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«Es gibt nichts Schöneres, als Gäste zu überraschen»

Reto E. Wild – 21. Januar 2020
Casimir Platzer ist Präsident von GastroSuisse. Als Hotelier weiss er, wo der Schuh drückt. Im Interview erklärt er unter anderem, welche Themen die ­Branche 2020 beschäftigen werden.

Casimir Platzer, Sie sind Gastgeber im Hotel Belle Epoque. Wie viel Zeit bleibt dem Präsidenten von GastroSuisse für diese Aufgabe?
Casimir Platzer: Präsident von GastroSuisse zu sein ist fast ein Vollzeitmandat. Am ehesten bin ich noch am Wochenende im Betrieb, denn unter der Woche bin ich meist für den Verband unterwegs. Und über die Festtage war ich ebenfalls mehrheitlich in Kandersteg, weil im Verband dann weniger läuft. Demnach verbrachten Sie die Festtage mehrheitlich mit arbeiten?
Ja, dann machen wir in kurzer Zeit am meisten Umsatz, obschon insgesamt gesehen der Sommer für uns wichtiger ist. Aber über Weihnachten bis Anfang Januar sind die Gäste in Festlaune, bleiben auch mal länger in der Bar. Dann ist die Zeit für uns am intensivsten. Für gastgewerbliche Unternehmer gibt es keine Acht-Stunden-Tage. Aber das wissen unsere Mitglieder. Sie sind Sohn eines Hoteliers. Was fasziniert Sie an Ihrem Beruf?
Gastgeber zu sein, kann man nicht wirklich lernen. Sie müssen das mit Passion ausüben: Es gibt nichts Schöneres, als Gäste zu überraschen und Erwartungen zu übertreffen. Das ist Balsam für die Seele eines Gastgebers. Andererseits trifft es mich persönlich, wenn ein Gast unzufrieden ist. Unser Job ist unglaublich vielseitig – vom Marketing über Buchhaltung bis zum Lohnwesen. Die Aufgabe ist abwechslungsreich, spannend und schön. Was ist Gastfreundschaft für Sie?
Das Wort sagt es: Den Gast als Freund zu empfangen. Klar, das ist im übertragenen Sinn zu verstehen. Aber ein echter, herzlicher und freundlicher Empfang und eine entsprechende Betreuung sind entscheidend. Da spielt es keine Rolle, ob der Gast zwei Stunden im Restaurant weilt oder eine Woche im Hotel. Um den Gast positiv zu überraschen, bieten wir in unserem Dreistern-Hotel in Kandersteg viele Angebote und Dienstleistungen, die es sonst nur in Vier- oder Fünfstern-Hotels gibt. Unser sehr reichhaltiges Frühstücksbuffet mit kalten und warmen Speisen entspricht beispielsweise mindestens einem Vier-Sterne-Niveau. Die Gäste sind anspruchsvoll geworden.
Ja, und der Markt mit Tripadvisor, Google oder Buchungsplattformen wie booking.com ist sehr transparent. Die Hardware ist in jedem Betrieb gegeben. Mit Investitionen lässt sich diese verbessern. Aber viel wichtiger ist die Software. Mit echter und guter Gastfreundschaft können Sie so viel gutmachen, was sich letztlich in den Bewertungen widerspiegelt. Nur leider ist es so, dass sich der zufriedene Gast meist nicht äusserst. Es ist der unzufriedene Kunde, der meint, er müsse der ganzen Welt seine persönlichen Befindlichkeiten mitteilen. Deshalb muss man diese Bewertungsplattformen aktiv bewirtschaften, sodass auch zufriedene Gäste Bewertungen abgeben. Wie?
Hotelgäste schreiben wir nach dem Aufenthalt mit einer E-Mail an und verlosen jeweils Ende Saison unter allen, die eine Bewertung abgeben, ein Wochenende. Im Restaurant verteilen wir seit rund einem Jahr aktiv Visitenkärtchen mit einem QR-Code, verbunden mit der Bitte, einen Kommentar auf Tripadvisor abzugeben. Das zahlt sich aus. Unsere Bewertungen haben zugenommen. Das war marketingtechnisch einer der wichtigsten Massnahmen. Wie gut war der Jahrgang 2019 für die Schweizer Gastronomie? 2018 ging ja der Ausserhaus-Konsum von Herr und Frau Schweizer um rund 700 Millionen Franken zurück.
