Was haben Sie für Träume als CEO, Marco Zanolari?

Reto E. Wild – 09. November 2023
Seit knapp 100 Tagen ist Marco Zanolari CEO von The Living Circle und damit Chef von 800 Angestellten. Als Verantwortlicher von Häusern wie den Zürcher Traditionsbetrieben Widder und Storchen oder dem Resort ­Castello del Sole in Ascona TI gehört der Churer zu den einflussreichsten Hoteliers der Schweiz. Was sind seine Herausforderungen und Pläne?

Die Gruppe The Living Circle setzt sich aus vier Hotels, drei landwirtschaftlichen Betrieben, Hotelrestaurants sowie einem Rustico zusammen: Dies sind das Castello del Sole in Ascona TI, die Hotels Widder und Storchen in Zürich sowie das Alex Lake Zürich in Thalwil. Dazu kommen das Restaurant Buech in Herrliberg ZH, das Rustico del Sole in Ascona und die Landwirtschaftsbetriebe Schlattgut in Herrliberg, die Terreni alla Maggia in Ascona und das Château de Raymontpierre im jurassischen Val Terbi, das nächsten Frühling eröffnen wird. Seit März 2022 besteht eine Kooperation mit der Caminada-Gruppe. The Living Circle befindet sich in Schweizer Besitz der Familien Anda und Franz-Bührle. Das GastroJournal hat den neuen CEO von The Living Circle in den Hotels Widder und Storchen getroffen.

Marco Zanolari, Sie waren fast sieben Jahre Hoteldirektor und seit 2022 Geschäftsleitungsvorsitzender des Grand Resort Bad Ragaz. Wie kam es zum Wechsel zum Chef von The Living Circle?
Marco Zanolari: Ich war sehr glücklich und eng verbunden mit dem Resort in Bad Ragaz. Aber ich bin auch ein neugieriger Mensch und mit meiner Familie im Laufe meiner Karriere oft umgezogen. Es hat uns gereizt, wieder in die Nähe einer Stadt zu ziehen, was ich allerdings nicht wirklich gesucht habe. Per Zufall traf ich an einer Generalversammlung in Graubünden Jürg Schmid (den früheren Schweiz-Tourismus-Direktor und heutigen Verwaltungspräsidenten von The Living Circle, Anmerkung der Redaktion). Mich hat die Aufgabe des CEO beruflich gereizt. Es gibt in der Schweiz nicht viele solche Positionen.

Was motivierte Sie an der neuen Aufgabe?
Das sind verschiedene Faktoren. Dazu gehören sicherlich die Häuser im Portfolio, die mit Restaurants und landwirtschaftlichen Betrieben verwoben sind. Wir sind als The Living Circle besser aufgestellt als andere Hotelgruppen und darauf vorbereitet, dass sich der Anspruch an Luxus verändert. Unser Angebot ist in sich geschlossen, was Häuser, Lage, Geschichte und die tollen jungen Küchenchefs betrifft, die mit eigenen Produkten arbeiten. So schliesst sich der Kreis. Das finde ich lässig.

Wie verändert sich der Anspruch an Luxus?
Wenn wir reisen, wollen wir eine Destination erleben. Als ich bei Four Seasons arbeitete, gab es eine Initiative, die sich «Where the Locals go» nannte: Die Touristen möchten Orte besuchen wie unsere hippe Widder-Bar oder The Nest auf dem Dach des Storchen in Zürich. Sie wollen dort essen gehen, wo auch die Einheimischen sind, und nicht in einem Restaurant, das der Rezeptionist nur deshalb empfiehlt, weil er eine Provision erhält.

Welche Bilanz ziehen Sie seit Ihrem Start im August 2023?
Eine sehr positive. Wir haben ein motiviertes Team. Dass es mit den Menschen stimmt, ist das Wichtigste. Wir haben einen tollen Ruf und ebensolche Produkte und arbeiten erfolgreich. Nun geht es darum, die Gruppe weiterzuentwickeln und zu träumen, welche Hotels und Restaurationsbetriebe für uns interessant sein können.

Was haben Sie für Träume?
Wir haben einen Hotelbetrieb im Val Terbi im Jura, rund 40 Minuten von Delémont entfernt. Das Schlösschen liegt abgelegen in einer Umgebung eines Waldes und einer Landwirtschaftszone. So gesehen ist das Haus wie ein Agriturismo in Italien – aber mit Schlosscharakter. Wir hoffen, das Château de Raymontpierre im Mai 2024 zu eröffnen (Sydney Karolewski, die ehemalige Redaktorin des GastroJournals, und ihr Partner sind Gastgeber, Anmerkung der Redaktion). Und ja, ein Haus an einer Skidestination zu haben, wäre sehr spannend. Manchmal kommen Betriebe auf uns zu und suchen eine Zusammenarbeit, oder umgekehrt kontaktieren wir die Verantwortlichen, wenn wir zum Schluss kommen, dass ein Objekt zu uns passt. Wir arbeiten ja auch mit der Caminada-Gruppe zusammen, die für uns interessant und inspirierend ist. Für weitere Kooperationen ist derzeit allerdings noch nichts spruchreif.

