Das Gebäude der Ochsen Metzgerei Wattinger in Altnau TG in der Nähe von Kreuzlingen ist unauffällig. Doch in der Region ist dieser in zweiter Generation geführte Betrieb für besonders hohe Fleischqualität bekannt. Gastronom Pascal Schmutz (37): «Ich habe selten so eine schöne Kühltheke in einer Metzgerei gesehen.» Lukas Wattinger (29), der zusammen mit seinem Bruder und den Eltern die Metzgerei mit ihren 15 Angestellten leitet, betont: «Wir legen Wert auf Nachhaltigkeit und Regionalität. From Nose to tail ist auch für uns sehr wichtig. Das Filet macht nur 1,5 Prozent des Schlachtgewichts aus.»
Landrauchschinken, Schweinskopfbäggli oder Kuhfleisch
Die Gastronomie, so Lukas Wattinger, sei die ideale Partnerin, damit das gesamte Tier verarbeitet werden kann: «Es gehört zu unseren Aufgaben, den Gastronomen vorzuschlagen, welches Stück sich beispielsweise als Second Cut eignet. Der Respekt gegenüber Tieren darf nicht verloren gehen.» Das Kalbskopfbäggli, das heute als trendig gilt, kostete zu Beginn von Schmutzs Berufskarriere noch 13 Franken pro Kilo, heute doppelt so viel. Der Spitzenkoch möchte nun bei Wattinger vermehrt Schweinskopfbäggli bestellen, obwohl die Nachfrage da heute noch sehr gering ist. Die werden jedoch bei Karnivoren ebenfalls gut ankommen, ist er überzeugt. Der junge Metzger empfiehlt auch seinen Landrauchschinken, der mit Buchholzspänen von der Dorfsägerei im Kaltrauch veredelt wird. «Kalt aufgeschnitten kann der Schinken wie geräuchte Entenbrust eingesetzt werden», sagt Wattinger. Schmutz fragt, ob es nicht möglich sei, zusätzlich Trockenfleisch einer älteren Kuh stärker zu würzen und kalt zu räuchern. «Dann schneide ich es auf und bereite es wie Carpaccio zu.» Wattinger stimmt zu.
25 Prozent des Fleisches verkauft die Ochsen Metzgerei im Normalfall über die Gastronomie, Veranstaltungen wie Schwingfeste tragen rund 35 bis 40 Prozent zum Umsatz bei, für den Rest sorgen die Konsumenten. Der Betrieb arbeitet mit rund 45 Bauern aus der Region, für Rind- und Kalbfleisch gibt es vier Hauptlieferanten. Freitag und Montag sind Schlachttage: Auch Fleisch von Freilandsäuli, Lamm oder Ziegen wird im Betrieb verarbeitet. Einer der wichtigsten Kalbfleischlieferanten ist der Lindenhof ausserhalb von Güttingen TG. Oliver Vogt (28) wird dort nächstes Jahr den Hof seines Vaters mit jährlich 50 Mastkälbli und den rund 60 Milchkühen übernehmen.
An diesem kalten Apriltag beäugen ein gutes Dutzend Kälber die Besucher. Ein grosser Teil der Jungtiere wird nach 130 Tagen von Metzger Wattinger durch eigene Schlachtprozesse verarbeitet. Er erklärt: «Viele bevorzugen noch immer helles Kalbfleisch, weil sie glauben, das stehe für Qualität.» Meisterlandwirt Vogt räumt mit dem Mythos auf: «Wenn die Kälbli eisenhaltiges Gras oder Erde fressen, rötet sich das Fleisch. Verkaufe ich die Tiere an grosse Schlachthöfe, verliere ich pro Kalb rund 120 Franken, falls das Fleisch nicht hell ist.» Farbabzug nennt sich das im Jargon. Für Vogt heisst das: Rund um den Auslauf, den die Tiere haben, muss er Bretter anbringen, damit die Kälber nicht Gras fressen. Denn Mindereinnahmen kann sich der Bauer nicht leisten. «Es ist doch Wahnsinn, dass die Kälbchen wegen eines falschen Kundenverhaltens kein Gras fressen dürfen», urteilt Schmutz.
Auf der Suche nach Vielfalt
Szenenwechsel zurück nach Altnau, zum vor zwei Jahren gebauten Hofladen der Familie Eberle: In der Umgebung mit wunderschöner Aussicht auf den Bodensee bewirtschaften Andreas Eberle (42) und sein je nach Saison bis zu zehnköpfiges Team rund 22 Hektar, vor allem mit Apfel- und Birnbäumen. Auf zwei Hektar wächst Holunder, dessen Blüten seit über 30 Jahren an Ricola verkauft werden, das Spargelfeld nimmt einen Hektar ein. Die lehmigen und schweren Böden sorgen dafür, dass der Gemüsespargel hier später reift als anderswo.
