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Vorarlberg: Essen über den eigenen Tellerrand hinaus

Benny Epstein – 07. Oktober 2020
Inspiration aus der Nachbarschaft: Im österreichischen Vorarlberg steigt das sechste Genussfestival. Ein kurzer Ausflug lohnt sich für Schweizer Gastro-Profis. Was die Region sonst noch zu bieten hat und wie man dort mit Corona umgeht, erfahren Sie im GastroReport.

Es hätte der Top-Event des Vorarlberger Genussfestivals werden sollen: Koschina and Friends. Dieter Koschina, der Vorarlberger Zweisternekoch, der seit dreissig Jahren an der portugiesischen Algarve in der Vila Joya kocht, hätte mit Berufskollegen – unter ihnen Stefan Heilemann vom Zürcher Hotel Widder und Christian Kuchler von der Taverne zum Schäfli in Wigoltingen TG (beide ebenso mit zwei Sternen ausgezeichnet) – für 250 Gäste in der Roten Wand in Zug/Lech gekocht. Der Anlass fällt der Coronapandemie zum Opfer. «Das ist leider der Wermutstropfen», sagt der Hotelier der Roten Wand, Josef Walch. «Aber es lohnt sich dennoch, das Festival zu besuchen.» Gerade für Gastro-Profis aus der Schweiz birgt der Ausflug knapp über die schweiz-österreichische Grenze viel Inspiration. Das Festival, das am 2. September begann und noch bis zum 26. Oktober dauert, lädt einerseits zum Geniessen regionaler Spezialitäten ein. Noch spannender für Gastronomen sind aber die zahlreichen Events, bei denen Köche, Restaurateure oder Hoteliers auf Produzenten treffen. So etwa die Salongespräche, die an den meisten Samstagen während des Festivals stattfinden: Alpine Weine, Nose to Tail, Farm to Table, die neue alpine Küche, Regionalität und Nachhaltigkeit, nachhaltige Landwirtschaft und Wertschöpfung im Alpenraum – in kleinen Runden diskutieren Experten diese und weitere Themen. «Eines der Hauptziele des Genuss-Festivals ist die Vernetzung der Branche», erklärt Hannes Konzett, Kurator des Festivals. «Beispielsweise ist aus einigen Workshops mit Zweisternekoch Heinz Reitbauer vom Wiener Restaurant Steirereck die Initiative ‹Arlberg & Friends› entstanden. Das ist eine Verbindung von Küchenchefs am Arlberg, die sich bei Fragen rund um Mitarbeiter-Rekrutierung, Wareneinkauf, Förderung von regionalen Produzenten et cetera austauscht.» Bündner und Walliser Wein zur Ziege
Wer auf der Suche nach dem nicht alltäglichen Genuss ist, dem empfiehlt Konzett den Nose-to-Tail-Event am Freitag, 9. Oktober, in der Spezerei im Brandnertal zu besuchen. Diverse Stücke der lokalen Ziege bestimmen das Menü. Bei der Weinbegleitung setzt die Spezerei unter anderem auf Tropfen aus der Bündner Herrschaft und aus dem Wallis. Und wer dafür den Weg ins Vorarlberg auf sich nimmt, sollte sich, so Konzett, tags darauf auch den Anlass in der legendären Villa Müller in Feldkirch nicht entgehen lassen. «Die Köche Jodok Dietrich und Florian Speckle sind ein Garant für einen Feinschmeckerabend.» Dietrich erlernte sein Handwerk unter anderem bei Andreas Caminada im Schloss Schauenstein, Autodidakt Speckle ist Küchenchef im Unterengadiner Hotel Piz Linard – jetzt treffen sich die beiden Vorarlberger für einen Abend in ihrer Heimat. Bis zu 50 Prozent Schweizer Gäste
«Gerade in diesem Jahr», so Konzett, «ist es wichtig, das Festival durchzuführen.» Zwar unter Auflagen und im Herbst statt im Sommer, doch die Gastronomie dürfe sich von einem Virus nicht unterkriegen lassen. «Das Motto lautet: Es gibt keine Probleme, sondern Herausforderungen und Lösungen.» Dem pflichtet Josef Walch bei. Der Hotelier der Roten Wand in Lech gewährt Einblicke in die Zahlen seines Betriebs. «Anfang 2020 erlitten wir einen Rückschlag: Im Winter fehlten uns 25 Prozent der Nächte und des Umsatzes, wir mussten die Saison im März abbrechen.» Der Sommer hingegen verlief erfreulich: 20 Prozent mehr Umsatz im Juli, 10 Prozent mehr im August im Vergleich zum Vorjahr. «Die Natur, die Berge, viel Raum, viel Zeit für sich – das suchten viele Leute und fanden es bei uns. Zum Glück haben wir sehr viele Gäste aus Österreich, Deutschland und der Schweiz. Sie haben uns den Sommer gerettet.» In gewöhnlichen Jahren stammen 15 Prozent seiner Gäste aus der Schweiz, dieses Jahr seien es 20 Prozent. «Die Schweiz ist ein ganz wichtiger, spezieller Markt, da die Schweizer immer reisen. Jetzt im Herbst stammt sogar die Hälfte unserer Gäste aus der Schweiz», verrät Walch. «Zudem ist der Schweizer Gast sehr gourmetaffin. Er nutzt das breite Angebot besonders gut.» Brillant veredelte Alpenküche
Kulinarisches Aushängeschild des Gourmethotels Rote Wand ist das Restaurant Chef’s Table. Küchenchef Max Natmessnig veredelt vor den Augen seiner Gäste die besten Produkte des Alpenraums. Auster mit Tomate und Estragon, Kaninchen mit Pilz und Zwetschge, Rehkitz mit Puntarelle, Pfirsich mit Buchweizen – häppchenweise geht es für Augen, Nase und Gaumen durch die alpine Region, stets auf höchstem Niveau. Die Weinkarte beeindruckt durch ihre Grösse und Tiefe zugleich. Zahlreiche Weine kosten weniger als 40 Euro, wer nach gereiftem Bordeaux im vierstelligen Euro-Bereich sucht, wird ebenso fündig. Aus der Schweiz sind mehrere Positionen aus Zürich, der Bündner Herrschaft und dem Tessin gelistet. Dass der gesamte Ablauf des Abends von der Produktepräsentation über die ersten Häppchen in der Stube, das Dinner in unmittelbarer Nähe zu den Köchen bis hin zum Ausklang wieder in der Stube ans Erlebnis im Stockholmer Dreisternerestaurant Frantzén erinnert, dürfte kein Zufall sein: Natmessnig und Walch sind selbst bekennende Gourmets und bereisen die ganze Welt auf der Suche nach Inspiration bei den besten und spannendsten Restaurants. Der Gault Millau zeichnet den Chef’s Table mit 18 Punkten aus und betitelt Natmessnig als einen der talentiertesten Chefs des Alpenraums. Mitarbeiter messen täglich Fieber
Die Umstellung auf zwei Sitzungen mit weniger Plätzen am Chef’s Table sorgte trotz Corona für mehr Umsatz, gleichzeitig stiegen die Personalkosten. Der Staat half mit einem Überbrückungskredit und einem Fixkostenzuschuss. Walch: «Wir profitieren auch davon, dass sich die Gäste bei uns sicher fühlen.» Sämtliche Mitarbeiter messen täglich Fieber, alle zwei Wochen unterziehen sie sich einem Coronatest. Sogar in der maskenfreien Zeit wurde mit Maske serviert. Eine Reise ins benachbarte Vorarlberg lohnt sich zweifelsohne. Ob fürs Genussfestival, für die zu jeder Jahreszeit wundervolle Natur, fürs einen Abend am Chef’s Table oder für einen inspirierenden Austausch mit Josef Walch, diesem unermüdlichen Macher: Die hoteleigene Käserei, das demnächst erscheinende Kochbuch, die Nachhaltigkeit im Haus – es gäbe noch so viel zu erzählen über den Mann, den sie dort alle Joschi nennen.

