People

«Die Branche braucht eine stärkere Vertretung in Bern»

Reto E. Wild – 21. August 2019
Stefan Mühlemann ist in der SVP und vertritt den ländlichen Kanton Thurgau. Andri Silberschmidt ist in der FDP und steht für das urbane ­Zürich. Beide sind auch Gastronomen und wollen sich als neue Nationalräte für die Branche einsetzen.

Wie stehen Sie zur aktuellen Klima­debatte?
Andri Silberschmidt: Wenn sich die Jungen Gedanken über die Zukunft machen, ist das begrüssenswert. Aber es ist falsch, ideologische Debatten zu führen. Diese müssen faktenbasiert sein. Massnahmen, die viel kosten und nichts bringen, sind der falsche Weg.
Stefan Mühlemann: Diese Debatte führt nicht zum Ziel. Das Klima ist kein Problem der Schweiz, sondern der Welt. Jeder muss für sich selbst einen Weg finden. Wir sollten hervorheben, was die Schweiz schon alles erreicht hat. Beispielsweise werden in der KVA Bazenheid rund 65 Millionen in eine neue Verbrennungsanlage mit Wärmerück- und Dampf­gewinnung investiert. Ein weiteres Projekt ist die Phosphorrückgewinnung aus Klärschlammabfällen. Menschen, die an Klimademonstrationen gehen und ihre Flüge mit CO2-Abgaben kompensieren, handeln nicht konsequent. Haben Sie Ihr Konsumverhalten geändert?
Mühlemann:
Wir Gastronomen betreiben schon länger Umweltschutz, in dem wir möglichst regionale Lebensmittel bevorzugen und im Januar keine Erd­beeren aus Übersee kaufen. Unsere ­Maschinen schalten wir, wann immer möglich, ­komplett aus und stellen sie nicht auf Standby. Um den Wasserverbrauch zu reduzieren, haben wir Spardüsen an den Wasserhähnen.
Silberschmidt: An den Standorten unserer Kaisin-Betriebe passen wir das saisonale Angebot alle drei Monate an. Unsere Menüs sind ja fischbasiert, und da erfüllen wir beim Thunfisch den höchsten WWF-Standard. Persönlich schaue ich, dass ich mich in der Stadt mit dem Velo und dem ÖV fortbewege. Wenn ich fliege, kompensiere ich das seit einem Jahr über Myclimate. Je älter ich werde, desto mehr lerne ich, was bewusster Konsum heisst. Das hat allerdings nichts mit der Debatte zu tun, sondern mit wachsender Erfahrung. Weshalb sollen Gastronomen Sie in den Nationalrat wählen?
Mühlemann: Die Branche braucht eine stärkere Vertretung im Parlament. Ich möchte die Gastronomie, den Tourismus, die Hotellerie und das Unternehmertum in der Hauptstadt vertreten. Zudem finde ich die Tendenz schlecht, wie sich in unserem Milizsystem mehr und mehr Berufspolitiker tummeln. Wir Gastronomen stehen täglich in Kontakt mit den Einwohnern und wissen, wo der Schuh drückt. Deshalb heisst mein Slogan «Nah dran». Ich möchte in Bern meine Erfahrung als Unternehmer und jene von 20 Jahren Politik einbringen, acht Jahre davon im Gemeinderat von Aadorf TG. 20 Jahre Politikerfahrung haben Sie nicht, Herr Silberschmidt.
Silberschmidt: Nein, aber ich bin seit acht Jahren in der Politik, im vierten Jahr als Parteipräsident der Jungfreisinnigen und seit einem Jahr im Gemeinderat der Stadt Zürich. Durch mein Alter bin ich eine Stimme aller Jungen, die nicht links sind. Ich weiss, dass man Wohlstand erarbeiten muss, bevor man übers Verteilen reden kann. All jenen Jungen, die anpacken und etwas leisten wollen, möchte ich eine Stimme geben. Wie wollen Sie Ihre Ziele in Bern umsetzen?
Silberschmidt: Im rot-grün dominierten Zürcher Stadtparlament habe ich festgestellt, dass man mit kleinen Schritten vorwärts kommen kann, wenn man dem Gegenüber eine Problematik aufzeigt. So lassen sich überparteiliche Lösungen finden. Es gibt immer mehr staatliche Eingriffe im Gewerbe. Wenn man aber geschickt und unvoreingenommen Allianzen schmiedet, findet sich über alle Parteien hinweg eine Lösung. Vorher sagen, mit diesen oder jenen arbeite ich nicht zusammen, ist der falsche Weg.
