GastroJournal: Wir führen dieses Gespräch im Alpinen Museum in Bern, dessen Zukunft im Zuge von Sparmassnahmen des Bundes gefährdet ist. Inwiefern ist dieses Museum notwendig? Katharina Conradin: Ich denke, dass dieses Museum für die Schweiz zentral ist, definieren sich die Schweizerinnen und Schweizer doch sehr stark über die Berge. Und wenn in der Schweiz, diesem Herzland der Alpen, dieses Museum fehlte, wäre das für mich eine grosse Lücke. Dominique de Buman: Dieses Haus ist meines Erachtens von höchster Bedeutung, und zwar nicht nur, weil die Schweiz im Herzen der Alpen liegt, sondern auch, weil das Alpine Museum in der Hauptstadt der Schweiz steht und damit für alle einfach zu erreichen ist. Aber ist es eine öffentliche Aufgabe, das Museum zu erhalten? de Buman: Ja und nein. Einerseits gibt es die Privatwirtschaft in den Alpen, also Restaurants, Hotels und Bergbahnen, aber auch Landwirtschaftsbetriebe und andere Unternehmen, die durch dieses Museum repräsentiert werden. Und es gibt Organisationen wie die Konferenz der Bergkantone oder Umweltschutzorganisationen, die ein alpines Bewusstsein haben, sich in diesem Museum wiederfinden und es tragen. Andererseits gibt es ein nationales Interesse, das sich unter anderem im Standort des Museums zeigt. Insofern kann es weder sein, dass allein Private das Museum tragen, noch allein die öffentliche Hand. Conradin: Das ist die aktuelle Situation, und das Museum hat auch eine überdurchschnittliche Eigenfinanzierung. Aber wenn der öffentliche Anteil so stark reduziert wird, wie das jetzt zur Diskussion steht, ist das Museum in seiner Existenz bedroht. Eine Grundfinanzierung braucht es, und das Alpine Museum ist ja nicht nur ein Ausstellungsraum, sondern auch eine rege benutzte Plattform, wo man die grossen Herausforderungen diskutiert, vor denen der alpine Raum steht. de Buman: Es ist unverständlich, dass der Bund vor ein paar Jahren seinen Beitrag massiv erhöht hat und ihn nun massiv senken will. Zumal es tatsächlich nicht nur um ein Museum geht, sondern auch um ein Forum, wo man sich von der Raumplanung bis zum Zweitwohnungsgesetz zu Herausforderungen im Zusammenhang mit den Alpen austauscht. Vor gut 100 Jahren packte man die Herausforderungen, indem man Projekte wie die Jungfraubahn realisierte. Inwiefern wäre so etwas heute noch denkbar? Conradin: Ich glaube, sie sind heute nicht mehr machbar. Sawiris? Conradin: Sawiris ist nicht vergleichbar. Trotz der grossen Dimensionen bedeutet sein Projekt nicht eine solche Veränderung wie seinerzeit, als der Bau der Jungfraubahn und anderer Strukturen die Grundlage für einen Massentourismus im Hochgebirge geschaffen haben. de Buman: Es ist heute aus verschiedenen Gründen heikler als damals. Zum einen ist die Schweiz viel weiter entwickelt und gebaut, was unter anderem bedeutet, dass der ökologische Fussabdruck mehr ins Gewicht fällt – wir können ihn nicht endlos vergrössern. Conradin (lacht): Das hätte jetzt ich sagen müssen. de Buman: Zum anderen hat sich die Gesetzgebung verschärft, manchmal vielleicht ein bisschen zu sehr. Ich bin ein Befürworter des Beschwerderechtes, aber es darf nicht a priori stärker sein als das jeweilige Anliegen – wir brauchen ein Gleichgewicht, und Gleichgewicht ist nicht nur in diesem Bereich eines meiner zentralen politischen Anliegen. Insofern wäre die Realisierung der Jungfraubahn heute schwieriger, aber wir es haben es ja eben geschafft, einen 57 Kilometer langen Tunnel durch den Gotthard zu treiben.