Tipps zu Restaurants und Hotels

Genussfestival
Fast zwei Monate mit mehr als 60 Programmpunkten: Kurator Hannes Konzett kennt das Vorarlberg und dessen Gastronomen, Hoteliers und Produzenten wie kein Zweiter. Hingehen, lernen, sich verwöhnen lassen. Das Programm gibt es unter www.genussziele.com. Fischteich Lech (Zug/Lech)
Ein gemütliches Plätzchen inmitten der malerischen Landschaft: Wer will, fischt hier seine Forelle oder seinen Saibling gleich selber, um sich dann den Fisch marinieren, räuchern oder braten zu lassen. Frischer geht es nicht. Angelruten können gemietet werden. href="https://www.fischteich-lech.at/" target=_"blank" rel="noopener" Rössle (Braz)
Bekannt für seine Wildwochen und für unaufgeregte, grossartige Regionalküche: Valentin Bargehr erlernte sein Handwerk beim Schweizer Sternekoch Roland Jöhri in St. Moritz. Jetzt kocht Bargehr im Rössle in Braz Rindskraftsuppe mit Hirschwurstknödel oder Hirschrücken in einer Nusskruste mit Rotkohl und Kartoffelroulade. Griggeler Stuba (Oberlech)
Auch nach dem letztjährigen Abgang von Thorsten Probost nach knapp zwei Jahrzehnten gehört das Restaurant (18 Gault Millau-Punkte) zur Gourmetspitze des Landes. Besonders spannend für Gastronomen: Dominic Baumann und Matthias Schütz führen Probosts Idee fort, jeden Gang einem Kraut zu widmen, das in den Wäldern, auf den Alpen und Wiesen der Region wächst. Dieses wird am Tisch vorgestellt und verfeinert das Gericht. Montafoner Hof (Tschagguns)
Hier verbrachte US-Schriftsteller Ernest Hemingway die Winter 1924/25 sowie 1925/26. Regionalität und Nachhaltigkeit, Zimmer und Suiten mit viel Holz und hübschen Details – ein Hotel für Geniesser. Gertrud, Christof und Stefan Tschohl führen das Hotel (Doppelzimmer ab 112 € pro Nacht) in zehnter Generation modern und doch traditionsreich. Rote Wand (Zug/Lech)
Josef Walchs Gourmethotel «nur» auf die Kulinarik zu reduzieren, wäre ungerecht. Lange Zeit waren im 1780 erbauten alten Zuger Schulhaus die Sennerei und die Schule untergebracht. Walch ging hier selber noch zur Schule, sein Vater eröffnete den Betrieb vor 61 Jahren. 1500 m2 Spa und Wellness, Luxus auf unkomplizierte Weise, der perfekte Ausgangsort für Outdoor-Aktivitäten im Sommer und im Winter – die Rote Wand (DZ ab 280 €) heisst Alleinreisende ebenso willkommen wie Paare und Familien. Anfahrt
Das Vorarlberg grenzt direkt an die Schweiz (1919 stimmten sogar 80 Prozent der Vorarlberger für einen Beitritt in die Schweiz, doch der Bundesrat lehnte ab.). Die Region ist mit dem Auto und den öffentlichen Verkehrsmitteln gut erreichbar. Der Arlberg Express bietet tägliche Busfahrten vom Flughafen Zürich in die Region an (ab 50 € retour).