Pascal Schmutz ist aber auch an den Salaten, Rhabarber, Mini-Kiwis, Aprikosen, Zwetschgen, Kirschen sowie an den Stachel-, Johannis-, Brom-, Him-, Heidel- und Gojibeeren interessiert. 90 Prozent der Produktion geht laut Eberle an den Grosshandel, der Rest wird im Hofladen verkauft (im Dorf gibt es zwei Campingplätze), über Marktfahrer und an ein paar Gastronomen. «Ich schätze die Vielfalt an Beeren. Frische Gojibeeren und Mini-Kiwis habe ich noch nie probiert», sagt Schmutz. Er möchte aus der Trendbeere eine Sauce Cumberland herstellen, die sehr gut zum Fleisch einer älteren Kuh passe. Erstmals überhaupt muss Eberle Frostschäden beklagen, weil das Thermometer im April bis auf minus 3,5 Grad fiel. Wie gross die Einbusse sein wird, kann er erst in einer Woche abschätzen. Die schwarz verfärbten Triebe bei den Aprikosen lassen nichts Gutes erahnen. Immerhin konnte die nächtliche Kälte der Rhabarber nichts antun. Deren Blätter möchte Schmutz mit Salat kombinieren – eine weitere Idee, die am Tag der Begegnungen entstanden ist. Sein Fazit: «Jetzt ist die beste Zeit, Produzenten kennenzulernen.»
«Angebot anpassen – beim Einkauf keine Kompromisse eingehen»
Interview Reto E. Wild
Pascal Schmutz, wie sollen die Gastronomen den Branchenlockdown nutzen?
Pascal Schmutz: Wenn ich Bewerbungsgespräche führe, die Kandidaten frage, wie sie den Lockdown genützt und ob sie nun ihre Produzenten besucht haben und dann keine Antworten erhalte, finde ich das bedenklich. Jetzt haben wir doch alle am meisten Zeit, uns weiterzubilden und uns mit Produzenten auszutauschen. Die Köche gehen nach solchen Begegnungen ganz anders mit Lebensmitteln um. Nur ein Beispiel: Wenn die Berufsleute in den Reben stehen und diese zurückschneiden, verkaufen sie den Wein im Restaurant mit viel mehr Leidenschaft. Die Wertschätzung für das Produkt ist das Wichtigste.
Wie finden Sie die für die Gastronomie interessanten Produzenten?
Eigentlich funktioniert das in jeder Region ähnlich. Ich fahre mit meinem Auto in der Gegend herum und schaue, was ich links und rechts der Strasse so entdecke. Irgendwann parkiere ich das Auto und jogge los. Vielleicht begegne ich auf einem Bauernhof einem bellenden Hund und komme zufällig mit dem Besitzer ins Gespräch. So habe ich das auch hier in Gottlieben TG gemacht, wo ich zurzeit arbeite. Auf meiner letzten Joggingrunde habe ich auf diese Weise eine kleine Fischzucht entdeckt. Oder dann fragte ich den Gemüseproduzenten Andreas Eberle, wo ich das beste Fleisch erhalte. So kam ich auf die Ochsen Metzgerei Wattinger und wusste nach einem Gespräch mit Metzger Lukas Wattinger, dass er mir die Qualität garantieren kann, die ich suche.
Wie setzen Sie diese Neuentdeckungen ein?
Ich habe von Hotelier Jan Brucker den Auftrag erhalten, Drachenburg und Waaghaus in Gottlieben TG bis Ende September mit einem Pop-up-Restaurant zu bestücken. Vom 1. April bis zum 30. September werden die zwei Gebäude als Pop-up-Hotel genützt. Geführt wird es von Studentinnen und Studenten der Schweizer Hotelfachschulen. Danach werden die Baudenkmäler aus dem 17. Jahrhundert umgebaut. Ich unterstütze und coache hier auch die Führung des Hotels und des Restaurants. Zudem bin ich zuständig fürs F & B und kaufe bei Andreas beispielsweise Beeren und Gemüse, bei Lukas Bäggli vom Säuli ein. Ich habe mir zum Ziel gesetzt, dass auch andere Restaurants aus der Umgebung von den lokalen Produkten profitieren.
Sie können ja aktiv mithelfen, weil Sie an diversen Projekten beteiligt sind.