Die Branchenzahlen für 2019 liegen noch nicht vor. Ich kann deshalb nur für unseren Betrieb sprechen: 2019 erzielten wir ein neues Rekordjahr. Wieso? Die alte Weisheit mit den drei W ist auch heute noch entscheidend: Wetter, Währung und Wirtschaft. 2018 und 2019 hatten wir schöne Sommer und im Winter gute Schneeverhältnisse. Wenn das Wetter stimmt, generieren wir Zusatzbuchungen. Zusätzlich läuft die Wirtschaft vor allem in den EU-Ländern tendenziell besser, was für uns bei einem Anteil von 50 Prozent an ausländischen Gästen wich­tig ist. Dabei profitierten wir gleich doppelt davon, dass der Euro im Frühling bei 1.15 war. So ist die Schweiz für Touristen aus dem Ausland eher erschwinglich, und der Euro-Raum wird für Schweizer teurer. Letztlich helfen dem Ferienland Schweiz aber auch Kriterien wie Sicherheit und Nachhaltigkeit – sowie unsere Berge und Seen sowie die attraktiven Städte. Das Gasterntal oberhalb Kandersteg zeigt sich beispielsweise mindestens so eindrücklich wie der Yosemite-Nationalpark. Dieses Bewusstsein setzt sich vermehrt auch wieder bei Einheimischen durch. Obschon die Zahlen noch nicht publiziert sind: War 2019 ein guter Jahrgang?
Die Grundstimmung ist positiv. Doch es gibt ländliche Regionen, in denen es nicht allen gleich gut geht. Zudem dürfen wir nicht vergessen, dass wir selbst nach diesen wettermässig optimalen zwei Jahren noch immer hinter den Zahlen von 2008 her hinken. Was heisst das für die Branche?
Die Nachfrage ist noch nicht nachhaltig positiv. Ein Winter ohne Schnee oder ein verregneter Sommer genügen, damit wir sofort zehn Prozent oder mehr Gäste verlieren. Sackt der Euro auf 1:1 ab, erhalten wir aus dem Euro-Raum keine kurzfristigen Buchungen mehr. Als ich vor 30 Jahren als Hotelier angefangen habe, konnten wir über Weihnachten und Neujahr Mindestaufenthalte von 14 Tagen verlangen. Dann mussten wir uns mit 10 Tagen und später mit 7 Tagen begnügen. Heute haben wir Mühe, selbst diese Mindestwoche durchzusetzen. Noch zwei Tage vor Weihnachten war es selbst in Zermatt möglich, Zimmer zu finden. Inzwischen sind die Möglichkeiten viel grösser geworden, um Ferien zu verbringen, in der Stadt oder eben auch am Strand. Wie soll sich die Branche mit ihren gegen 250 000 Angestellten in der Gastronomie und der Hotellerie für unvorgesehene Ereignisse rüsten?
Wenn Ereignisse wie die Euro-Parität oder Schneemangel eintreten, muss die Branche fähig sein, schnell zu reagieren. Der wichtigste, rasch beeinflussbare Kostenträger sind die Mitarbeitenden. Im schlimmsten Fall müsste man Leute entlassen. Diese allerdings wieder einzustellen, wenn sich der Wind dreht, ist ebenfalls eine Herausforderung. Als guter Unternehmer muss man agil sein und ständig das Konzept, das Angebot und die Kostenstruktur optimieren. Nur so kann man die nötige Marge erwirtschaften, um die Zukunft eines Betriebs zu sichern. Wie gross ist das Problem des Fachkräftemangels im Berner Oberland?
Der existiert auch hier. Wir investieren enorm viel Zeit, um unsere 30 Mitarbeitenden für den Sommer und den Winter zu rekrutieren. Zum Glück können wir auf einen starken Bestand von rund zwei Drittel langjähriger Mitarbeitender zurückgreifen. Aber diesen einen Drittel müssen wir jeweils rekrutieren. Gerade für Mitarbeiter im Küchenbereich ist der Markt aus­getrocknet. Was macht der Verband, um die Jungen in den Schulen für die Branchenberufe zu gewinnen?
Letztlich kämpfen alle Branchen um Fachkräfte und Mitarbeitende. «War for Talents» ist weltweit ein Thema. Wir müssen in der breiten Öffentlichkeit vermehrt aufzeigen, welch tolle Berufe wir in der Küche oder im Service anbieten können, mit neuen Arbeitszeitmodellen und guten Anstellungsbedingungen. Klar, unsere Gäste wollen sich nun mal mehrheitlich mittags und abends verpflegen und am Wochenende verreisen. Das sind unsere Spitzenzeiten, und dann sind auch unsere Mitarbeitenden besonders gefordert. Mit welchen Themen werden Sie sich 2020 hauptsächlich beschäftigen?
Der Gesamtarbeitsvertrag und eine faire Sozialpartnerschaft werden uns auch dieses Jahr beschäftigen. Der Ständerat hat noch im alten Jahr die Motion Baumann bachab geschickt – entgegen der Empfehlung seiner Kommission. Dieser Entscheid ist absolut unverständlich, geht es doch um nichts weniger als die Zukunft der Sozialpartnerschaft. Wir werden nun das weitere Vorgehen mit unseren Allianzpartnern besprechen. Die Stellenmeldepflicht bleibt wohl ebenfalls ein Thema.