Mühlemann: Mehrheiten finden ist Teil unseres politischen Systems. Damit hat die Schweiz Erfolg gehabt. Wenn wir miteinander Kompromisse eingehen, werden wir weiterhin erfolgreich sein. Welchen Themen möchten Sie sich neben der Gastronomie widmen?
Mühlemann: Der wirtschaftlichen Beziehung zwischen der Schweiz und der EU. Der bilaterale Weg ist für mich der richtige. Aber auch hier braucht es Kompromisse, wobei die Schweiz klar sagen muss, was sie macht und wozu sie nicht bereit ist. Dann gibt es im Bereich KMU immer mehr Gesetze; es wird für Unternehmer immer schwieriger. Auch Sozial- und Umweltthemen sollten wir nicht einfach den Linken überlassen, weil uns diese alle angehen.
Silberschmidt: Die Sicherung der AHV. Es ist das wichtigste Sozialwerk, aber nicht mehr das sicherste. Unser Sozialminister sieht die Lösung nur über Mehreinnahmen. Das führt langfristig zum Bankrott der Versicherung. Die Politik muss administrative Hürden für Unternehmer abbauen. In der Stadt Zürich kämpfen wir enorm mit Vorschriften aus Bundesbern, etwa, wenn wir ein Restaurant eine Stunde länger öffnen möchten. Das Parlament muss wissen, dass urbane Gegenden andere Bedürfnisse haben. Silberschmidt Muehlemann 2
Stefan Mühlemann (l.) und Andri Silberschmidt:
Werden sie in den Nationalrat gewählt? Als wie gross schätzen Sie die Chance ein, in Bern einen Sitz zu erobern?
Mühlemann: Wichtig ist, dass wir die Kollegen aus der Gastronomie und der Hotellerie mobilisieren können. Gelingt uns das, ist ein gutes Resultat möglich. Aber dazu ist der Einsatz jedes Einzelnen gefragt.
Silberschmidt: Ich bin auf dem achten Listenplatz der FDP des Kantons Zürich und motiviert, das Vertrauen meiner Partei zurückzugeben. Ich gehöre zu den neuen Gesichtern des Freisinns. Das ist noch kein Leistungsausweis, aber es ist wichtig, dass eine Erneuerung stattfindet. Ich möchte jeden 1000. Zürcher in meinem Komitee haben und damit in der Bevölkerung breit aufgestellt sein. Mühlemann: Das Parlament sollte ein Abbild der Bevölkerung sein. Gastro Suisse als Verband mit den meisten Arbeitsplätzen hat es verdient, die politischen Geschäfte mitzugestalten. In der Branche arbeiten viele Ausländer. Besteht aus Sicht der SVP Handlungsbedarf?
Mühlemann: Die Frage suggeriert, dass die Partei generell gegen Ausländer ist. Das ist falsch. Wir sind auf ausländische Mitarbeiter angewiesen. Und wenn sich jemand integriert und sich an unsere ­Sitten und Gebräuche anpasst, habe ich keinerlei Vorbehalte. Wir haben beispielsweise einen Asylanten aus Somalia eingestellt. Er absolviert ein Praktikum in der Küche unseres Brauhauses und soll danach als Hilfskoch tätig sein. Solche neuen Wege und Erfahrungen haben viele positive Seiten. Sie, Andrin Silberschmidt, haben als Jugendlicher Cannabis geraucht. Was halten Sie von Haschischrauchen?
Silberschmidt: Ich rauche schon lange nicht mehr, habe aber kein Problem damit. Wir sind ja jetzt schon so weit, dass jemand nur noch mit einer kleinen Busse rechnen muss, wenn er dabei erwischt wird. Es gibt keinen kriminalisierten Konsum mehr wie vor Jahrzehnten. Wenn die Landwirtschaft für Qualität sorgen kann und der Ramsch vom Markt verschwindet, fördert das die Qualität des Produkts und ist damit wirtschaftlich eine neue Wertschöpfung. Noch ein Wort zu den Ausländern: Es ist wichtig, die Integrationsleistungen der Gastronomie zu betonen, statt ständig nach neuen Anforderungen wie Mindestlöhnen zu rufen. Sonst erstarrt das System vor Regulierungen. Sie werden kritisiert, als Angestellter der Zürcher Kantonalbank, als Unternehmer, als Präsident der Jungfreisinnigen, als Zürcher Gemeinderat und nun noch als Nationalratskandidat auf zu vielen Hochzeiten zu tanzen. Wie bringen Sie all das unter einen Hut?
