitglied der «Hybrid City Alliance» ist.

Eine Transformation erlebt Genf schliesslich auch beim aktuellen Gästeaufkommen: Von Januar bis August 2021 war der Heimmarkt mit 336 260 Übernachtungen (plus 32 Prozent gegenüber der vergleichbaren Vorjahresperiode) und einem Anteil von 43 Prozent wichtigster Quellmarkt, gefolgt von Frankreich (14 Prozent Anteil, plus 9 Prozent) und den traditionell starken Golfstaaten (7,5 Prozent, plus 73 Prozent!). Doch insgesamt fehlen den Genfern 450 000 Übernachtungen, was einem Minus von 20 Prozent entspricht. Grund: Grossunternehmen buchen weniger, es finden kleinere Kongresse und Reisen mit geringeren Delegationen statt, was Genf in seiner Strategie hin zur Freizeitstadt bestätigt.

Mit dem Citizen M in der Stadtmitte (144 Zimmer) und dem Meininger (104 Zimmer, Doppelzimmer ab 75 Franken) gibt es in Genf inzwischen auch neue Alternativen zu den 14 Fünfsternehotels mit insgesamt 1200 Zimmern. Und zwei weitere aktuelle Gründe für eine Reise in den Westen der Schweiz: Am 6. November startet das 27. Geneva International Film Festival, am 18. November der Weihnachtsmarkt. Dort finden sich am Seeufer über 30 Gastronomen und ein Fonduechalet ein, das bis zum 26. Dezember 2021 stehen wird.