Tourismus

Fairien und Tortourismus

Peter Grunder – 09. Oktober 2018
Der Tourismus hat sich in der letzten Generation zu einer der weltweit wichtigsten Dienstleistungsbranchen entwickelt – und ein Ende ist nicht abzusehen. Doch die Reaktion auf die starke Entwicklung ist weniger Freude über die wachsenden Möglichkeiten der Menschen, zu reisen und Freizeit an fremden Orten zu geniessen. Vielmehr dominieren in den Massenmedien, in Kulturkreisen und in der Politik zunehmend schrille Klagen über ein Zuviel an Tourismus. Die Welt-Tourismus-Organisation UNWTO reagiert pragmatisch: mit einem Katalog von Steuerungsmassnahmen.

Als im traditionsreichen Berghotel Hahnenmoospass vor ein paar Jahren Investitionen anstanden, erfanden Bernhard und Marianne Spori den grandios gelegenen Betrieb mitten im Pistengebiet zwischen Adelboden und der Lenk radikal neu (GJ45/2010, nachzulesen bei gastrojournal.ch). Sie wollten, dass sich der Gast wohlfühlt und schnell etwas Gutes bekommt. Betrieblich orientierten sie sich in der Folge an der Verkehrsgastronomie und daran, was sie an manchen Tagen verloren: Die Kapazitäten verdoppelten sich praktisch, während der Aufwand sank. Strategie und Vorgehen auf dem Hahnenmoos können für den Tourismus weltweit gelten: Die unglaubliche Produktivität der Wirtschaft ermöglicht es immer mehr Menschen, als Touristen unterwegs zu sein. Während betroffene Betriebe wie das Berghotel Hahnenmoospass diese Entwicklung begleiten und sich zeitgemäss aufstellen, schläft die Gesellschaft insgesamt den Schlaf der Ungerechten. Um «Overtourismus» wird zwar heftig gestritten, aber die Auseinandersetzung erscheint insgesamt oberflächlich. Dabei besteht vorab auf staatlichen und regionalen Ebenen dringender Handlungsbedarf. Das sieht auch die Welt-Tourismus-Organisation UNWTO so, und sie hat im September Strategien mit konkreten Massnahmen publiziert. Nachfolgend die Übersetzung von GastroJournal – aus dem Englischen und auf Schweizer Verhältnisse zugeschnitten: Strategie 1