Ja, so ist es. Nachdem uns die Stellenmeldepflicht erwiesenermassen über Gebühr beansprucht hat, gibt es endlich Erleichterung. Seit dem 1. Januar gilt eine neue Berufsnomenklatur, für die wir hart gekämpft haben. Sie weist eine präzisere und sachgerechtere Einteilung auf, was dazu führt, dass praktisch kein gastgewerblicher Fachberuf mehr unter die Stellenmeldepflicht fällt – und dies sogar, obwohl die Schwelle zur Meldepflicht auf fünf Prozent Arbeitslosenquote gesenkt wurde. Doch es gibt noch immer Punkte, die bürokratischer Leerlauf sind. Ich muss beispielsweise meldepflichtige Arbeitsstellen jedes Mal ausschreiben, eine Wartefrist von fünf Tagen einhalten und kann erst dann den Arbeitsvertrag aufsetzen – auch von Mitarbeitenden, die nach dem Sommer auch im Winter wieder bei uns arbeiten wollen. Immerhin gibt es auf politischer Ebene Vorstösse.
Ja, eine Motion von Magdalena Martullo-Blocher möchte, dass die regionalen Unterschiede berücksichtigt werden. Wenn beispielsweise die Arbeitslosigkeit in Genf hoch ist, muss deswegen das Engadin nicht auch zur Meldepflicht gezwungen werden. CVP-Ständerat Beat Rieder aus dem Lötschental möchte wiederum mit seiner Motion die Wartefrist sowie die Meldepflicht für Saisonbetriebe in der Folgesaison abschaffen. Beide Motionen zur Entbürokratisierung begrüssen wir als Verband sehr. Ein wichtiges Anliegen ist die Fair-Preis-Initiative.
Darüber wird der Nationalrat im März beraten. Die Kommission für Wirtschaft und Abgaben hat die wichtigsten Änderungsvorschläge zum indirekten Gegenvorschlag des Bundesrats aufgenommen, jedoch mit einem knappen Abstimmungsresultat. Da müssen wir uns als Verband enorm einbringen. Wir haben eine Studie bei der Fachhochschule Nordwestschweiz in Auftrag gegeben, die zeigt, wie viele Zuschläge die Schweizer Bevölkerung bei importierten Produkten zahlen muss. In Zukunft wird das bestimmt besser: Eine aktuelle Umfrage sagt, dass 70 Prozent der Schweizer mit diesem Preisdiktat von ausländischen Konzernen nicht einverstanden sind. Das wollen wir den Parlamentariern aufzeigen. Wenn das Parlament nun nicht entsprechend handelt, wird es das Volk richten. Wir haben sehr gute Chancen, mit der Ini­tiative zu gewinnen. Die Parlamentarier sollten sich bewusst sein, dass eine Gesetzesänderung der geringere Eingriff ist, als mit der Initiative eine Verfassungsänderung zu bewirken. Wie gut eignet sich das neue Parlament generell, um die Interessen von GastroSuisse durchzusetzen?
Die Bürgerlichen bilden zusammen mit der Mitte nach wie vor eine Mehrheit im Nationalrat, im Ständerat sowieso. Doch der bürgerliche Schulterschluss, der in der vergangenen Legislatur nicht funk­tionierte, ist jetzt gerade für wirtschaftliche Themen sehr wichtig. Ich bin zuversichtlich, dass es gut kommt und die für GastroSuisse wichtigen Themen entsprechend Gehör finden. Letztlich gibt es auch viele Themen, bei denen uns die Ratslinke unterstützt wie bei der Fair-Preis-Initiative. Dennoch ist die Branche angesichts ihrer Bedeutung in Bundesbern noch immer klar untervertreten.
Immerhin verfügen wir seit den letzten Wahlen über fünf GastroSuisse-Mitglieder im Nationalrat. In Bundesbern haben wir in den letzten Jahren zusätzlich ein sehr gutes Netzwerk aufgebaut. Dieses ist min­destens so wichtig wie eine direkte Vertretung im Parlament. Schliesslich wer­den wir nie wie die Bauern Dutzende von Sitzen im National- und Ständerat erreichen. Dank diesem Netzwerk wird aber unsere Stimme in Bundesbern gehört. Wir werden als grösster Branchenverband der Schweiz wahr­genommen. Das ist entscheidend. Manchmal muss ich mich dennoch direkt an die Parlamentarier wenden, um die Alltagsprobleme aufzuzeigen. Sie sind ständig auf Achse und haben mit dem Präsidium und Ihrer Aufgabe als Hotelier eine permanente Doppelbelastung. Wie verarbeiten Sie das?
Meine Philosophie: Von viel Arbeit wird man müde und erst vom Stress gestresst. Ich liebe beide Aufgaben, jene als Hotelier und Gastgeber genauso wie jene als Präsident von GastroSuisse, bei dem ich dieses Netzwerk pflege. Auch die Öffentlichkeitsarbeit finde ich sehr spannend und erfüllend. Nur irgendwann müssen Sie sich ja auch erholen können. Wie machen Sie das?
Ich treibe sehr gerne Sport, obschon ich nicht immer Zeit dafür habe. Dazu gehören etwa Biken und Skifahren. Dann habe ich in unserer Wohnung ein hoch modernes Indoor-Bike sowie ein Rudergerät, auf denen ich gerne schwitze. Und ich segle gerne. Für mich ist es wichtig, auch mal den Kopf zu leeren. Körperliche Fitness bedeutet für mich auch geistige Fitness.