Tourismus

Alpiner Tourismus: koloniale Abhängigkeiten von Bergdörfern

Peter Grunder – 26. September 2017
Tourismusgemeinden haben vorab juristisch Mühe damit, ihre Infrastrukturkosten auf die Gäste zu überwälzen. Hilfe bekommen sie aber weder vom Bund noch von den Kantonen – geschweige denn von den Gästen.

Vor Jahren hatte der Gemeindepräsident von Grindelwald darum gebeten, von Kanton und Bund weniger Vorgaben und mehr Hilfe zu erhalten (GJ47/2011): Man sei als kleine Gemeinde namentlich im Bau- und Finanzbereich überfordert: «Wir brauchen von Bund und Kanton Unterstützung, die sich an der Praxis orientiert und nicht an Theorien.» Bergdörfer, die in touristischen Spitzenzeiten ein Vielfaches ihrer Wohnbevölkerung beherbergen, haben vorab zwei Problemfelder:

  • Die Infrastrukturen: Von der Feuerwehr bis zur Kehrichtabfuhr und von der Wasserversorgung bis zum Strassennetz müssen die Infrastrukturen der Dörfer auf die Saisonspitzen ausgerichtet sein. Die Gäste jedoch wollen diese Infrastrukturen in der Regel nur für jenen Zeitraum mitbezahlen, in dem sie vor Ort sind – ein klassisches Dilemma.
  • Die Rechtsordnung: Bergdörfer können nicht einfach auf Experten, wenn es Angelegenheiten wie Kurtaxen zu regeln gilt. Vorab die Gästegruppe der Zweitwohnungsbesitzer hingegen ist oft selbst qualifiziert und schweizweit bestens organisiert, wenn es darum geht, gegen unliebsame Vorgaben von Bergdörfern vorzugehen – ebenfalls ein Dilemma, denn just diese Gäste sind für die Bergdörfer überaus wertvoll.
Bezeichnend ist Silvaplana: Die kleine Gemeinde im Oberengadin wurde wegen eines neuen Finanzierungssystems bis vor Bundesgericht gezerrt, setzte sich dort durch – kassierte das neue System aber wenig später in einer Gemeindeversammlung. Zwar schaffte das Bundesgericht Grundlagen für andere Tourismusorte. Doch wie zuletzt etwa Adelboden oder Leukerbad zeigten, bleibt es schwierig – geradeso mit kantonalen Tourismusgesetzen: Graubünden oder das Wallis scheiterten an der Urne krachend, und im Tessin mögen sich starke politische Kräfte nicht mit dem neuen, wegweisenden Tourismusgesetz abfinden. Als Königsweg böte sich ein nationales Tourismusgesetz an, das den Tourismusgemeinden das Recht gäbe, die Nutzniesser touristischer Werte an den Kosten für deren Bereitstellung zu beteiligen. Entsprechende Vorstösse waren indes bis jetzt immer chancenlos. Zuletzt hatten es vor rund zehn Jahren der damalige Bündner Ständerat Theo Maissen und der bernische Nationalrat Peter Vollmer versucht. Wie weit entfernt der Bund von der touristischen Basis der Berggemeinden ist, zeigte damals beispielhaft die ablehnende Begründung des Bundesrates: Er habe stets darauf geachtet, dass die «tourismuspolitischen Massnahmen untereinander und mit anderen Bereichen der Bundespolitik abgestimmt werden», argumentierte der Bundesrat: «Deshalb braucht es kein Tourismusgesetz.» Die Bergdörfer bleiben mithin in einer kolonialen Abhängigkeit: Sie erhalten zwar Transferleistungen von jährlich mindestens einer Milliarde Franken und werden von den Kolonialherren gerne als Rückzugs- und Erholungsräume genutzt. Ordnungspolitische Hilfe zur Selbsthilfe aber wird wohl keine kommen – ums Verrecken nicht.