Silberschmidt: Mein Arbeitgeber stellt mich zu zehn Prozent für den Gemeinderat frei. Also habe ich entsprechend Zeit. Wichtig ist, sich dort einzubringen, wo man nützlich sein kann, und sich dort rauszunehmen, wo man keinen Mehrwert schaffen kann. Als VRP des Gastronomieunternehmens Kaisin rede ich beispielsweise kein Wort mit, wenn es um die Einführung eines neuen Menüs geht. Was haben Sie mit Kaisin vor?
Silberschmidt: Wir sind an drei Standorten in Zürich und an einem in Basel vertreten. Alle Filialen sind operativ finanziert, ohne Geld aufnehmen zu müssen. Einen fünften Standort in Zürich-Albisrieden prüfen wir. Dieser erfordert jedoch eine sechsstellige Investition, mit Eigen- oder Fremdkapital. Viele Konsumenten möchten in urbanen Gebieten gesund, schnell und frisch essen, und wir haben mit unseren Poke Bowls die Antwort darauf. Was sind die nächsten Ziele des Brauhauses Sternen?
Mühlemann: In den nächsten Jahren werden wir vier Millionen Franken investieren, um unser Gebäude und unsere Infrastruktur zu renovieren und zu vergrössern. Derzeit sind wir mit den Behörden, der Feuerpolizei, der Denkmalpflege und dem Arbeitsinspektorat in Kontakt, damit wir alle gesetzlichen Auflagen erfüllen und auch in den nächsten 50 Jahren erfolgreich wirtschaften können. Um die Finanzierung zu gewährleisten, wurde an der Generalversammlung 2018 eine Kapitalerhöhung beschlossen. Wie kamen Sie auf das Thema Bier?
Mühlemann: Vor 15 Jahren habe ich im Zürcher Hauptbahnhof für die Candrian Catering AG gearbeitet. Unter anderem war ich für die Brasserie Federal zuständig. Dort gab es mehr als 100 verschiedene Schweizer Biere. Dann hatte ich dort während einer Promotion mit Martin Wartmann Kontakt, der das Ittinger Klosterbräu erfand. Seit zehn Jahren führe ich nun die Brauhaus Sternen AG in Frauenfeld. Wieso ist Bier das bessere Getränk als Wein?
Mühlemann: Es braucht beides, das richtige Getränk zum richtigen Zeitpunkt. Wichtig ist die Abwechslung. Ich esse ja auch nicht jeden Tag Schnitzel mit Pommes frites. Und so geniesse ich gerne einmal ein Glas Wein oder ein Glas Bier. ★ Stefan Mühlemann
Der Vize-Gemeindepräsident von Aadorf TG, Stefan Mühlemann (47), ist seit 2011 Mitglied des Gemeinderats. Mühlemann ist gelernter Koch, absolvierte eine Zusatzlehre im Service und anschliessend die Hotelfachschule Belvoirpark in Zürich. Zudem erwarb er in einem Nachdiplomstudium den Titel eines Hotelmanagers und bildete sich zum Biersommelier weiter. Mühlemann leitet seit zehn Jahren Lehrabschlussprüfungen im Servicebereich und ist Vorstandsmitglied von GastroThurgau. Als SVP-Mitglied kandidiert er für einen Sitz im Nationalrat. ★ Andri Silberschmidt
Der Präsident der Jungfreisinnigen Schweiz, Andri Silberschmidt (25), wuchs in Gossau ZH auf und zog mit 22 Jahren nach Zürich-Fluntern. Er absolvierte eine KV-Lehre, ist heute Vermögensberater bei der Zürcher Kantonalbank und seit 2011 in der Politik. Zudem zeichnet er als Verwaltungsratspräsident des Gastrounternehmens Kaisin verantwortlich. Letztes Jahr wurde der FDP-Politiker ins Stadtparlament von Zürich gewählt und kandidiert nun auf der Liste der FDP Kanton Zürich für den Nationalrat.