Gäste besser verteilen
  • Mehr Veranstaltungen in weniger frequentierten Gebieten
  • Mehr Attraktionen in weniger frequentierten Gebieten
  • Kapazitäten und Aufenthaltsdauer bei Attraktionen optimieren
  • Dachmarken und Erscheinungsbilder erweitern und optimieren
  • Gästekarten für den lokalen ÖV einsetzen
  • Grössere Gebiete bei den Gästen als Destination positionieren
Strategie 2
Aufenthaltsdauer besser verteilen
  • Erlebnisqualität ausserhalb der Saisons fördern
  • Yielden, also Preise flexibilisieren
  • Veranstaltungen ausserhalb der Saisons fördern
  • Zeitfenster für besonders attraktive Ziele zuteilen Technologien nutzen, um die Verteilung zu fördern
Strategie 3
Neue Gästerouten und Attraktionen fördern
  • Neue Gästerouten der ganzen Servicekette entlang und bei allen Kontaktstellen propagieren
  • Preisermässigungen für die neuen Routen und Attraktionen einsetzen
  • Geheimtipps propagieren
  • Nischenmärkte bearbeiten und dynamische Angebote schaffen
  • Geführte Touren in weniger frequentierte Gegenden forcieren
  • Virtuelle Angebote für hoch frequentierte Attraktionen schaffen
Strategie 4
Regulierungen prüfen und nutzen
  • Öffnungszeiten überprüfen Gruppengrössen für besondere Attraktionen überprüfen
  • Verkehr an hoch frequentierten Orten überprüfen
  • Periphere Parkmöglichkeiten fördern
  • Haltestellen für Touristenbusse optimieren
  • Fussgängerzonen forcieren
  • Regulierung und Besteuerung neuer touristischer Plattformen und Dienstleistungen überprüfen
  • Regulierung und Besteuerung der Hotellerie und anderer Beherbergungsformen
  • Kapazitätsgrenzen für Destinationsräume und Attraktionen festsetzen
  • Anbieterlizenzen zur besseren Steuerung des Angebots ins Auge fassen
  • Touristische Zugangsbeschränkungen für bestimmte Gebiete, Attraktionen und Aktivitäten ins Auge fassen
Strategie 5
Gästesegmentierung verbessern
  • Verträgliche Gästesegmente identifizieren und anvisieren
  • Stammgäste anstreben
  • Unverträgliche Gästesegmente abschrecken
Strategie 6
Lokalen touristischen Nutzen sicherstellen
  • Touristische Beschäftigungsmöglichkeiten in vernünftigen Jobs erhöhen
  • Positive Effekte des Tourismus herausstreichen und das Tourismusbewusstsein der Bevölkerung fördern
  • Lokale Bevölkerung an den touristischen Entwicklungen beteiligen
  • Nachfragepotenzial der Bevölkerung mit demjenigen der Gäste abgleichen und so die Wertschöpfungskette optimieren
  • Qualität der öffentlichen Infrastrukturen und Dienstleistungen für Gastgeber und Gäste erhöhen
  • Tourismus zur Belebung der Nachbarschaften nutzen
Strategie 7
Erlebnisqualität für Gäste und Bevölkerung bieten
  • Räume auf die lokale Bevölkerung ausrichten und Touristen als temporäre Gäste wahrnehmen
  • Touristische Erlebnisse und Produkte entwickeln, die auch bei der Bevölkerung ankommen
  • Touristische Einrichtungen für lokale Bedürfnisse und Aktivitäten nutzen
  • Lokale Botschafter gewinnen
  • Kulturelle und künstlerische Aktivitäten fördern, um Gästen und Gastgebern neue Perspektiven zu bieten und wenig frequentierte Räume zu nutzen
  • Öffnungszeiten von Besucher­attraktionen ausweiten
Strategie 8
Öffentliche Infrastrukturen und Möglichkeiten verbessern
  • Nachhaltige regionale Verkehrs­planung sicherstellen
  • Haupt- und Ausweichstrecken für Frequenzenspitzen vorsehen
  • Kulturelle Infrastrukturen verbessern
  • Leitsysteme optimieren
  • Öffentlichen Verkehr mit touristischen Bedürfnissen abgleichen
  • Spezielle Transportkapazitäten für Frequenzspitzen sicherstellen
  • Taugliche öffentliche Einrichtungen anbieten
  • Sichere Velowege und taugliche Verleihsysteme forcieren
  • Sichere und attraktive Fusswege anbieten
  • Wege und Zugänge für körperlich Beeinträchtigte sicherstellen
  • Kulturelles Erbe und Attraktionen pflegen
  • Reinigung und Unterhalt auch an Frequenzspitzen ausrichten
Strategie 9
Lokale Interessengruppen einbinden
  • Regelmässig aktive Organe für alle Interessengruppen schaffen
  • Professionelle Entwicklungs­programme entwickeln und breit auflegen
  • Lokale Austausch- und Diskussionsplattformen schaffen
  • Bedürfnisse und Befindlichkeit der Bevölkerung und der Interessengruppen regelmässig abklären
  • Neue Technologien für die Einbindung und Abklärung lokaler Interessen nutzen
  • Bewusstsein für eigenes Verhalten thematisieren
  • Oppositionelle Kräfte anerkennen und einbinden
Strategie 10
Gäste einbinden
  • Bewusstsein für Gästeverhalten bei den Gästen thematisieren
  • Gäste über die lokalen Werte, Traditionen und Regulierungen informieren
  • Gäste umfassend über relevante Infrastrukturen und Systeme informieren
Strategie 11
Steuerungs- und Austauschmechanismen nutzen
  • Daten über alle relevanten Bereiche aufbereiten
  • Neue Technologien prüfen und anwenden, um Datenmenge und -qualität zu verbessern
  • Regulierungen für Spitzenfrequenzen und Notfälle vorsehen