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Wird Christian Kuchler nie Koch des Jahres?

Benny Epstein – 09. Dezember 2020
Keine Pinzettenkunst auf dem Teller, keine Experimente für den Gaumen: Gerade deshalb gehört die Taverne zum Schäfli in Wigoltingen TG zu den besten Gourmetlokalen der Schweiz.

Wird Christian Kuchler nie Koch des Jahres? Keine Pinzettenkunst auf dem Teller, keine Experimente für den Gaumen: Gerade deshalb gehört die Taverne zum Schäfli in Wigoltingen TG zu den besten Gourmetlokalen der Schweiz. Text Benny Epstein Gut möglich, dass einer der besten Schweizer Köche fälschlicherweise nie Koch des Jahres wird – genau wie sein Vater. Und genau deshalb gehört hier eine Ode an diesen Mann hin: Christian Kuchler (35). Einst als mutig und frech in der Spitzengastronomie galt, wer seine Gäste mit Sphären auf dem Teller überraschte. Heute gilt in der Spitzenküche als frech und mutig, wer auf die gängigen Luxusprodukte verzichtet und auf Regionalität setzt. Oder wer Gemüse in seine Desserts einbaut. Doch damit findet kein Koch mehr sein Alleinstellungsmerkmal. Und auch beim Anrichten der Teller orientieren sich zahllose Köche an den gleichen Vorbildern, deren Schaffen sie auf Instagram verfolgen, um sie mehr oder weniger bewusst nachzuahmen. Nicht so Christian Kuchler: Kein anderer Sternekoch (zwei Michelin-Sterne und 18 Gault-Millau-Punkte) dieser Altersklasse kocht derart klassisch französisch wie der Chef der Taverne zum Schäfli im thurgauischen Wigoltingen. Entenleber, Froschschenkel, Ochsenschwanzravioli, Kalbskopfbäggli, Steinbutt. Die Präsentation auf dem Teller zeigt: Hier gehts ums Handwerk und um die Produkte. Pinzettenkunst ist hier nicht. Nur die elegante, à part gereichte Thai-Curry-Nage am Steinbutt verrät, dass sich Kuchler sehr wohl für neue Einflüsse interessiert. Wie klassisch der junge Zweisternechef kocht – eigentlich ist das frech und mutig!

Kochlegende im Niemandsland

Vater Wolfgang (70) führte das Gourmetlokal bis Ende 2014 während 25 Jahren, ehe er an seinen Sohn übergab. Kuchler senior gilt in der Szene als Kochlegende, als Meister der Haute Cuisine. 18 Gault-Millau-Punkte hatte schon er, zum Koch des Jahres kürte ihn der Gourmetführer aber nie. Vielleicht, weil er nie trendig war. Vielleicht, weil die Taverne ein über 300 Jahre altes Riegelhaus in Niemandsland und kein Hotel mit Marketingabteilung ist. Den Titel hätten Wolfgang und Christian Kuchler alleine deshalb verdient: Hinter dem Schäfli steht kein Sponsor, kein Hotelbetrieb. Der Vater kochte lange mit nur einer Küchenhilfe. Der Sohn tut es mit deren zwei: Entremetier Ramon Sattler und Pâtissier Daniel Simunic. Ersterer wechselt nach München, wo er sich im Restaurant Atelier von Jan Hartwig (3 Sterne, 19 Punkte) den Platz als Chef Entremetier ergatterte. Das sagt wohl alles über das Handwerk in Kuchlers Küche, die ohne viele technische Geräte auskommt. Sattlers Nachfolge ist bereits geregelt.

Die Perfektion im Einfachen

Das wirtschaftlich eigenständige Schäfli lebt von Stammgästen aus nah und fern, die auf vertraute Gerichte und Aromen zählen. Von Gästen, die Perfektion im vermeintlich Einfachen suchen, nicht das überraschende Abenteuer. Von Gästen, die einen authentischen, herzlichen Gastgeber mehr schätzen als aufgeblasenes Storytelling und städtische Coolness. Von Gästen, die im Glas Gefallen am gereiften Klassiker haben und nicht am hippen Naturwein. Von Gästen, die immer wieder gerne einen gemütlichen Gourmetabend auf höchstem Niveau geniessen – Auszeichnung hin oder her. Immerhin: Entdeckung (2010) und Aufsteiger des Jahres (2014) wurde Kuchler junior bereits. Darf er sich dennoch einst Koch des Jahres nennen?