Katharina Conradin: «Teilweise ist die Schweiz überreglementiert.»Haben die Schwierigkeiten heutiger Projekte vom Weissenstein bis nach Grindelwald eher mit einem Pendel zu tun, das Richtung Regulierung treibt, oder liegen dahinter systemische Fehler? de Buman: Eine schwierige Frage, die ich nicht nur politisch beantworten möchte, sondern auch moralisch. Sicher sind wir sehr bürokratisch, wohl zu bürokratisch. Aber mir scheint auch, dass wir anspruchsvoller und eigensinniger geworden sind und zunehmend Mühe damit haben, andere Positionen zu akzeptieren. Was wiederum dazu führt, dass mehr reguliert werden muss. Conradin: Es ist auch eine Frage der Verantwortung. Teilweise ist die Schweiz überreglementiert, aber das hat auch mit mangelnder Selbstverantwortung zu tun. Erstaunlicherweise sind die Menschen ja immer mehr bereit, diese Verantwortung abzugeben. Ein aktuelles Beispiel sind Fett- und Zuckersteuern, die weitum diskutiert werden. Mit Blick auf die Gesundheitskosten kann man das gut finden. Aber es ist doch nicht die Aufgabe des Staates, dass wir gesund leben, sondern die eigene Verantwortung. de Buman: Absolut einverstanden. Conradin: Um zurückzukommen auf Grossprojekte im Tourismus, gehe ich weitgehend mit Dominique de Buman einig: Die touristischen Infrastrukturen sind weitgehend gebaut, ja teilweise zu weit entwickelt – und hier akzentuieren sich unsere Standpunkte. Sawiris‘ Projekt hätte man nicht bauen dürfen, weil es unter anderem bestehende Angebote zu stark konkurrenziert und sehr auf den Wintersport setzt – meines Erachtens eine Fehlentwicklung. Es wäre besser gewesen, das Urserental nach dem Wegfallen des Militärs darin zu unterstützen, umfassend über die Zukunft nachzudenken, statt sehr schnell mitzumachen, als Sawiris seinen Geldbeutel öffnete. de Buman: Da sind wir uns tatsächlich nicht einig. Einerseits war Andermatt, das am Fusse des Gotthardpasses eine grosse touristische Tradition hat, später über Jahrzehnte vom Militär geprägt, und insofern ist die neuerliche touristische Ausrichtung plausibel. Andererseits geht es mit den Bergbahnen weniger um eine Neuerschliessung als um eine Modernisierung sowie eine Verbindung von Andermatt und Sedrun – und das in einer Höhe, wo Wintersport längerfristig möglich bleibt. Conradin: Ich kann diese Einschätzung zu Andermatt nachvollziehen, man kann den Standpunkt vertreten, wenigstens auf die Gebiete zu setzen, in denen Wintersport noch möglich ist. Aber grundsätzlich denke ich, dass wir das ganze Modell hinterfragen müssen. Wir müssen jetzt doch darüber nachdenken, wie im Berggebiet eine Wintersaison ohne Pisten aussehen kann. de Buman: Es ist wichtig, die Winter- und die Sommersaison unter die Lupe zu nehmen. Mit Blick auf den Winter ist die aktuelle Preispolitik ein Ausdruck davon. Hier gibt es zwei Strömungen. Die eine, vertreten durch Gebiete wie Saas-Fee, verfolgt die Vision, die Kundschaft mit attraktiven Abonnements auszuweiten und nicht nur für den Winter, sondern auch für den Sommer zu gewinnen. Die andere Strömung warnt vor einer Kannibalisierung und einer Abwärtsspirale nicht kostendeckender Preise. Ich kann nicht nur als Präsident von Seilbahnen Schweiz beiden Strömungen etwas abgewinnen. Auf lange Sicht indes gehe ich mit Frau Conradin einig, dass wir touristische Werte jenseits des Wintersports und die entsprechende Nachfrage verstärken müssen – etwa im Bereich Alters- und Gesundheitstourismus. Conradin: Die Bergbahnen stehen weitgehend mit dem Rücken zur Wand. de Buman: Wir müssen auch hier differenzieren. Wir haben eine Handvoll grosser Bergbahnunternehmen, die weitgehend gut dastehen. Und wir haben viele kleine und ganz kleine Bahnen, die oft in tiefen Lagen liegen und nur überleben, wenn seitens der Betreiber viel Herzblut fliesst. Schliesslich gibt es die mittleren Unternehmen. Hier zählen ebenfalls nicht nur Erfolgsrechnung und Bilanz, sondern auch Faktoren wie die Bedeutung für die Region, in der die Bahn operiert. So kann eine Bahn Defizite schreiben, ihre Region touristisch aber nur dank dieser Bahn existieren. Und jenseits von Tourismus gibt es wenige Optionen, zumal auch Landwirtschaft und Wasserkraft leiden. Conradin: Es kann doch nicht sein, dass wir touristisch nur zwei Extremstrategien diskutieren, nämlich eine weitere Intensivierung im Tourismus wie in Andermatt oder ein sanfter Tourismus ohne Massengeschäft. Ich denke, dass wir hier eine systemischere Sicht brauchen, und die Funktion einer Bergbahn in ihrer Region ist ein solcher systemischer Ansatz. Aber wir müssen auch darüber nachdenken, was in den Berggebieten sonst noch möglich ist – ich denke etwa an Bildungsmöglichkeiten, Beispiele sind hier die Fachhochschule in Siders oder Chur. de Buman: Einverstanden, aber wir müssen auch im Tourismus systemisch denken und etwa dafür sorgen, dass die Gäste die Schönheiten im ganzen Berggebiet erkennen und sich nicht nur an einzelnen Orten derart massieren, bis die Bevölkerung sich zu beklagen beginnt. Conradin: Kleinere Destinationen dürften insgesamt eher im Vorteil sein, weil es dort möglich ist, einen Grossteil der touristischen Wertschöpfung selbst zu erarbeiten. Denn wo die Touristenmassen sind, reichen die regionalen Ressourcen etwa im Lebensmittelbereich niemals und müssen teilweise von weither herangekarrt werden. Insofern sollten wir stärker auf die regionale Wirtschaft setzen.