Das hört sich alles so harmonisch an. Was sind Ihre grössten Herausforderungen?
Die richtigen Leute zu finden. Mittlerweile beschäftigen wir aber mit unseren knapp 800 Angestellten die Richtigen. Ganz wichtig ist es jetzt, an unserer Kultur zu arbeiten. Was für ein Arbeitgeber wollen wir sein? Welche Werte haben wir? Wenn ein neuer CEO kommt, ist dies immer eine Möglichkeit, das Bisherige zu hinterfragen und zu definieren, wer wir sein wollen. Schon seit Frühling wurde an diesen Werten gearbeitet, und in den nächsten Tagen wollen wir das Ergebnis ausrollen. Das ist der Schlüssel, um zu bestehen und uns von der Konkurrenz beim Personalmangel abzuheben. Im Tessin stellen wir beispielsweise den Mitarbeitenden um die 100 Wohnungen bereit. Derzeit suchen wir nun auch für Zürich Mitarbeiterunterkünfte, um einen Wettbewerbsvorteil zu haben. Genau das ist Teil unserer Kultur.

Auf welche Werte setzen Sie?
Wir sind in Regionen von drei Landessprachen vertreten. Die Vielfalt unserer Werte muss die Vielfalt unserer Regionen sein, die gut zu den jeweiligen Kantonen und Kulturen passen. Wir wollen das Zugehörigkeitsgefühl fördern. Mit unseren bald fünf Hotels können wir das Personal weiter bringen. Die neue Generation bleibt gerne in der Schweiz, um zu arbeiten. Als ich jung war, wollte ich als Bündner hinter den Bergen unbedingt die Welt sehen. Bei uns könnte jemand je ein Jahr im Jura, im Tessin oder dann wieder in Zürich arbeiten. Diese Kultur weiterzuführen, kostet relativ viel Energie. Es ist aber eine gute Investition.

Mit knapp 800 Angestellten haben Sie so viel Personal wie fast keine andere Hotelgruppe in der Schweiz.
Das Grand Resort Bad Ragaz und das Bürgenstock Resort haben ähnliche Grössen. Aber die Komplexität bei uns ist anders. Wir haben verschiedene
Hotels, die historisch gewachsen sind. Der Storchen und der Widder waren einst Konkurrenten, und heute arbeiten sie zusammen. Ich komme deshalb immer wieder zurück auf die Kultur und die gemeinsamen Werte. Wenn wir diese zusammenführen, haben wir sehr viel gewonnen.

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Marco Zanolari im Hotel Widder: «Die Vielfalt unserer Werte muss die Vielfalt unserer Regionen sein, die gut zu den jeweiligen Kantonen und Kulturen passen.» (Bild: Daniel Winkler)

Stichwort Energie, wenn auch in einem anderen Zusammenhang: Dank Wärmepumpen verbraucht das Grand Resort Bad Ragaz 85 Prozent weniger fossile Brennstoffe. Wie gut ist The Living Circle in diesem Bereich aufgestellt?
Bad Ragaz hat mit der Thermalquelle und 36 Grad warmem Wasser ein Geschenk der Natur. Wir haben andere Vorteile, etwa mit dem Schlattgut, das vor unserer Haustüre Nahrungsmittel für unsere Restaurants produziert. Und wir sind dabei, einen Gastrobetrieb mit Lernenden des dritten Lehrjahrs zu betreiben. Denn die Nachwuchskräfte sammeln die beste Erfahrung, wenn sie auf sich allein gestellt sind. Das ist eine soziale Nachhaltigkeit, die ebenfalls sehr wichtig ist.

Wie stark leiden Sie unter steigenden Strompreisen?
Wir versuchen zu optimieren und setzen im Jura auf den Dächern und Ställen Solarzellen ein. Und wir schauen, welche Lampen wir mit energieeffizienteren Lösungen ersetzen können. Das ist in traditionsreichen Häusern jedoch etwas schwieriger. Immerhin haben wir unsere Küchen umgebaut und viel in die moderne Haustechnik investiert. Aber klar, auch wir zahlen höhere Energiepreise.

