Tourismus

Es tut weh, mit etwas aufzuhören

Peter Grunder – 27. April 2017
Das Saanenland könnte Wege aus der Krise des alpinen Tourismus weisen.

«Was weitsichtig gewesen ist, weiss man oft erst im Nachhinein», sagt Toni von Grünigen, Meisterlandwirt im Turbach ob Gstaad und Gemeindepräsident von Saanen – zu dem auch Saanenmöser, Schönried oder Abländschen gehören. Es tue weh, mit etwas aufzuhören, das ältere Generationen aufgebaut hätten. «Sollen wir diejenigen sein, die wieder abbauen?» Von Grünigen spricht zwar vorab von den Bergbahnen, die seit Jahren am Tropf der öffentlichen Hand hängen. Das Saanenland hatte ab den 1990er Jahren als eine der ersten Schweizer Tourismusregionen sowohl eine moderne Destination geschaffen wie auch eine integrierte Bergbahn­unternehmung. Weil das Zusammengehen jedoch schon damals bitter war, versüsste man es vorab mit Bestandesgarantien und dem Geld der Gemeinde Saanen – sie ist dank unermesslich reicher und diskreter Dauergäste eine schillernde Regel von der Ausnahme bettelarmer Tourismusorte. Inzwischen sichert aber auch persönliches finanzielles Engagement von Mäzenen den massiv überdehnten und insgesamt hoch defizitären Bahnbetrieb. Damit scheint der Krug jedoch zu brechen, der so lange zum Brunnen gegangen ist: Das sei «nicht mehr finanzierbar», sagt von Grünigen. Zwar seien die Bahnen eine Art Service public, den man den Gästen schuldig sei. Aber diesen Service zu gewährleisten, sei nicht Sache einer Bergbahn, sondern eine öffentliche Angelegenheit. Insofern werde es wohl auf Leistungsvereinbarungen hinauslaufen, denn so sei fürs Stimmvolk wie für die Bahnen klar, worauf man sich einlasse und was das koste. «Wenn wir es schaffen, uns Leitplanken zu geben, dann können wir zuversichtlich sein», meint von Grünigen – und spricht dabei nicht nur von den Bahnen. Das Saanenland, wo samt Lauenen und Gsteig knapp 10 000 Menschen leben, steht stellvertretend für den tourismus­abhängigen Alpenbogen – und für dessen Krise. «Es hat 5 vor 12 geschlagen!», alarmierte letzten Sommer holprig der Schweizer Tourismus-Verband in einem Positionspapier. «Eine breite gesellschaftliche Diskussion über die Zukunft des alpinen Tourismus muss aufgegriffen und konkrete Massnahmen ergriffen werden.» In der Luft hängen nicht nur die Berg­bahnen, es wackelt im Berggebiet das ganze, gut 100 Jahre alte volkswirtschaftliche Geschäftsmodell. «In gewissen Tälern geht die Bevölkerungzahl bereits zurück», beleuchtet von Grünigen Konsequenzen, die sich von Frankreich über Italien bis nach Slowenien vielerorts zeigen. Das Saanenland hat freilich eine Sonderstellung, und deswegen mag es als Muster für den Schweizer Alpenbogen besonders taugen: Zum einen liegt die Gegend in einer kritischen Höhenlage, die breite Pistenangebote von heute langfristig praktisch ausschliesst. Zum anderen hat das Saanenland finanzielle Polster. Sie erlauben es der Bevölkerung, nicht nur unter Druck und als Bittsteller der Agglomerationen reagieren zu müssen, sondern selbstbewusst als Akteur auftreten zu können. «Wir brauchen eine breite Differenzierung», findet Gemeindepräsident von Grünigen, «und wir müssen schauen, dass die Wertschöpfung hier stattfindet.» Innerhalb der von ihm genannten Leitplanken gilt es also, möglichst breit aufgestellt zu sein: Die Wintersaison sei nicht auf volle Parkplätze und Pisten zu reduzieren. Ein gefrorener Bergsee, ein stiller Waldweg, ein plätschernder Bach täten es auch – und Wertschöpfung hiesse hier, das touristische Gesamtpaket so differenziert und attraktiv zu schnüren, dass der geneigte Gast kommt, möglichst lange bleibt, es weitersagt oder wiederkommt. Die Frequenzen und Umsätze heutiger Spitzentage sind zwar nicht zu halten. Aber einerseits fallen auch da satte externe Kosten und Transferleistungen an, und andererseits darf sich die Wertschöpfung und Differenzierung in den Bergtälern nicht nur auf den Tourismus beschränken. «Der Bauer möchte freier Unternehmer sein», benennt Meisterlandwirt von Grünigen eine seit jeher tragende Säule der Berggebiete, «aber wenn er nicht eine ganz besondere Nische findet, ist es illusorisch, unabhängig vom Staat zu sein.» Mehr Differenzierung braucht also auch die Landwirtschaft: nicht nur als landschaftspflegende Subventionsempfängerin und als Transmissionsriemen fürs Bau- und Maschinengewerbe, sondern auch als Produzentin exklusiver Güter wie Alpweiden oder Bergkäse – und letztlich als unverzichtbare Branche, der Nährstand halt. Wie im Tourismus stellen sich zwar auch hier schwierige Fragen von Masse und Vermarktung. Aber besser kann das landwirtschaftlich-touristische Gesamtpaket allemal werden. Und Chancen hat da von der Surselva bis ins Simmental auch, wer keine Mäzene im Rücken hat, aber gute Landwirte, gute Gastwirte und eine Politik, die sich um Weitsicht bemüht.