Dominique de Buman: «Jenseits von Tourismus gibt es wenige Optionen.»Der Kanton Freiburg macht es, indem er seine Bergbahnen letztlich verstaatlicht hat, desgleichen die Kantone Waadt und Tessin. Warum steht man nicht dazu und erklärt die Bergbahnen zum Service Public? de Buman: Das gilt auch für die Schifffahrt, und mit den Transportunternehmungen Zentralschweiz haben wir sogar eine kantonsübergreifende Organisation, die alle Bereiche abdeckt und sich selbstverständlich als Service Public versteht. Dabei geht es aber nicht darum, dass der Staat alles übernimmt. Im Kanton Freiburg etwa müssen die Bergbahnen ihren Betrieb nach wie vor selber finanzieren und können nur bei Investitionen auf den Staat zählen. Die Schweiz hat hier viel Erfahrung und eine lange Tradition: dass jeder bei sich selber hinschaut und kämpft, sich aber wie bei einer mechanischen Uhr ins Räderwerk einfügt. Ist das auch touristisch der Königsweg? de Buman: Es ist ein schweizerischer Weg, der sich immer wieder anders präsentiert und letztlich darauf hinausläuft, immer wieder neu das Gleichgewicht zu finden. Das beinhaltet grundsätzliche Diskussionen, aber auch die ewige Frage, wer was tut und wer was bezahlt. Conradin: Den Königsweg gibt es nicht, weil die Welt zu komplex ist. Insofern geht es darum, miteinander darüber zu sprechen, in welche Richtung sich der Tourismus und das Berggebiet entwickeln sollen. de Buman: Dabei gibt eine Vielfalt von Lösungen. Conradin: Wobei es mir ein Anliegen wäre, den Binnentourismus zu stärken, zumal eine solche Kreiswirtschaft ökologisch vernünftig ist und die Wertschöpfung bei uns sichert – Fernreisen mit Billigflügen haben wirklich keine Zukunft. de Buman: Ich bin einverstanden, warne aber davor, sich zu verschliessen. Tourismus ist ein wichtiger Exportzweig der Schweiz – und ein wertvoller Imageträger. Conradin: Einverstanden, aber die Internationalisierung des Tourismus verursacht gigantische globale Probleme, die auch die Grundlagen des Tourismus bei uns bedrohen. Was wünschen Sie sich von den Touristikern? Conradin: Ich wünschte mir, dass wir mehr versuchen, Angebote zu schaffen, welche die regionale Wirtschaft fördern und Gäste ansprechen, die nicht um die halbe Welt reisen müssen. Und ich wünsche mir Schweizerinnen und Schweizer, die diese Angebote annehmen und in die Berge kommen. de Buman: Ich bin einverstanden, und ich finde, dass die Entwicklung in vieler Hinsicht in diese Richtung geht. Und was die Eigenverantwortung angeht, braucht es manchmal nur wenig – mit einem kleinen Preisaufschlag und ohne Verbot sind die Plastiksäcke in den Einkaufszentren weitgehend verschwunden. Dank Ihrem Vorstoss, Herr de Buman. Was wünschen Sie sich als Touristiker von den Naturschützern? de Buman: Wir sind in der Schweiz, die eine Kultur des Dialogs pflegt. Mein Wunsch ist insofern, dass die Touristiker bereit sind, die Anliegen des Naturschutzes ernstzunehmen und Kompromisse zu suchen, um ein Gleichgewicht der Interessen zu finden. Vom Naturschutz wiederum wünsche ich mir dieselbe Dialogbereitschaft, damit wir nicht ständig beim Bundesgericht landen. Frau Conradin, Herr de Buman, besten Dank für dieses Gespräch. Links: Alpines Museum Bern Schweizer Tourismus-Verband CIPRA