Teurere Energiekosten sind nicht die einzigen Probleme.
Ja, das ist tatsächlich ein Teufelskreis. Die steigende Inflation macht sich auch bei den Nahrungsmitteln bemerkbar. Und die Hotellerie ist kein riesiges Margengeschäft. Wir mussten deshalb unsere Hotelpreise anheben.

Wie stark?
Wie bei den Bergbahnen oder den Fluggesellschaften haben auch wir ein dynamisches Preissystem, das vom Angebot und der Nachfrage abhängt. Seit Corona sind die Tarife generell um ein paar Prozente gestiegen.

Was erwarten Sie für 2024?
Wir sind optimistisch. Ich bin generell ein Optimist. Aber unsere auf internationale Gäste ausgerichteten Häuser leiden unter den Kriegen im Nahen Osten und im Osten von Europa. Andererseits ist der Schweizer Tourismus wieder internationaler geworden mit Gästen aus den Golfstaaten, Brasilien, Nordamerika und Asien. Nordamerika stellt in Zürich die stärkste Gästegruppe. Im europäischen Vergleich etwa mit Frankreich oder Italien ist die Schweiz sehr attraktiv: In diesen Nachbarländern sind die Hotelprodukte in der Regel teurer und die Qualität tendenziell schwächer. Können Sie eine Reise nach Venedig mit all diesen Touristen noch geniessen? Wir wachsen in der Schweiz touristisch, bieten aber eine hohe Qualität und einen Superservice – und die höchste Michelin-Sterne-Dichte der Welt. Schauen Sie Zürich an: Was haben wir hier für ein Superangebot an Restaurants! Auch in unseren Lokalen sollen sich die Mitarbeitenden frei fühlen, ihren Charakter zu entfalten. Ich möchte als Gast authentische Erfahrungen.

2015, als die Nationalbank den Euro-Mindestkurs aufhob, war in der Branche das grosse Wehklagen zu hören. Nun ist der Euro deutlich weniger wert als einen Franken. Wie stark schadet das dem Geschäft?
Das ist schwierig abzuschätzen. Es spielt eine Rolle, um welchen Markt es sich handelt. Im Tessin mit einem relativ hohen Gästeanteil aus Deutschland tut der starke Franken weh. Unser eigenes Produkt wird teurer, und wir können nichts dafür. Das macht es schwierig bei der Gewinnung von Neukunden und behindert das Geschäft mit den Stammkunden. Gleichzeitig ist es aber interessant, wie sich der Tourismus in den Städten verändert. Der traditionelle Geschäftskunde existiert zwar noch weiter, aber wir haben einen immer höheren Anteil an Individualreisenden. Die sind dankbar, dass Zürich als Destination attraktiver geworden ist und nicht einfach nur eine Stadt zum Arbeiten. Dennoch dürften die Touristenströme aus Europa bei diesem Wechselkurs abnehmen, obwohl wir gegenüber vergleichbaren europäischen Städten wie Paris, London oder Rom Wettbewerbsvorteile haben.

Zu Ihrer eigentlichen beruflichen Situation: Wie gross ist die Freiheit, welche die Besitzerfamilien Anda und Franz-Bührle Ihnen geben, oder haben Sie ohnehin viel mehr Kontakt mit Ihrem direkten Vorgesetzten, dem Verwaltungsratspräsidenten Jürg Schmid?
Jürg Schmid ist mein erster Ansprechpartner. Aber wir sehen auch die Besitzer oft. The Living Circle ist für sie ein Herzensprojekt. Das macht es für mich attraktiv. Ich habe in meiner Karriere gelernt, für wen ich arbeiten möchte und für wen nicht. Die gleiche Kulturfrage stellt sich auch bei mir selbst. Ich suche mir Leute aus, die eine Passion und eine Leidenschaft für die Betriebe mitbringen. Ich möchte Qualität im Service, ein Umfeld, das stimmt, und lachende Gesichter beim Personal. Überall um 0,5 Prozent zu sparen, damit die Profitabilität stimmt, ist für mich nicht nachhaltig. Ich komme soeben aus einer zweitägigen Klausur, wo wir unsere Träume bei den Besitzern deponiert haben. Wir geniessen eine grosse Freiheit.

Wo endet sie?
Bei grösseren Investitionen ist es weise, Projekte zu reflektieren. Das Schöne an uns Schweizern ist es doch, dass wir sehr kompromissbereit sind. Das hat mir immer geholfen. Wichtig sind spezielle Konzepte, die beispielsweise auch zu den Restaurants passen. In Bad Ragaz haben wir von Anfang an gesagt, dass wir drei Sterne wollen. Das hat letztlich funktioniert. Dazu braucht es die richtigen Menschen, eben das richtige Konzept und der Glaube daran, dass es wirklich möglich ist.