Ja, das beste wäre für mich wohl, wenn ich eine Klonmaschine hätte, denn seit dem Lockdown hatte ich nie einen Stillstand. Für das Restaurant «S’Nani» im Apartmenthotel Peaks Place in Laax GR habe ich das gesamte Konzept entworfen. Dafür habe ich die Karte zum Beispiel mit regional inspirierten Gerichten ausgestattet. Für die Restaurants der Bergbahnen in Leukerbad VS habe ich ebenfalls das gesamte Konzept entworfen, welches für Regionalität und Nachhaltigkeit steht, aber auch auf Trends eingeht und alles in allem gesundes Essen anbietet. Im Bahnhof Basel eröffnet im Sommer ein Konzept, welches ich mitentwickelt habe, und für das Hotel Piz Buin in Klosters arbeite ich gerade an einem neuen Foodkonzept. Dann bin ich daran, zusammen mit meiner PR-Agentur, ein regionales Foodfestival – abseits von Kaviar und Hummer – für St. Moritz auszuschaffen.
Am Herzen liegen mir aber immer auch qualitativ hochstehende Produkte: Wenn ich einen guten Winzer mit seinen Weinen oder einen Landrauchschinken entdecke, möchte ich helfen, diesen Produkten eine Bühne zu verschaffen.
Hat trotz allem diese Coronakrise auch eine positive Seite?
Ja, jetzt hat man Zeit, seinen Betrieb zu durchleuchten. Was kann man besser machen? Wo könnte man Geld einsparen oder es anders einsetzen? Wenn man 17 Stunden im Restaurant steht, geht der Blick für diese Dinge verloren. Und was machen all die grossen Marken, die keine Events mehr sponsern? Die haben sich vielleicht auch dieselbe Frage gestellt. Und selbstverständlich ist jetzt aber auch der Moment, gerade für Gastronomen und Köche, auch mal durchzuatmen und das Leben zu geniessen.
Ist das nicht gefährlich?
Das kann zu einer Trägheit führen, die zu einem Problem werden kann. Nochmals: Eigentlich haben wir alle mehr Zeit. Diese sollten wir nutzen, um Wissen weiterzugeben und eben auch mit lokalen Produkten und Lebensmitteln anders umzugehen.
Die Krise könnte dazu führen, dass die Kunden preissensitiv reagieren und Gastronomen deswegen auf ausländische Produkte ausweichen.
Nun, ich zahle lieber mehr, dafür sind die Produkte frisch, qualitativ hochstehend und aus der Region. In dieser Krise hat es sich gezeigt, dass die Hotelgäste das teilweise reduzierte Angebot auf der Karte geschätzt haben. Niemand hat reklamiert, weil nicht mehr 20 verschiedene Hauptgänge zur Auswahl standen. Es kann nicht sein, dass ein Restaurant nur deshalb nicht funktioniert, weil man regional einkauft. Aber es braucht auch ein Umdenken bei den Gästen. Wenn ein Mittagsmenü nicht über 20 Franken kosten darf: Woher kommt wohl das Poulet?
In welchem Bereich lohnt sich Regionalität besonders?
Gemüse, Milchprodukte, Fleisch und Fisch sind enorm wichtig. Doch selbst Schokolade ist ein wichtiges Produkt, denn wenn diese nur dank Kinderarbeit günstig ist, habe ich Mühe. Lieber das Angebot anpassen und dafür beim Einkauf keine Kompromisse machen. Wenn wir alle öfter mit Produzenten reden würden, würde das viele Diskussionen erübrigen. Dann gäbe es nicht mehr so viele Entrêcotes und Filets auf der Karte und dafür eben mehr Schweinsbäggli. Oder weshalb nicht ein fein geschnittenes Rhabarberblatt zum grünen Salat zugeben? Das sorgt für eine überraschende Frische. All das erfährt man eben im Austausch mit den Bauern.
Wie stehen Sie zu biologischen Produkten?
Ich finde Bio per se gut. Aber wenn die Vorschriften in der Umsetzung nicht sinnvoll sind, dann bringt Bio nichts. Die schwarzen Kuroschweine beispielsweise dürfen das nicht mehr so schöne Gemüse aus dem Dorfladen nicht fressen, weil es nicht bio ist, erhalten dafür aber Biofutter aus Südamerika. Wichtiger als nur ein Label ist mir, wer anbaut oder wie ein Tier aufwächst. Wenn man das dem Gast richtig kommuniziert, schaut er weniger auf den Preis. Die Branche sollte schon beim Frühstück umdenken: Weshalb immer diesen dämlichen Multivitaminsaft am Buffet aufstellen statt einem frischen Apfelmost? Weshalb einen Zuchtlachs statt zwei grosse Laibe Alpkäse? Und wenn die Spargeln aus der Schweiz noch nicht eingetroffen sind, dann sollten wir nicht einfach solche aus Mexiko berücksichtigen.